Schiedsrichterinnen bei der WM: Lächelnd im Sturm
Uefa-Schiedsrichterbeobachterin Elke Günthner verteilt eine miese Note an die Südkoreanerin Cha Sung Mi. Und sieht einen gewissen Nachholbedarf im Schiri-Wesen.
BERLIN taz | Es waren Stürme der Entrüstung, die durchs Frankfurter Stadion zogen. Wie Rohrspatzen schimpften die Zuschauer auf eine kleine Südkoreanerin namens Cha Sung Mi – die Hauptschiedsrichterin.
Was sie da unten auf dem Grün anstellte, war aber auch unglaublich. Sie dachte gar nicht daran, die holzenden Nigerianerinnen zu verwarnen. Die durften grätschen und treten nach Herzenslust. Melanie Behringer wurde in der ersten Halbzeit so bearbeitet, dass sie mit einem wehen rechten Knöchel ins Krankenhaus musste. Diagnose: Dehnung des Außenbandes. Alexandra Popp wurde in Kung-Fu-Manier von hinten angesprungen.
Fast jeder Spielzug der DFB-Elf endete mit einer unerlaubten Attacke der extrem physisch spielenden Afrikanerinnen, die dem Turnierfavoriten damit den Schneid abkauften. Und das stets lächelnde Fräulein Cha? Nahms's locker und verwarnte Raubein Ohale erst in der 51. Minute; es blieb die einzige Karte für den Afrikameister. Keine Frage: Das Spiel wäre ein anderes gewesen, wenn Cha früher und beherzter eingegriffen hätte.
„Sie hat halt spielen lassen“
Das findet auch Elke Günthner, ehemalige deutsche Fifa-Schiedsrichterin. „Das sollte eigentlich nicht passieren in so einem Spiel“, sagt sie der taz. Günthner will Cha aber nicht verdammen, zu ihrer Ehrenrettung führt sie an: „Sie hat halt spielen lassen. Total verpfiffen hat sie die Partie, wie ich finde, nicht. Und spielentscheidende Fehler wie ein falscher Elfmeter waren auch nicht dabei.“
Seit 1999 setzt der Fußballweltverband Fifa nur noch Schiedsrichterinnen bei Großturnieren ein. Günthner, die heute im Bochumer Schauspielhaus arbeitet, war seinerzeit dabei. „Wir hatten damals große Angst, dass wir den Anforderungen nicht gewachsen sein könnten, aber es lief dann im Prinzip positiv.“ Ein paar kleinere Ausrutscher gab es natürlich – so ähnlich wie jetzt in Frankfurt. Das Schiedsrichterwesen der Frauen sei immer noch im Aufbau. Das Problem sei vor allem, dass der Frauenfußball in etlichen Ländern nicht so entwickelt ist. „Viele Schiedsrichterinnen können zwar Spiele pfeifen, so lange sich alle auf dem Platz lieb haben, aber wenn es auf die Knochen geht, sind sie völlig überfordert.“ Es komme hinzu, dass sich die Schiri-Assistentinnen oft nicht trauten, den Referee auf dem Platz zu überstimmen oder eine starke eigene Meinung zu vertreten.
Cha, 35, pfeift zum ersten Mal bei einem richtig großen Turnier. Sie hat Erfahrungen sammeln können bei U17-Weltmeisterschaften 2008 und 2010. Mehr nicht. Aber sie hat immerhin die Fifa-Prüfungen im Vorfeld der WM bestanden. Aus 500 Kandidatinnen wurden schließlich 16 Hauptschiedsrichterinnen, 32 Assistentinnen und noch einmal drei sogenannte „vierte Offizielle“ herausgesiebt. Seit dem 16. Juni haben sie sich auf dem Gelände der Frankfurter Eintracht fit gemacht für die Weltmeisterschaft – jeden Vormittag mit Praxisübungen auf dem Platz, nachmittags dann in der Theorie vorm Bildschirm, wo Spielsituationen analysiert wurden. Man übte vor allem eins: Entscheidungen zu treffen, Situationen einzuschätzen, Urteile zu fällen. Hat Cha da etwa geschwänzt? „Bestimmt nicht, die wurden alle getrimmt“, sagt Günthner.
Sie war von 1995 bis 2006 Fifa-Schiedsrichterin und hat bei den Männern auf Regionalliga-Niveau gepfiffen. Sie weiß sehr gut, was Frauen an der Pfeife zu leisten imstande sind. Sie beobachtet im Auftrag des europäischen Verbandes Uefa Spiele und schätzt danach die Leistung der Schiedsrichterinnen ein. Sie kann danach Noten vergeben auf einer Skala von 1 bis 10. Wer eine zehn bekommt, der hat alles falsch gemacht. Cha hätte von Günthner eine 6 oder 7 bekommen, „das war eher eine mäßige Leistung“. Normalerweise liegt der Bewertungsdurchschnitt bei 3 bis 4.
Seit 1994 fördert die Fifa ernsthaft weibliche Referees. Damals wurde eine „Frauenliste“ mit Schiedsrichterinnen erstellt. Ein Jahr später gingen 13 Frauen (und 11 Männer) mit Pfeife ins WM-Turnier. Die Männer wurden bald nicht mehr gebraucht, auch wenn die Leistungen von Spielleiterinnen aus Tonga, Benin oder Fiji nicht immer top sind. Das liegt aber weniger an der Schiri-Frauenquote, sondern vielmehr am Kontinentalproporz der Fifa.
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