Schiffsfund in der Trave: Wettlauf gegen die Zeit

In der Trave bei Lübeck wurde das 400 Jahre alte Wrack eines Frachtschiffs gefunden. Jetzt muss man es schnell bergen, sonst fressen es die Muscheln.

Paula Kucharczyk, Archäologin eines Bergungsunternehmens aus Polen, scannt mit einem mobilen Scanner eines der geborgenen Ladungsfässer eines gesunkenen Handelsschiffs aus dem 17. Jahrhundert.

Mal schauen, was drin war: Archäologin Paula Kucharczyk untersucht eines der geborgenen Fässer Foto: dpa | Christian Charisius

LÜBECK taz | Bei gutem Wind sind die sechs Seeleute von der schwedischen Insel Gotland über die Ostsee gesegelt. Sie haben 170 Fässer Branntkalk geladen, der in Lübeck dringend als Mörtel für die Backsteingotik-Häuser gebraucht wird. Kurz vor dem Ziel, auf der Trave mit ihren Kurven und Untiefen, dringt aus dem Laderaum plötzlich Rauch.

Eines der Branntkalkfässer hat sich entzündet. Der Kapitän gibt Anweisung zum Löschen, da steigt von unten schon Wasser. Innerhalb weniger Minuten sinkt das 20 Meter lange Schiff in voller Fahrt, die Besatzung kann sich im letzten Moment ans Ufer retten.

So könnte ein Handelsschiff sein Ende gefunden haben, das im 17. Jahrhundert Baustoffe für die frühere Hansemetropole Lübeck lieferte. 400 Jahre lang lag es in elf Metern Tiefe vergraben unter Sediment. Anfang der 2020er-Jahre schürfte dann ein Bagger die Fahrrinne frei und verteilte die Hälfte der Fässer.

Kurz darauf entdeckte das Wasser- und Schifffahrtsamt bei Routinescans des Flussbettes eine Unebenheit in der Form eines Schiffes. Taucher brachten eine Sensation ans Licht: Ein gut erhaltenes historisches Frachtschiff mit Ladung. Das ist im südlichen Ostseeraum bisher einmalig und könnte wertvolle Erkenntnisse liefern über den Seehandel in der Ostsee, mit dem Lübeck schon immer eng verbunden war.

Als das Schiff 2020 freigelegt wurde, fraß sich die Schiffsbohrmuschel durchs Holz

Die Bürgerschaft beschloss, das Schiff für geschätzte 2,5 Millionen Euro bergen zu lassen. Die Stadt beauftragte eine Firma für Unterwasser-Archäologie und stellte als Projektleiter den Unterwasser-Archäologen Felix Rösch ein. Sie installierten über dem Wrack ein Tauchschiff mit einem Dokumentationscontainer.

Zuerst befestigten die sechs Taucher an jeder Planke, jeder Scherbe und jedem Fass mit einem Unterwasser-Akku­schrauber eine Marke, wie sie auch Kühe im Ohr haben, und eine weitere mit der gleichen Nummer an der Fundstelle, um zu dokumentieren, woher der Fund stammte. Sie scannten das Gebiet mit Unterwasser­kameras. Als dann am fünften Juni das erste Fass aus dem Wasser geholt wurde, waren Medienvertreter aus dem ganzen Land dabei.

Mit einer Art großem Staubsauger entfernen die Taucher seitdem Schlamm von den Fundstücken, befestigen sie mit einem Kran und heben sie Planke für Planke und Fass für Fass. Inzwischen schaffen sie zwanzig Fässer am Tag. Einige weiter oben gelegene Fässer bestehen nur noch aus dem Branntkalk, der beim Kontakt mit dem Wasser fest geworden ist, einige der Holzteile sind durchlöchert wie ein Insektenhotel.

Der Grund: Als das Schiff 2020 freigelegt wurde, hat die Schiffsbohrmuschel Teredo navalis darin ein Festmahl veranstaltet. Eigentlich ein Salzwassertier, hat sie sich in den letzten Jahren auch in der Ostsee ausgebreitet und zersetzt Holzwracks in nur fünf bis zehn Jahren komplett.

Deshalb ist die Bergung des Schiffs auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Inzwischen hat man schon das Mittelschiff, das Deck und drei Anker aus dem Wasser geholt. Darunter liegen gut erhaltene Fässer und Alltagsgegenstände, zum Beispiel Kuhhörner von einem Rind, das als Proviant an Bord war, oder Teile einer Glasflasche mit der Prägung „LONDN“, die wahrscheinlich eine Spirituose aus der englischen Hauptstadt enthielt.

Gegencheck im Archiv

Diese Funde sind besonders spannend, weil sie vom damaligen Alltag erzählen und Hinweise darauf geben, wann das Schiff untergegangen sein könnte. Auch im Archiv der Stadt Lübeck muss es Einträge über den Unfall geben, aber noch wurden die Akten dazu nicht gefunden.

Die geborgenen Wrackteile bringen die Archäologen in eine Halle am Stadtrand. Dort liegen die Fässer feucht eingepackt in weiße Folie auf Euro­paletten. Das Holz muss nass gehalten werden, deswegen liegen die Schiffsteile in fünf mal zehn Meter großen Wasserbecken aus gelber Plane. Weil es Süßwasser ist, sind die Schiffsbohrmuscheln abgestorben und treiben wie Sojasprossen auf dem Boden.

Mit Hilfe der Dendrochronologie haben Felix Rösch und seine Kollegen außerdem herausgefunden, dass das Holz aus schwedischer und norddeutscher Eiche, Kiefer und Buche besteht. „Es ist gut möglich, dass das Schiff hier gebaut wurde“, sagt Rösch. „Lübeck war nach den Niederlanden der größte Schiffsbauer im Ostseeraum.“

In einer Ecke der Halle sind große Lichtschirme aufgebaut. Hier nimmt eine Fotografin mit einem Strukturlichtscanner ein Fass von allen Seiten auf. Für eine 3-D-Dokumentation werden alle Wrackteile einzeln getrocknet und aufgenommen. Was danach mit ihnen passiert, weiß noch niemand. Wahrscheinlich werden sie in einem Museum gezeigt. Dass aber alle 170 Fässer ausgestellt werden, ist unwahrscheinlich. „Wenn wir den Kalk jetzt trocknen ließen, würde er zerbröseln“, sagt Felix Rösch halb im Ernst. „Dann hätten wir einen sehr guten Baustoff“. Da trifft es sich gut, dass Lübeck gerade seine historischen Kirchen restauriert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.