Schauspieler Udo Kier: „Das ist kein Konzept. So bin ich.“
Udo Kier wird gerne als Bösewicht besetzt. Ein Gespräch über das Spiel der Wahrheit, die Liebe zu Palmen, Respekt und Rainer Werner Fassbinder.
sonntaz: Herr Kier, am 14. Oktober werden Sie 70 Jahre alt …
Udo Kier: Ich fühle mich zeitlos! Der Kopf ist da, ich kann meine Texte lernen, ich kann auch springen. Manchmal lache ich innerlich über mich selbst, dass ich noch so rumspringe. Mir geht es gut. Ich suche mir die Filme jetzt im Alter einfach besser aus. Ich bin gesund, aber das kann sich ja auch ganz schnell ändern.
In der Tat. Der Schauspieler Gert Voss ist im Alter von 72 Jahren überraschend verstorben. Sie ersetzen ihn jetzt in der österreichischen Fernsehserie „Altes Geld“.
Der erste Drehtag, da hat sich dann schon einiges in meinem Kopf abgespielt. Aber ich hatte super Kollegen. Die einzigen Bedenken von mir waren am Anfang: Burgschauspieler – Filmschauspieler. Der König der Burg wird ersetzt durch einen Schauspieler, der auch Filme gemacht hat wie „Schamlos“, „Dracula“ und „Frankenstein“.
Aber Sie drehen auch mit Schwergewichten wie Lars von Trier und haben viele Preise gewonnen.
Die Preise stehen bei mir alle auf der Toilette. Dort müssen Gäste irgendwann mal hin. Und dann kommen sie zurück und sagen: „Wusst ich ja gar nicht!“ Die ersten zwei Wochen stelle ich sie für gewöhnlich auf einen Tisch, damit ich sie sehe. Und dann kommen sie weg.
Sie haben eine beeindruckende Karriere hingelegt. Haben Sie noch Träume?
Man muss ja Träume haben. Wenn sich alle erfüllen, gibt’s keine Träume mehr. Mein Lieblingsauto als junger Mann war der Mercedes W 109. Vor ein paar Jahren habe ich ihn mir in Amerika gekauft. In Havannabraun. Das Auto hab ich mir dann vors Haus gestellt. Wenn ich morgens Kaffee trinke, gucke ich auf meinen Traum.
Der Mann: Udo Kierspe wurde am 14. Oktober 1944 in Köln-Mülheim geboren. In der Jugend Jobs bei Ford am Fließband und als Model. Lernte in Cannes den Industriellenerben Arndt von Bohlen und Halbach kennen und ließ sich von ihm ein Weilchen aushalten. Ging mit 19 Jahren nach London, lebt heute in den USA. Kaufte sich vor einigen Jahren ein ehemaliges Schulgebäude in der thüringischen Gemeinde Gehren.
Das Werk: Wird sehr gerne als Bösewicht und Streuner in merkwürdigen Welten besetzt, unter anderem 1973 in Paul Morrisseys „Dracula“. Machte bei vielen Schlingensief-Filmen mit, „Das deutsche Kettensägenmassaker“ 1990 ebenso wie „Udo Kier – Tod eines Weltstars“ 1992. Hat keine Angst vor Trash und spielte 2008 für den Computerspielverfilmer Uwe Boll in der Umsetzung von „Far Cry“ mit. Den Weg nach Hollywood beschritt er 1991 mit der Rolle als Freier in dem Roadmovie „My Private Idaho“.
Aufgewachsen sind Sie ja in einfachen Verhältnissen in Köln.
Wir hatten überhaupt kein Geld. Ich wurde Ende des Krieges geboren. Ich bin gezwungener Vegetarier gewesen. Wir hatten kein Geld für Fleisch. Es gab nur Suppen: Gerstensuppe, Bohnensuppe, Linsensuppe. Sehr gesund. Dann bekam ich 50 Pfennig geschenkt von meiner Mutter, rannte ins Vorstadtkino und guckte mir Filme mit Piratenschiffen an, Errol Flynn. Mein Zimmer war ganz klein. Gebadet wurde ich einmal in der Woche, im Badewasser meiner Mutter. So embryomäßig in dieselbe Brühe rein. Meiner Mutter zuliebe habe ich auch eine kaufmännische Lehre gemacht, meine besten Jahre verschwendet. In der Mittagspause habe ich aus dem Büro Autogrammwünsche an Romy Schneider geschickt.
Wer nicht viel hat, braucht Fantasie?
Wir wohnten auf einer Etage mit drei Familien, und dann wurde der erste Plattenspieler gekauft, mit einer einzigen Platte, und die war von Caterina Valente. Als Besuch kam, habe ich meine kleinen Füßchen in die viel zu großen Schuhe meiner Mutter gesteckt, mir irgendwas umgehangen oder mir ein Hütchen aufgezogen und hab dazu gesungen. Playback als Sechsjähriger!
Lange hat es Sie aber nicht in Deutschland gehalten.
Mit 19 bin ich nach London gegangen. Dort habe ich Englisch gelernt und mich von Deutschen ferngehalten. Dann wurde ich entdeckt: Ich spielte einen Gigolo in einem vierzigminütigen Film, der hieß „Die Straße nach St. Tropez“. Und gleich danach titelten die Zeitungen: „Das neue Gesicht des Films!“ Und: „The most beautiful man in the world!“
Eine klassische Schauspielausbildung haben Sie nie absolviert?
Bei Lee Strasberg habe ich mal zum Spaß einen Kurs mitgemacht in München, als ich mit Fassbinder zusammenlebte. Dann kam ich abends in eine Kneipe rein, und Fassbinder hat mich gefragt: Was musstest du denn machen? Und ich erzählte, dass ich ein Bär sein musste, der „Oh, Tannenbaum“ singt. Das war nichts.
Wie sind Sie Rainer Werner Fassbinder begegnet?
In Köln gab’s eine Kneipe, die hieß „Bei Leni“, am Neumarkt. Das war eine Arbeiterkneipe, da war alles drin. Die ersten Transvestiten, Lastkraftwagenfahrer waren dort. Jedes Wochenende gab es eine Schlägerei und jemand bekam ein Bier in die Fresse. Ich trug die engsten Hosen und die spitzesten Schuhe, die Haare mit Birkenöl zu einer Tolle frisiert. Dort lernte ich Fassbinder kennen. Er war der Rainer, ich war der Udo. Dort war auch der erste operierte Transsexuelle. Das wollten natürlich alle sehen. Da mussten wir auf die Toilette, um uns dieses Ding anzugucken.
Den Regisseur Luchino Visconti haben Sie auch in einer Bar kennengelernt.
In einem Londoner Nachtklub. Plötzlich kommt der Kellner und sagt mir, dass Herr Visconti und Herr Nurejew mich auf ein Glas Champagner einladen möchten. Ich habe geantwortet, dass die selber kommen sollen. Dann kam Luchino Visconti an meinen Tisch. Es gibt ein Foto davon: Da hängt an der einen Seite von mir der Visconti und an der anderen der Rudolf Nurejew. Nurejew hat von sich übrigens nur als „Beine“ gesprochen. Der sagte dann immer: My legs are tired! My legs want to go home! Ich als 21-Jähriger saß da rum und dachte mir nur, was sind das denn für Leute!
Wie ging das dann weiter?
Am nächsten Morgen fuhr ein Auto um meinen Block, immer und immer wieder. Ein Chauffeur stieg aus und fragte nach meinem Namen und überreichte mir ein Paket in Cartier-Papier. Darin war ein Lesezeichen mit vier blauen Perlen und Viscontis Adresse. In Rom hat er mich dann zu sich nach Hause eingeladen. Und dort wurde das Spiel der Wahrheit gespielt.
Was ist das?
Das gab’s auch bei Fassbinder. Während der Dreharbeiten zu „Bollwieser“ habe ich Rainer gesagt, dass mich ein anderer Schauspieler – Namen nenne ich nicht – nicht mag. Abends saßen wir dann am Tisch und Fassbinder wollte das Spiel der Wahrheit spielen und stellte die erste Frage an mich: „Udo, was hast du mir heute erzählt, wer dich nicht mag?“ Dann musste ich es sagen. Und so lernt man, die Wahrheit zu sagen.
Die Zusammenarbeit mit Fassbinder war aber nicht immer einfach für Sie.
Fassbinder und auch Lars von Trier, mit dem ich seit fünfundzwanzig Jahren arbeite, sind Regisseure, in denen wahnsinnig viel drin ist. Die sind wie ein zu voll gepumpter Autoreifen, und dann müssen sie eben immer mal wieder Luft ablassen. Bei Fassbinder kam aber irgendwann der Punkt, wo ich zu viel abbekommen habe. Die Luft kam raus und formte sich zu Worten: Du bist der schlechteste Schauspieler. Du bist der schlechteste Autofahrer. Er musste wen kränken, und ich war der Erste, den er morgens in der Küche gesehen hat. Ich hab dann meinen Koffer gepackt. Er hat ihn die Treppen runtergeworfen.
Bei Helmut Berger, mit dem Sie auch zwei Filme gedreht haben, hat man das Gefühl, er ist aus dieser Zeit, aus diesen ausschweifenden sechziger und siebziger Jahren nie herausgekommen. Sie selbst waren da viel beweglicher.
Ich habe so viel Glück gehabt in meinem Leben. Gus Van Sant habe ich zufällig in Berlin getroffen, Paul Morrissey saß im Flugzeug neben mir. Ich habe noch nie einen Brief an einen Regisseur geschrieben. Aber ich bin anpassungsfähig. Ich habe meinen Studenten immer gesagt: Das wichtigste Wort ist Respekt. Ich respektiere jeden. Im Taxi setze ich mich meistens vorne rein, weil ich nicht das Gefühl geben will, dass ich transportiert werde, dass mich jemand transportieren muss. Das ist auch kein Konzept. So bin ich.
Studenten? Das heißt, es gab einen Professor Kier?
Ich war Professor in Braunschweig, Theorie zur Schauspielkunst, und da habe ich auch gesagt, ich will nur sieben Studenten. Vier von denen sind jetzt selbst Professoren. Um den Job zu bekommen, musste ich einen Vortrag halten vor allen Studenten, und dann wurde entschieden, ob sie mich nehmen oder nicht. Da habe ich einen Vortrag gehalten über Fensterputzen und Kartoffelschälen. Das war offenbar sehr überzeugend. Man sieht ja den Charakter der Leute beim Kartoffelschälen. Der eine ist ganz genau und penibel, der andere macht ein Viereck daraus oder ist verschwenderisch.
Ich nehme an, Sie bekommen viele Drehbücher. Was muss ein Projekt denn haben, dass Sie darin mitwirken wollen?
Ich bekam zum Beispiel ein Angebot von der Cinemathek in Los Angeles. Ich sollte Guy Maddins „Brand Upon the Brain!“ sprechen. So was hatte ich noch nie gemacht. Rechts von mir ein Orchester, links von mir Geräuschmacher und vor mir ein Monitor mit dem Film und dem Text, den ich sprechen soll. Plötzlich stand da dann „3 Minuten Orgasmus“. Ich hab dann zwei Sekunden überlegt, mich fallen lassen auf dem Stuhl, und dann hatte ich einen Orgasmus.
Geht das so schnell?
Ich bin nicht zum Höhepunkt gekommen. Ich war schon mitten im Orgasmus drin! Das hätte sonst länger als drei Minuten gedauert. Ich bin ja kein Karnickel. Aber daraus entstand dann auch der Film „Keyhole“ von Guy Maddin. So entsteht bei mir alles.
Sie leben in Amerika – seit wann eigentlich?
In Los Angeles, ja. Mein erster amerikanischer Film war „My Own Private Idaho“ von Gus van Sant. Ich hatte bei einer Freundin gewohnt in Amerika, und sie meinte dann: Warum bleibst du eigentlich nicht hier? Dann habe ich mir einen knallroten Käfer gekauft für 900 Dollar, mir ein kleines Zimmer genommen und bin geblieben. Ich werde auch nicht mehr weggehen von dort.
Des Berufs wegen?
Wegen des Wetters! Ich lebe dort für die Sonne, wegen meiner Knochen. Und ich liebe Palmen!
Palmen?
Als ich klein war, war meine Tante die Einzige, die ein bisschen Geld hatte. Die fuhr dann auf Urlaub und schickte mir immer Postkarten mit Palmen drauf. Die habe ich immer an die Wand gepinnt. Und heute habe ich sie im Garten. Fünfzig, sechzig Palmen oder noch mehr: von der Postkarte zur Realität. Ich spreche auch mit meinen Bäumen. Im Kopf.
Haben Sie auch Tiere?
Ein Plastikpferd, lebensgroß. Das heißt Max von Sydow. Ich hatte Hunde, alles Straßenhunde. Ich finde es eine Schande, wenn Leute so teure Hunde kaufen und die anderen sterben im Tierheim. In Amerika ist das so, wenn ein Hund aufgelesen wird und keiner sich meldet, wird er nach zwei Wochen eingeschläfert.
Wie leben Sie in Los Angeles?
Ich lebe in einer ehemaligen Bücherei von einem berühmten Architekten aus der Schweiz, Albert Frey. Und ich sammle moderne Möbel. Ich habe ein Esszimmer von Paul Frankel, der war ja Österreicher. Dann sammle ich schon mein ganzes Leben lang moderne Kunst. Ich habe sogar Arnulf Rainer. An der einen Wand hängen Bilder von David Hockney und Robert Longo, und überall steht drauf: „Für Udo, with Love.“ Dort trinke ich meinen Kaffee und sehe, wie viele Menschen mich lieben. Ich habe auch eine Ranch, auf der das Plastikpferd steht. Aber es gibt dort auch ganz viele richtige Tiere.
Ist das Häusliche wichtiger geworden für Sie mit dem Alter?
Das ist die Umgebung, die ich für mich selber kreiert habe. Und dann muss das auch gepflegt werden. Für mich ist es wichtig. Und es ist auch besser für die Geschichtsbücher: Wenn da stehen würde, geboren in Köln, gestorben in Köln, denken doch die Leute, ich bin nie rausgekommen. Ist doch viel schöner, wenn es heißt: Er fuhr mit seinem havannabraunen Mercedes über die Klippen in Santa Monica. Im Hugo-Boss-Anzug aus dem Wasser gefischt. Ist doch toll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht