Schlagwort der libertären Bewegung: Die Disruption ist unser
Tesla-Chef Elon Musk und Argentiniens Präsident Javier Milei feiern Disruption als pubertäre Allmachtsfantasie. Doch Umbruch braucht progressives Denken.
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J e versicherungsvertretiger der Vibe der Männer, desto gigantomanischer die metapolitischen Weltwende-Utopien, die sie verbreiten: Disruption ist das Schlagwort der Stunde, im Wortsinne eine Unterbrechung, in der Wirtschaftstheorie positiv gedacht: eine schöpferische Zerstörung. Und im Sinne der neuen rechtslibertären Bewegung, die mit Elon Musk und Javier Milei gerade großes Momentum gewonnen hat, vor allem ein Chaos, das das morsche System zusammenkrachen lässt. Das Szenemagazin eigentümlich frei feiert die spätestens mit Trumps Triumph „angebrochene Zeitenwende“, Nius die „Revolution gegen links“. Das Ende der linken Träume sei der Gewinn einer Epoche grenzenloser Freiheit, ausgelöst durch Eruptionen in den Strukturen des großen Menschenschinders Staat. Selbst die AfD will jetzt libertär sein.
Dieses Triumphieren ist natürlich vermutlich auch schon die größte Weltwende, die aus dem Kontext erwartet werden kann. Aber sie ist auch keine ganz kleine. Denn bisher war es doch eher so, dass das Chaos, der Umsturz, das anarchische Spiel an den Regeln vorbei, das Durcheinanderwirbeln der Verhältnisse gerade den linken Traum – zumindest in seiner antiautoritären Spielweise – ausgemacht haben. Während die Konservativen bewahren wollen, will die Linke die Gesellschaft nach vorne bringen. So war das schließlich gut eingespielt. Heute ist die einzige Utopie, die Linke global vernehmbar fordern, das Niederbrennen des Westens – was ja wiederum wunderbar zu den Jubeltänzen autoritär-libertärer Disruptionist*innen passt.
Klar, da waren immer schon Zwischentöne in dieser Rollenverteilung. Von der futuristischen Avantgarde zum Beispiel gingen genug Impulse für den Faschismus aus. Die Futurist*innen feierten seinerzeit den Geschwindigkeitsrausch wie auch den Krieg – als „Hygiene der Welt“. Und auch die Denkschule des Akzelerationismus, der vehement das disruptive Element beschwört, hat immer wieder die Seiten gewechselt. Er geht im Kern auf Karl Marx zurück, der in der Beschleunigung des Kapitalismus dessen Zusammenbruch und Überwindung sieht. Später griffen die Poststrukturalisten Gilles Deleuze und Félix Guattari den Gedanken auf, wollten den Kapitalismus an sich selbst zum Explodieren bringen – aber seine Technologien durchaus nutzen, zum Wohle aller.
Für den rechten Akzelerationismus, der sich seitdem daraus entwickelt hat, steht wiederum am Ende der Bewegung nicht die Freiheit des Menschen, sondern die Freiheit des Kapitals vom Menschen. Nick Land, der wichtigste rechtsakzelerationistische Denker, feiert heute autoritäre Systeme und vertritt rassistische Positionen. Er ist auch zentral für das „Dark Enlightenment“, auf das sich wiederum Elon Musk bezieht – eine reaktionäre Aufklärung, die am Ende der menschlichen Entwicklung absolutistische Monarchien sieht.
Schöpferisches Chaos
Kurz: Die Disruption der rechtslibertären Spielart klingt wie pubertäre Fantasie mit Allmachtsknacks. Und dass das funktioniert, dass das tatsächlich irgendwie sexy ist, ist ein Problem. Weil natürlich Zerstörung geiler ist als Schöpfung, weil natürlich die Abschaffung intuitiv mehr Staub aufwirbelt als die Überlegung, wie neue Möglichkeiten entstehen können.
Deshalb lesen sich die Untergänge und Umwälzungen der Rechtslibertären spannender als ihre rückwärtsgewandten, autoritären Jeder-in-seine-Ecke-Utopien mit Marsreise. Sie folgen natürlich einem nachvollziehbaren Impuls, der deutet, dass die liberal-demokratische Gesellschaft auf ihrem Weg aus dem 20. Jahrhundert heraus auf halber Strecke stecken geblieben ist, können aber keinen progressiven Ausweg denken. Während sich zumindest die deutsche Linke zu schnell auf Besitzstandwahrung statt Nach-vorne-Drängeln eingelassen hat.
Kann schon sein, dass die Antwort darauf sein müsste: Akzeptieren, dass die realen Komplexitäten keinen easy way out zulassen können. Aber in durchhängenden, zähen Zeiten könnte sie eben auch sein: Der Gesellschaft mit einem lustvollem, schöpferischen Chaos, das eben nichts vom rechten Weltenbrand hat, neues Feuer einhauchen. Und nicht zuletzt, wieder den Spaß daran entdecken, den grauen Herren nicht zu gönnen, sich als Sieger der Geschichte zu fühlen. Feiert ihr ruhig ein bisschen, aber seid gewiss: Die Disruption ist unser!
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