■ Schlagloch: Outsourcing a la DeutschlandRadio Von Klaus Kreimeier
„Diese Wertung weise ich zurück.“ Beliebte Formel
des DeutschlandRadio-
Intendanten Elitz
Die Schweizer, wir ahnten es längst, leben hinter dem Mond, zumal medienpolitisch. Sie hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt, befand Anfang des Jahres die Zürcher Medienberatungsagentur Publicom. Ein „Formatradio“ mit einem „auf eine klar definierte Zielgruppe ausgerichteten Programm“ sei im Sendegebiet Berner Oberland und Basel nicht auszumachen. Die Schweizer Rundfunkveranstalter vertrauten, wie sonderbar, der „Mehrheitsfähigkeit“ statt dem „Profil“. So komme halt nur Radio für jedermann zustande.
Das sind zweifellos erschreckende Zustände südlich von Schaffhausen, doch möglicherweise haben sich die Älpler – vielleicht die langsamsten, aber auch die dienstältesten Demokraten Europas – bei ihrem altmodischen Dampfradio etwas gedacht. Jene flotte Rundfunkpolitik, die mittels Formatradio vor allem die Politik aus dem Rundfunk herausformatiert, steht ihnen jedenfalls noch bevor. Die deutschen Format-Gurus exerzieren seit geraumer Zeit vor, wie man so etwas macht. Die Erfindung ist den Privatsendern zu danken, denen kein Strick daraus gedreht werden kann. Privatrundfunk funkt per definitionem im nicht-politischen Raum, ist also genaugenommen nicht der Öffentlichkeit zuzurechnen.
Bemerkenswerter ist schon, daß auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk längst im Begriff ist, die Format-Gebetsmühle nachzubeten und mit den Formaten auch die ihnen innewohnende Ideologie zu übernehmen. Die Verantwortlichen in der ARD und beim ZDF nennen das Wettbewerb. Die derzeit meistdiskutierte Form, den Wettbewerb, der schon verloren ist, bis zur nächsten Gebührenerhöhung, die womöglich nicht mehr kommen wird, zu verlängern, ist das sogenannte „Outsourcing“ – das heißt die Auslagerung von ganzen Programmbereichen, mit deren Herstellung zunehmend private Produktionsfirmen beauftragt werden. Solchermaßen outgesourcte Programme sind billiger und können bei günstiger Vertragslage schneller auf den Müll geschmissen werden, wenn sie am Format vorbeiproduziert sind, will sagen: keine Quote bringen.
Outsourcing wird gegenwärtig im großen Maßstab im öffentlich- rechtlichen Fernsehen betrieben. Derzeit beeilen sich die Programmverantwortlichen zu versichern, daß es Grenzen des Outsourcens gebe, „Kernbestände“ des selbstproduzierten Programms wie etwa die „Tagesschau“. Damit sagen sie nur recht deutlich, was sie noch alles hinausformatieren wollen. Kürzlich hat Friedrich Küppersbusch die Erfahrung machen müssen, wie schnell ein Öffentlich- Rechtlicher, nachdem er sich erst selbst frohgemut outgesourct hat, in der Versenkung verschwinden kann. Schadenfreude ist hier nicht am Platz, denn hier hat jemand, der sich witzig, manchmal geistreich und gelegentlich auch etwas platt um Politik gekümmert hat, der Ökonomisierung weichen müssen.
Ökonomisierung ist, auf Medienpolitik angewandt, nur eine feinere Umschreibung für Zensur. Sie findet, dem Verfassungsbuchstaben nach, tatsächlich nicht mehr statt, seitdem man Sendungen, die den Hierarchien wegen politischer Quertreiberei schwer im Magen liegen, mit dem Hinweis auf jeweils wirtschaftlich definierte Formatzwänge auf dem Verwaltungswege ausscheiden kann. In spätestens zehn Jahren werden die Medienkritiker keine Medienkritiken mehr schreiben, sondern als Historiker den Prozeß rekonstruieren, in dem in den 90ern unter der Walze der Ökonomisierung politische Zensur überflüssig wurde.
Zum Glück gibt es ein in Köln ansässiges Rundfunkmuseum, das sich DeutschlandRadio nennt und Zensur noch ganz nach jenen Metternichschen Richtlinien betreibt, über die Programmdirektor Günter Müchler promoviert hat. Dessen Anschläge gelten dem politischen Feature, dem der Sender (seiner Regierungsnähe zum Trotz) seinen von liberalen Redakteuren in Jahrzehnten aufgebauten guten Namen verdankt. Nach Ein- und Übergriffen gegen freie Autoren, die sich mit der Studentenbewegung, der RAF und mit der Rechtslastigkeit der Bundeszentrale für politische Bildung befaßt hatten, entschloß sich Müchler im vergangenen Herbst zur Attacke auf den ganzen Programmbereich, der nun der längst unter Kuratel gestellten Abteilung „Hintergrund Politik“ ein- und untergeordnet werden soll. Aktueller Anlaß war ein Feature von Axel-R. Oestmann über die Kampagnen, die Regierung und Medien im Herbst 1977 gegen die angeblichen „Sympathisanten“ der RAF entfesselt hatten. Müchlers Maßnahmen im einzelnen: Absage der Produktionstermine für das vom Chefredakteur bereits genehmigte Feature, Sendeverbot, Publikationsverbot für Oestmann und, in einem Aufwasch, auch gleich für den Autor Herbert Hoven, der die Sendung über die Bundeszentrale geschrieben hatte. Outsourcing à la DeutschlandRadio: Rauswurf unbequemer Autoren.
Zensur? Müchler und Intendant Elitz behaupten, so etwas gebe es nicht – ein Sender habe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, Texte, z.B. wegen handwerklicher Mängel, abzulehnen. Das ist richtig. Müchler aber hatte keine formalen Einwände, sondern zunächst gar keine (jedenfalls keine, über die er reden mochte), bis er mit inhaltlichen Anwürfen herausrückte, die politisch motiviert waren (und für die der Text im übrigen keinen einzigen Anhaltspunkt enthielt). Damit aber, dies muß sich Metternich-Spezialist Müchler sagen lassen, ist der Tatbestand der politischen Zensur erfüllt und eben jene innere Rundfunkfreiheit verletzt, die vor Jahrzehnten die Redakteursausschüsse erkämpften.
Müchler kann eine ganz bestimmte Richtung auf den Tod nicht ausstehen. Das ist sein gutes Recht, doch mit dieser Idiosynkrasie ist er als Programmchef einer öffentlich-rechtlichen Anstalt fehl am Platz. Eher gehört er ins Bundeskanzleramt, dem er als Autor eines Buches „Helmut Kohl – Kanzler der deutschen Einheit“ ohnehin stärker verbunden ist, als es das Ausgewogenheitsgebot der Rundfunkverfassungen erlaubt. Was Müchler allerdings bewog, vor dem Redakteursausschuß die Abgründe seiner Seele zu offenbaren, die verantwortliche Redakteurin Karin Beindorff zur Chefin einer „roten Zelle“ zu ernennen, ihre „Konstellation“ zum hinausgeworfenen Autor als „unappetitlich“ zu bezeichnen und, in einem hausinternen Schreiben, einen ihm gänzlich unbekannten Kritiker seiner Maßnahmen zum „verunglückten Exemplar des Homo sapiens“ zu nobilitieren – all dies ist weniger den politischen als den psychologischen Aspekten des Zensursyndroms zuzurechnen. Zensur, das beweist ihre Geschichte, hat ihre Exekutoren selten unbeschädigt zurückgelassen.
Wie gesagt, eher eine Story aus der Gruselkammer einer heilen Welt, die noch nicht das Outsourcing kannte. Sie gehört endlich an die Öffentlichkeit, damit wir vor lauter Staunen über die neuen Formate nicht vergessen, wie die Interessen formatiert sind, die das ganze Spiel dirigieren.
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