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Schlachter verklagt Tier­rechtler*innenAtemlos durch den Schacht

In Oldenburg verteidigen sich Tierrechtsaktivist*in­nen gegen Schadenersatzforderungen. Sie hatten Aufnahmen von einer Schweine-Betäubungsanlage gemacht.

Atemnot und Fluchtverhalten: Laut Europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit ist die Betäubungsmethode ein Tierwohlproblem Foto: Animal Rights Watch

Oldenburg taz | Ein weiß gedecktes Tischchen mit Käfig links, ein schwarzes Banner mit der Aufschrift „CO2 ist Tierqual“ rechts und bestimmt zehn Leute, die Transpis halten: Schon anderthalb Stunden vor Verhandlungsbeginn hat sich die Mahnwache vor der Freitreppe des Oldenburger Landgerichts postiert. Später ist, solange die Tür offen steht, auch drinnen in Saal eins noch zu hören, wie sie skandieren: „Tierleid zu zeigen ist kein Verbrechen.“ Dort mussten sich am Mittwoch zwei Ak­ti­vis­t*in­nen der Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa) gegen Schadenersatzforderungen in Höhe von rund 100.000 Euro verteidigen.

Klägerin ist die Brand Qualitätsfleisch GmbH, ein mittelständischer Schlachthof aus Lohne. Anna Schubert und Hendrik Haßel waren im Mai 2024 von der Polizei aufgegriffen worden, nachdem sie nachts in den Schweine-Tötungbetrieb eingedrungen waren. Ihr Ziel: die Betäubungsanlage. Deren Betrieb hatten seit März an ihr angebrachte, versteckte Videokameras dokumentiert – Ton inklusive. Gerade mit Sound ist das nichts für schwache Gemüter.

Seit vergangenem Sommer 2024 verbreitet Ariwa die dort entstandenen Bilder über die eigenen Homepage, aber auch der öffentlich rechtliche Rundfunk hat das Material aufgegriffen, vor allem der NDR und das ARD-Magazin „Plusminus“. „Aufnahmen, die verstören können“, hatte Alev Seker den Beitrag „CO2-Betäubung: Gnadenakt oder Tierquälerei?“ am 21. August mit Triggerwarnung anmoderiert. Dabei werden nur ganz kurze Schnipsel genutzt.

Tiere in Panik

Verständlich. Denn die Original-Aufnahmen sind im Grunde unerträglich, aber von großem dokumentarischem Wert. Denn Ariwa hat damit erstmals in Deutschland Aufnahmen vom Betrieb einer Paternoster-Anlage vorgelegt, also ein durchlaufendes Fahrstuhlsystem. Es besteht aus sechs Käfigen, sogenannten Gondeln, in denen Schweine in kleinen Gruppen in einen neun Meter tiefen Schacht gefahren werden. Der ist mit rund 80 Prozent Kohlendioxid befüllt.

Wenn man CO2 einatmet, verbindet es sich mit Speichel zu Kohlensäure, die alle Schleimhäute angreift. Nach einer gewissen Zeit verliert man das Bewusstsein. Wenn es reibungslos abläuft, sind das 20, vielleicht 30 Sekunden. Es läuft aber oft nicht reibungslos ab, das zeigt das Videomaterial. Manchmal brauchen die Mitarbeiter rohe Gewalt, um die Tiere in die Käfige zu treiben, mit Paddeln hauen sie ihnen auf Beine und Kopf, mitten ins Gesicht.

Manchmal, und das ist das Schlimmere, stocken die Gondeln auf dem Weg in die Senke. Da ist die CO2-Konzentration zu niedrig, um schnell zu betäuben. Die Tiere bekommen Panik, Atemnot. Sie wollen fliehen, stecken die rosigen Schnauzen durch die verkoteten Stäbe, um nach Luft zu schnappen.

Unternehmen sieht Ruf geschädigt

Für die Brand GmbH gekommen ist Nikolaus Brand, Geschäftsführer seit 2018. Der 36-Jährige wirkt jungenhaft, eher zurückhaltend, ja, unerwartet zart für die Art seines Betriebs. Er führt das Familienunternehmen in vierter Generation fort. Gegenwärtig werden in seiner Fabrik pro Woche 15.000 Schweine fachgerecht getötet und zerlegt.

Brand sieht den Ruf seines Unternehmens durch die Bilder geschädigt. Aber statt die NGO oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu belangen, hat die GmbH, beraten vom Hamburger Antitierrechtsanwalt Walter Scheuerl, die Ak­ti­vis­t*in­nen persönlich verklagt, das ist ungewöhnlich: „Sie wollen uns in den wirtschaftlichen Ruin treiben“, wirft Anna Schubert in der Verhandlung der Gegenseite vor, das Ganze sei eine Slapp-Klage, also ein Versuch, sie durch exorbitante Schadenersatzforderungen, Prozess- und Anwaltskosten einzuschüchtern. Das Bundesjustizministerium betreibt eine Stelle, bei der man solche missbräuchlichen Verfahren zur Anzeige bringen kann. „Wir haben das deshalb dort gemeldet“, so Schubert.

Scheuerl weist den Vorwurf zurück. „Wenn Sie eine Kneipenschlägerei haben“, erklärt er der taz auf Nachfrage das Vorgehen, „dann erteilen Sie ja auch den Leuten Hausverbot, die randaliert haben, und nicht irgendeinem Verein“, bemüht er einen Vergleich, der zumindest erläuterungsbedürftig ist: ARD und wohl auch Ariwa, führt Scheuerl also aus, hätten sich darauf herausreden können, mit der Herstellung der Bilder selbst nichts zu tun gehabt zu haben. „Diese juristische Ebene schalten Sie aus, wenn Sie direkt diejenigen belangen, die auf illegale Weise die Bilder beschafft haben.“

Jährlich 30 Millionen Schweine

Tiere müssen vor der Schlachtung betäubt werden. Ziel ist es, so ihr Leiden zu verringern. Bloß: Dass das nicht wirklich funktioniert, steht sogar schon in der 2009 erlassenen EU-Schlachtverordnung, die den schönen Titel „über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung“ trägt. Fünf Jahre zuvor hatte der Tierschutzbeirat der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) diese Art der Betäubung untersucht.

Das Ergebnis: Es löst bei den Tieren Panik aus, sie wollen flüchten, sie quieken – all das, was die Ariwa-Videos zeigen. Was vorliegt, sei „clearly a welfare problem“ – ein ganz klares Tierwohlproblem, steht schon damals im Abschlussbericht. In der Schlachtverordnung heißt es dann: Problem ist bekannt. Gehen wir aber nicht drauf ein, weil: würde zu teuer. „Es ist jedoch wichtig, diese Diskussion in Zukunft fortzusetzen“, räumt dann Absatz sechs ein. Ist aber nicht geschehen.

Es fehlt ja die Grundlage: „Es gibt sonst keine Aufnahmen dieser Betäubungsart“, betont Aktivisten-Anwalt Benjamin Lück, dabei betrifft sie, als am meisten verbreitetes Verfahren, jährlich rund 30 Millionen Schweine in Deutschland. Was da vor sich geht, genau das zu wissen habe die Öffentlichkeit ein Recht, so Lück. „Anders ist keine informierte Entscheidung möglich.“

Ausgerechnet mit Tierwohl-Label

Eigentlich ist der Saal zu klein, schön wäre ein bisschen Luftzufuhr zwischendurch. Als besondere Ungerechtigkeit hatte der Landvolk-Verband im Vorfeld der Verhandlung über seinen „Pressedienst“ LPD die Tatsache bewertet, dass sich die Ak­ti­vis­t*in­nen ausgerechnet Betriebe vorknöpfen, die sich das Tierwohl-Label auf die Fahnen schreiben. Ihnen gehe es „nicht um Verbesserung, sondern um Abschaffung unserer Tierhaltung“, stellt Landvolk-Vizepräsident Jörn Ehlers dort fest. Von Beruf ist er Schweinemäster.

Die „Brand Qualitätsfleisch“ gibt sich tatsächlich als Vorreiterin dieses Segments. „Tierschutz und das Tierwohl haben für uns oberste Priorität“, behauptet sie, und das soll kein Witz sein. Alle Bereiche seien videoüberwacht, und „es ist unsere Philosophie, transparent zu sein“, behauptet die Homepage.

Doch sogar die eigene Einsicht in die Abläufe scheint unvollständig: So hat Brand, um zu belegen, dass bei der Betäubung alles glatt läuft, eine Videosequenz bei Gericht eingereicht. Auch sie stammt aber aus dem von der Polizei im Mai 2024 beschlagnahmten, dann den Aktivist*innen, aber in Kopie auch an den Schlachthof wieder ausgehändigten Material. Wenn die Klägerin darauf angewiesen gewesen sei, diese zu nutzen, so Anwalt Lück, „dann müssen wir annehmen, dass sie keine eigenen hatte“.

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