piwik no script img

Schienengipfel der BundesregierungNicht mehr als eine Vision

Bundesverkehrsminister Scheuer will einen europaweiten Takt für den Bahnverkehr. Dabei fehlen noch die nötigen Voraussetzungen in Deutschland.

Die Deutsche Bahn ist weit davon entfernt, ihre Züge im deutschlandweiten Takt fahren zu lassen Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Berlin taz | Vor dem dritten Schienengipfel der Bundesregierung am heu­tigen Montag mahnt das Bündnis „Allianz pro Schiene“ konkrete Schritte für den Ausbau des Bahnverkehrs in Deutschland an. Im Mittelpunkt der virtuellen Veranstaltung steht die Entwicklung eines abgestimmten europäischen Fahrplans mit regelmäßigen Verbindungen und Anschlüssen, der sogenannte Europatakt.

Die Bahnpolitik dürfe nicht den zweiten vor dem ersten Schritt gehen, kritisiert die Allianz pro Schiene. Dem Bündnis gehören mehr als 20 Umweltverbände, Organisationen und Gewerkschaften an, die 2,65 Millionen Mitglieder repräsentieren. Ohne einen funktionierenden Deutschlandtakt sei ein Europatakt nicht denkbar, kritisiert das Bündnis. Doch dafür unternehme die Bundesregierung zu wenig.

Der Hintergrund: An diesem Montag findet zum dritten Mal der Schienengipfel mit Ak­teu­r:in­nen aus der Bahnbranche statt, zu dem Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) eingeladen hat. Beim Schienengipfel im Juni 2020 haben Minister und Branche einen Pakt geschlossen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die politisch gewollte Verdopplung der Fahrgastzahlen bis zum Jahr 2030 erreicht werden kann.

Dieses Mal geht es um die europäische Perspektive des Bahnverkehrs und die Rolle Deutschlands als Transitland. Erstmals wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Schienengipfel sprechen. Zu Beginn der Veranstaltung wird eine Absichtserklärung für die Wiederbelebung des Schnellzugs TEE unterzeichnet, der zwischen den 1950ern und den 80ern euro­päische Metropolen verband. Bekanntgegeben werden soll auch ein Abkommen zum Ausbau der Verbindung Berlin–Prag–Wien zwischen Deutschland, Tschechien und Österreich, mit dem erste Schritte zur Umsetzung des TEE-Projekts in Gang kommen sollen.

Kein Fahrplan für Einführung des Deutschlandtakts

Außerdem wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Strategien und Maßnahmen für die Bahn im Zuge des European Green Deal vorstellen. Die Kommission und das EU-Parlament haben 2021 zum Europäischen Jahr der Schiene erklärt. Außer einer beschlossenen Verschlechterung der Fahrgastrechte ist bislang auf europäischer Ebene allerdings noch nichts passiert. Künftig sollen Reisende keine Entschädigung mehr erhalten, wenn Züge wegen höherer Gewalt eine gravierende Verspätung haben.

Die virtuelle Veranstaltung am Montag steht unter dem Motto „Deutschlandtakt trifft auf Europatakt“. Der Begriff „Deutschlandtakt“ bezeichnet einen für die gesamte Bundesrepublik aufeinander abgestimmten Fahrplan mit häufigen regelmäßigen Verbindungen zwischen Großstädten und reibungslosen Anschlüssen in die Regionen. Dieser – von der Realisierung in Deutschland weit entfernte – Takt soll nach dem Willen von Bundesverkehrsminister Scheuer perspektivisch in ganz Europa realisiert werden.

Die Vision vom Europatakt sei sehr zu begrüßen, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene im Vorfeld des Gipfels. „Der Europatakt steht für einen aktiven Klimaschutz in einer EU, in der viele Flüge durch ein attraktives Angebot auf der Schiene überflüssig werden“, betonte er. „Wir haben aber noch nicht einmal den Deutschlandtakt.“ Bislang habe die Bundesregierung die Umsetzung des Vorhabens in einzelnen Etappen noch nicht verbindlich auf den Weg gebracht. „Ohne einen funktionierenden Deutschlandtakt als Fundament kann es mit einem Europatakt nichts werden“, sagte er.

Kritik am Schienengipfel kommt auch aus der Opposition. „Ein Schienengipfel ist bitter nötig, aber es muss endlich entschieden gehandelt werden“, sagte der Abgeordnete der Linken Victor Perli, Mitberichterstatter für das Bundesverkehrsministerium im Haushaltsausschuss. Im vergangenen Jahr sei kein einziger neuer Kilometer Schiene gebaut worden und die Zahl der Gleisanschlüsse weiter gesunken.

Noch immer hätten selbst mittelgroße Städte keinen Anschluss an den Fernverkehr. „Viel Geld fließt nur in Mega-Projekte wie Stuttgart 21 und auch der Deutschlandtakt geht vor allem in diese Richtung“, sagte er. Solange die Bahn nicht stärker auf den Ausbau in der Fläche und ihr Kerngeschäft in Deutschland verpflichtet werde, werde sich an den Problemen im Bahnverkehr nichts ändern. Die Deutsche Bahn hat in der Vergangenheit weltweit expandiert. Vor allem deshalb trifft sie die Coronakrise finanziell sehr hart.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Bundesverkehrsminister Scheuer will einen europaweiten Takt für den Bahnverkehr.

    Wer nimmt den denn noch ernst!

  • Für den Ausbau in der Fläche sind im wesentlichen die Länder zuständig, nicht die Bahn. Die bestellen den Regionalverkehr. Da scheint der Sachverstand bei dem Linken-Abgeordneten begrenzt zu sein.



    Um eine Alternative zu Inlandsflügeln zu schaffen, braucht es zudem durchaus Großprojekte, nur mit neuen Schnellfahrstrecken wird es überhaupt möglich sein, die dafür notwendigen Kapazitäten mit einer verbesserten Zuverlässigkeit zu schaffen. Dafür werden auch mal Bäume gefällt oder bedrohte Tierarten umgesiedelt werden müssen, das darf nicht jeden Bau verzögern.



    Wenn die Bahn es dann noch schafft , ein W-Lan anzubieten, dass so zuverlässig ist, dass man Reise- und Homeoffice-Tage zusamnenlegen kann, dann können Auto und Flugzeug kaum noch mithalten und man hat wirklich etwas für klimafreundlichere Mobilität getan.

    • @Ruediger:

      Die Inlandsflüge sind nur Symbolpolitik ohne nennenswerten Nutzen (CO2-Anteil = 0,3% und bringt damit ähnlich viel wie ein Tempolimit auf der Autobahn mit 0,2%). Die letzte große Lücke (München - Berlin) wurde mit VDE 8 geschlossen. Was noch an Inlandsflügen unterwegs ist, sind vor allem Nischenverbindungen (z.B. Lübeck - Stuttgart), wo die Nachfrage nicht mal für einen einzigen täglichen Flug mit ner ATR 72 (74 Sitzplätze, ein einzelner Eisenbahnwagen) reicht. Dafür ne SFS zu bauen, wäre mit Atombomben auf eine Mücke zu schießen. Kann man machen, das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen ist aber sehr fragwürdig.

  • Die Bahn sollte erstmal anfangen, so etwas wie Zuverlässigkeit an den Tag zu legen. Ein integraler Taktfahrplan funktioniert mit der aktuellen Pünktlichkeit und Ausfallrate jedenfalls nicht. Die Schweizer haben eine deutlich höher belastete Bahninfrastruktur und schaffen trotzdem eine erheblich bessere Zuverlässigkeit. Ein Bekannter meinerseits fuhr mal in der Schweiz mit den SBB, 4 mal umsteigen mit je 4-6 min Umsteigezeit. Hat alles hervorragend funktioniert. Wenn ich meine Erfahrungen aus meiner wenige Jahre zurückliegenden Studienzeit betrachte: zeitweise eine Ausfallrate von 27% und einer 30-min-Pünktlichkeit von 64%. So vergrault man seine Kunden und treibt sie ins Auto.