Schillers „Maria Stuart“ in Berlin: Jeder allein in seiner Kiste
Im Deutschen Theater Berlin hat Anne Lenk „Maria Stuart“ inszeniert. Dem Kampf der Königinnen hat sie Gegenwart und Leichtigkeit eingeflößt.
Elisabeth von England: Im Deutschen Theater Berlin ist die Antipodin von Maria Stuart eine Figur, die beim ersten Auftritt den Beschützerinstinkt weckt. Verloren wirkt sie in dem rosafarbenen Kubus, der sie umgibt. Marionettenhaft fragil erscheint Julia Windischbauer als Königin von England. Sie hat sich einen großen 3-D-Kopf übergestülpt – ihr Ebenbild mit großen melancholischen Augen. Elisabeth weiß Maria Stuart, die aus ihrem Land gejagte schottische Königin, die Ansprüche auf den englischen Thron stellt, im Kerker und hat dennoch keine Ruhe.
Maria Stuart (Franziska Machens) schneidet in ihrer Zelle Grimassen, wirkt eher entnervt als leidend und bittet Amias Paulet (Paul Grill), Elisabeth einen Brief zu übergeben, in dem sie die englische Königin um ein Treffen bittet. Wie durch Zauberhand überwindet der Brief die Wand, die die eingekerkerte schottische Königin und ihren Aufpasser trennt. Auch Todesurteile werden auf dieser Bühne noch Mauern überwinden, Menschen dagegen fast nicht.
Der englische Königshof ist hier ein Setzkasten (Bühne: Judith Oswald) mit dem Kubus der Königin im Zentrum und Kammern für die Günstlinge drumherum. Visuell glasklar zu sehen: Anspruch auf immer dieselbe Kammer, sprich Rang, gibt es nicht und: Wenn das Licht im eigenen Kabinett ausgeht, ist man erst mal weg vom Fenster.
Komik erspüren
Anne Lenks Regie erspürt die vorhandene Situationskomik in Friedrich Schillers Trauerspiel. So sieht Jeremy Mockridges Mortimer mit schulterlangem gewellten Haar und Elisabeth-Fan-Pullover – der aber nur seine Zuneigung für Maria Stuart kaschieren soll – an sich schon extrem lustig aus. Mockridge spielt ihn konsequent als tolpatschigen Draufgänger, der ständig bereit ist für die nächste Kurzschlußhandlung.
Harmlos aber ist Mortimer nicht. Die kurze Begegnung zwischen ihm und Maria Stuart – außer diesen beiden treffen sich nur noch die beiden Königinnen – nutzt er aus zum sexuellen Übergriff. Der schmierige Graf von Leicester (Alexander Khuon) wiederum, der anfangs sogar eine Schärpe überm Designer-Anzug trägt, entledigt sich sukzessive der Standesklamotten, bis er leger in Hosen und locker sitzendem Hemd da steht.
Parallel dazu hat er, der die Gunst beider Königinnen besitzt, sein Herz doch wieder für Maria Stuart entdeckt. Als das herauskommt, benutzt er den Desperado Mortimer als Sündenbock, rettet sich, und der andere bezahlt das mit dem Leben.
Zum Treffen mit der Konkurrentin nimmt Elisabeth die 3-D-Maske ab. Sie holt die andere zu sich ins Zentrum der Macht und hat sich dafür ein sehr elegantes Business-Kostüm übergezogen. Maria Stuart kommt in Weiß mit wehendem Rock. Der Akt der Demut findet nicht statt.
Akt der Selbsterhebung
Stattdessen erobert Machens Maria Stuart konsequent Elisabeth’ Territorium, drängt Julia Windischbauer ab bis zum Rand und erhebt dann in einem Akt der Selbsterhebung lauthals Anspruch auf den englischen Thron. Hat man Elisabeth bis jetzt als Zaudernde, Zweifelnde kennengelernt, zeigt sich jetzt die gerissene Machtpolitikerin, die das Todesurteil gegen Maria unterschreibt, aber die Verantwortung dafür anderen in die Schuhe schiebt.
Schillers Text kommt in dieser Inszenierung viel geordneter in den Zuschauerraum als sonst. Das hat mit dem Setzkasten zu tun. Der strukturiert das Drama mit. Die acht SchauspielerInnen nehmen den über 200 Jahre alten Text ernst und gleichzeitig leicht. Das erzeugt Unmittelbarkeit in den Boxen. Das Kostüm entlarvt oft seinen Träger ( Kostüme: Sibylle Wallum). So bauscht sich Elisabeth’ enges Kleid auf der Höhe der Schultern, wie um der Zierlichen, Unsicheren mehr Präsenz zu geben. Und Jörg Poses Graf von Shrewsbury hat um den Hals ein textiles Ungetüm, als hätte man ihn bei Dussmann für ein Geschenk gehalten, das verpackt werden muss. Machens lebendige Mimik aber hat jäh ein Ende, als sie sich kurz vor dem gewaltsamen Tod ihrer Figur den eigenen 3-D-Kopf aufsetzt.
Dieses kluge Gesamtkunstwerk ist die vorerst letzte Premiere an der Berliner Schumannstraße. Die Setzkastenbühne hält unter anderem die Pandemieverordnung ein. Da fühlt es sich wie Hohn an, dass die Theater im November wieder schließen müssen – als nicht systemrelevantes „Freizeitangebot“. Theater aber ist an sich ein Bildungsangebot und wird aus diesem Grund öffentlich gefördert, stellt Intendant Ulrich Khuon lapidar fest. Theater stehen doch eigentlich in einer Reihe mit Schulen und Universitäten, merkt er an – und die bleiben auf.
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