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Schleswig-Holsteins NiederungenEntwässertes Land

Problemzone im Klimawandel: Schleswig-Holstein will mit der „Niederungsstrategie 2100“ seine Gebiete unter dem Meeresspiegel resilienter machen.

Vorsicht flaches Land! Knapp über'm Meeresspiegel beim Westerhever Leuchtturm in Schleswig-Holstein Foto: Frank Molter/dpa/picture alliance

Der Gotteskoogsee in Nordfriesland ist ein Naturparadies: Rohrdommeln und Blaukehlchen brüten im Röhricht, Seeadler kreisen über dem 75 Hektar großen Süßwassersee. Doch die scheinbare Naturidylle ist künstlich.

„Man hat den Koog seit den 1920er Jahren entwässert, entwässert, entwässert“, sagt Carl-Christian Christiansen, Leiter des Naturkundemuseums in Niebüll. Um zumindest einen Eindruck des früheren Zustands zu erhalten, wird der Wasserstand im Umland nicht weiter gesenkt.

Nicht nur im Gotteskoog wird dem Boden ständig Nässe entzogen. Doch diese Strategie ist in Zeiten des Klimawandels gescheitert. Das gilt besonders für die Niederungen, die unter 2,5 Meter Normalhöhennull, dem rechnerischen Meeresspiegel, liegen. Viele davon sind Köge, also Flächen, die dem Meer abgerungen wurden und nur durch Deiche vor Überflutungen bewahrt werden.

Heute herrscht im Sommer auch dort Trockenheit, gleichzeitig droht bei Starkregen Überschwemmungsgefahr. In Schleswig-Holstein besteht ein Fünftel des Landes aus Niederungen. Entsprechend groß ist der Druck auf die Landesregierung, eine neue Strategie zu entwickeln. Es gelte, den Landschaftswasserhaushalt so zu „optimieren, dass sowohl die negativen Folgen von extremen Niederschlägen als auch von langanhaltenden Trockenphasen abgeschwächt werden“, sagt der Sprecher des Umweltministeriums, Matthias Kissing.

Ein schwieriger Prozess

Die Aufgabe ist anspruchsvoll, denn das Ministerium muss sowohl die Forderungen von Naturschutzorganisationen nach mehr Diversität und Umweltschutz beachten als auch die Sorgen der Landwirt*innen, die fürchten, auf den Flächen nicht mehr wie in den vergangenen Jahren arbeiten zu können.

Die Väter haben das Land trockengelegt, nun soll man es absaufen lassen – das fällt schwer

Carl-Christian Christiansen, BUND

Dass es ein schwieriger Prozess sein wird, die Bevölkerung von einer neuen Bewässerungsstrategie zu überzeugen, weiß auch Christiansen, der im Ehrenamt stellvertretender Landesvorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist: „Die Väter haben das Land trockengelegt, nun soll man es absaufen lassen – das fällt schwer. Aber gerade weil es eine Jahrhundertaufgabe ist, muss man jetzt drüber reden und Dinge ausprobieren.“

Wie sehr der Mensch in den Wasserhaushalt eingegriffen hat, erklärt Christiansen am Beispiel des Gotteskoogs: „Früher stand hier im Winter alles unter Wasser. Überall wuchsen Binsen, und es gab Fische aller Art, darunter so viele Aale, dass die Bauern mit ihnen die Schweine fütterten.“

Das ist lange vorbei. Gräben, Siele und Pumpen entziehen dem Boden systematisch die Feuchtigkeit, bis zur „dramatischen Verarmung der Tier- und Pflanzenwelt“, heißt es auf der Homepage des Deich- und Hauptsielverbandes Südwesthörn-Bongsiel, der für die Be- und Entwässerung der Region zuständig ist.

Die Landschaft prägend

Wie die jahrhundertelange Entwässerung die Landschaft verändert, ist in ganz Schleswig-Holstein zu sehen. Schmale Gräben, Grüppen genannt, durchfurchen Äcker und Wiesen, breite Sielzüge leiten Süßwasser vom bewirtschafteten Land weg und durch Schleusen ins Meer. Klappt aber heute nicht mehr, sagt Christiansen. Aufgrund des höheren Meeresspiegels fließt das Wasser nicht einfach ab, sondern muss gepumpt werden, und „je höher der Meeresspiegel, desto energie- und kostenintensiver wird das“. Hinzu kommt, dass es im Sommer auf den Feldern und Weiden oft zu trocken ist und Süßwasser eigentlich dringend gebraucht würde.

Mit der geplanten „Niederungsstrategie“ will die Landesregierung das Thema grundsätzlich angehen. Sie geht zurück auf den Umwelt- und Landwirtschaftsminister der früheren Jamaika-Koalition, Jan-Philipp Albrecht (Grüne). Nach der Wahl im Frühjahr 2022 schnitt die neue schwarz-grüne Regierung die Ministerien anders zu: Das Landwirtschaftsressort liegt nun in der Hand des ehemaligen Bauernverbandspräsidenten Werner Schwarz (CDU). Um die Umwelt kümmert sich der Grüne Tobias Goldschmidt.

Er trägt die Verantwortung für die Niederungsstrategie, die 2023 fertiggestellt sein soll. Dazu hat Goldschmidt eine Arbeitsgruppe einberufen, in der Fachleute aller Seiten beteiligt sind, darunter auch Christiansen für den BUND. Der Umweltschützer befürchtet bereits vor Veröffentlichung des Papiers, dass Natur- und Artenschutz zu kurz kommen. Ministeriumssprecher Kissing weist die Kritik zurück: Klimaschutz und Diversität stünden in den Programmen des Landes, die Strategie nehme „selbstverständlich“ darauf Bezug.

Christiansen fordert, weniger zu entwässern. Allerdings steigt dann das Wasser in den tiefen Flächen. Für Getreide wird der Boden damit zu nass, dafür könnten sogenannte Paludikulturen entstehen. Gemeint sind Gewächse wie Schilf oder Reet, die auf moorigem Grund wachsen können. Wirtschaftlich durchaus interessant, so Christiansen: „Reet kann für Dächer genutzt werden, aus Elefantengras wird Papier hergestellt.“

wochentaz

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Einzelne Modellprojekte, wie in Moorflächen gewirtschaftet werden können, gibt es bereits, etwa in einer „Klimafarm“ in der Gemeinde Erfde an der Eider. Doch um den Wasserhaushalt für das ganze Land an die Erfordernisse des Klimawandels anzupassen, müssten viel mehr Land­wir­t*in­nen mitziehen, die zum Beispiel ihre Produktion von Weizen auf Gras umstellen. Ob das klappen kann? Die Antwort des Umweltministeriums auf diese Frage fällt verhalten aus: „Die Landwirtschaft begrüßt die Erstellung der Niederungsstrategie grundsätzlich“ – Begeisterung klingt anders.

Das Land geht daher behutsam vor, die Niederungsstrategie ist auf das Jahr 2100 ausgerichtet. Dann liegt der Meeresspiegel der Ostsee selbst nach gemäßigten Szenarien 47 Zentimeter höher als heute.

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