Schlechte Stimmung zur Grünen Woche: Wer weniger liefert, der kriegt mehr
Das Einkommen der Bauern fällt weltweit seit vier Jahren, das Höfesterben schreitet voran. Wachsen oder weichen, das ist von der Politik so gewollt.
Friesland Campina setzt damit auf ein Instrument, dass die Europäische Union im vergangenen Jahr abgeschafft hatte: die Milchquote. Die Politik wollte Schluss machen mit der staatlichen Gängelung. Die Landwirte sollten so viel produzieren dürfen, wie sie wollten, und ihre Milch dann auf dem Weltmarkt absetzen. So die Idee.
Die Landwirte folgten ihr mehrheitlich und molken mehr Milch – nur der Weltmarkt macht nicht mit. Traditionelle Absatzgebiete wie China oder der Nahe Osten werden von Wirtschaftskrisen gebremst oder von Bürgerkriegen geschüttelt; Russland unterliegt noch immer einem Embargo. Die Bauern würden „aus heutiger Sicht innerhalb von zwei Jahren die Hälfte ihres Einkommens verlieren“, hatte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, zur Eröffnung der Grünen Woche in Berlin am Donnerstag gewarnt.
Die Stimmung ist schlecht wie lange nicht mehr unter den Landwirten. Und viele nervt es sichtlich, dass es zu einem gesellschaftlichen Thema geworden ist, wie sie ihre Tiere halten und ihre Felder vor Unkraut schützen.
„Wir machen euch satt“, heißt etwas trotzig die Demo, zu der eine Initiative von Landwirten aufruft, die „frei von Vorurteilen und Ideologie“ über Landwirtschaft diskutieren will. Los geht es am Samstag um 9.15 Uhr direkt vor dem Berliner Hauptbahnhof. Sollte die Demonstration der Landwirte wie geplant um 11 Uhr zu Ende gehen, werden sich die Teilnehmer der Konkurrenzveranstaltung gegen Massentierhaltung, „Wir haben es satt“, wohl gerade auf den Weg zum Potsdamer Platz machen. So unterschiedlich beide Proteste und Initiativen auch sind – dass derzeit etwas grundlegend falsch läuft in der Landwirtschaft, würden wohl beide unterschreiben.
Die Preise auf dem Weltmarkt fallen und fallen. Laut der Welternährungsorganisation FAO sind sie 2015 im vierten Jahr gesunken, Lebensmittel waren im Schnitt 19 Prozent billiger als im Vorjahr. Damit folgen sie den anderen Rohstoffen, allen voran dem Erdöl, das derzeit auch von einem Tiefstpreis zum nächsten taumelt.
Dem Milchpreis geht es nicht anders, schon seit Mitte 2014 im Sinkflug, stürzt er seitdem immer rasanter ab. Durchschnittlich 23 Prozent weniger bekamen die Landwirte 2015 im Vergleich zum Vorjahr. Derzeit zahlen einige der traditionell knickrigen norddeutschen Molkereien den Bauern nur noch 24 Cent pro Liter. Um kostendeckend zu arbeiten, sind 30 bis 40 Cent nötig.
„Wenn das so weitergeht“, sagt Milchbauer Ottmar Ilchmann, „dann gehen bis zum Sommer massenhaft Höfe pleite“. Ilchmann bewirtschaftet im ostfriesischen Rhauderfehn einen Hof mit 60 Kühen. Damit bildet er zwar in der offiziellen Statistik ziemlich genau den Durchschnitt ab – der liegt bei 58 Tieren pro Hof. De facto ist er aber inzwischen ein Winzling in der Branche.
Auch Schweinehalter haben Angst
Zwar halten laut Statistischem Bundesamt noch immer 73.300 Betriebe in Deutschland Milchkühe, insgesamt 4,3 Millionen Tiere. Doch der „Strukturwandel zu größeren Betrieben hält an“, teilen die Statistiker mit. Immer weniger Höfe halten immer mehr Tiere, vor allem im Norden und Osten zum Teil mit über 1.000 Rindern. Viele kleine geben auf.
Nicht nur unter den Milchbauern herrscht Angst, sondern auch unter den Schweinehaltern. Sie müssen ihre Tiere zu Preisen an die Schlachthöfe verkaufen, die die Kosten nicht mehr decken. Unter 1,30 Euro bekamen sie im Durchschnitt 2015 für das Kilo. Weil sie nicht so gut organisiert sind wie die protesterprobten Milchbauern, verschwinden ihre Höfe leiser – dafür aber massenhaft. In den vergangenen 15 Jahren hätten 80 Prozent der Höfe die Tierhaltung aufgegeben, sagte Barbara Unmüßig, Vorstand der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung, als sie vergangene Woche den „Fleisch-Atlas“ vorstellte, den die Stiftung zusammen mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) herausbringt.
„Wenn bei steigenden Produktionsmengen in Bayern fast 30.000 Betriebe und in Niedersachsen mehr als 13.000 Höfe die Schweinehaltung aufgeben, dann haben wir es mit einem tiefgreifenden Strukturwandel zu Lasten kleinbäuerlicher und mittelständischer Betriebe zu tun“, sagte Unmüßig.
Im Bundeslandwirtschaftsministerium hält man das Höfesterben für ein notwendiges Übel. Die „konsequente Fortsetzung der Marktausrichtung unserer Land- und Ernährungswirtschaft“ sei der richtige Weg, beschied der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser neulich Landwirten auf einer Veranstaltung in Hessen. Für die Bauern gilt also noch immer die politische Ansage, zu wachsen oder zu weichen.
„Weiter-so“ ist nicht die Antwort
„Die Frage ist doch“, sagt Robert Habeck, grüner Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, „wie wenige Bauern wir uns künftig leisten wollen.“ Jährlich gäben schon ohne die aktuelle Krise fast zwei Prozent der Betriebe auf. „Deshalb ist ein Weiter-so wie bisher keine Antwort“, sagte Habeck.
Er würde gern mehr Agrarsubventionen umlenken. Statt faktisch Landbesitzer fürs Vorhalten von Boden zu fördern, sollten Landwirte zunehmend dafür entlohnt werden, dass sie einen Beitrag für das Gemeinwohl leisten, die Artenvielfalt und das Klima schützen und ihre Nutztiere schonen – für das, was der Markt nicht honoriert. Allerdings: Die aktuelle Krise von Milchbauern und Schweinehaltern kann auch Habeck in seinem Bundesland nur mit akuten Hilfsgeldern der EU lindern. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
„Gegen den derzeitigen Preisverfall gibt es eigentlich kein Mittel“, sagt Landwirt Ilchmann. Der Milchbauer, sitzt im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und wendet sich in seinem Beitrag für den am Donnerstag veröffentlichten „Kritischen Agrarbericht“ gegen die „Ideologie des Mengenwachstums“. Er hält die Forderung nach Höfen, die auf dem Weltmarkt mit Betrieben aus Neuseeland oder Australien konkurrieren, für Unfug. „Die können aufgrund natürlicher Bedingungen wie ganzjähriger Weidehaltung immer günstiger produzieren“, sagt er.
Der Niedersachse, der seinen Hof konventionell betreibt, sieht durch die derzeitige Krise das gesamte Modell – „Bauer liefert unhinterfragt alles ab, und die Molkerei nimmt ebenso unhinterfragt alles ab“ – infrage gestellt, schreibt er im kritischen Agrarbericht und wünscht sich eine Neuausrichtung: Bauern produzieren Qualität, kommunizieren sie den heimischen Verbrauchern – und die zahlen entsprechend mehr.
Biobauern sind nicht betroffen
Vorbild dafür sind für Ilchmann die Biobauern, die genau diesem Konzept folgen. Von der aktuellen Milchkrise sind sie nicht betroffen. Laut dem größten ökologischen Anbauverband Bioland erzielten sie das ganze Jahr über Preise von 47 bis 49 Cent pro Liter Milch. Zwar haben sie auch höhere Kosten, trotzdem sehen viele Landwirte in ökologischer Erzeugung offenbar einen Notausgang: Im vergangenen Jahr ließen sich so viele Landwirte von Bioland zertifizieren wie seit 2010 nicht mehr.
„Wir erleben seit Jahren ein stürmisches Wachstum der Nachfrage“, so Felix Prinz zu Löwenstein, Chef des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), „aber wir kamen lange nicht nach.“ Noch immer müsse der Handel Biowaren im Ausland kaufen, doch „wir haben ein Jahr, das eine Trendwende andeutet“, so Löwenstein. Nicht nur die Öko-Milchbauern blieben von Absatzproblemen unbehelligt, auch die Öko-Schweinebauern hatten wenig Sorgen. Sie erhielten von den Schlachtern mit drei Euro pro Kilogramm Fleisch mehr als Doppelte als ihre konventionell produzierenden Kollegen.
Allerdings: Nicht die ganze Ökobranche jubelt, es gibt auch nachdenkliche Stimmen. Der „Kritische Agrarbericht“ etwa setzt seinen inhaltlichen Schwerpunkt dieses Jahr beim „Wachstum“. Und diskutiert, wie lange eine nachhaltige Landwirtschaft wachsen kann, ohne ihre Prinzipien aufzugeben. In der aktuellen Krise könne das nur heißen: „Begrenzt die Menge“, schreibt Ilchmann in seinem Beitrag. Der holländische Molkereikonzern Campina macht vor, wie es gehen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“