Schau über jüdisches Leben in Harburg: „NS-Hassparolen rekonstruiert“
Jüdischen Spuren widmet sich eine Ausstellung im Stadtmuseum Harburg. Sie zeigt auch Tora-Rollen, die in der Reichspogromnacht 1938 beschmiert wurden.
![Jüdischer Friedhof in Harburg Jüdischer Friedhof in Harburg](https://taz.de/picture/4995318/14/Juedischer-Friedhof-Harburg-1.jpeg)
taz: Herr Brauer, gab es in Harburg mehr jüdisches Leben als in Hamburg?
Jens Brauer: Eher weniger. Die Harburger jüdische Gemeinschaft bestand seit circa 1610, hatte aber nur etwa 350 Mitglieder. Sie waren allerdings gut ins städtische Wirtschaftsleben integriert.
Bestanden Kontakte nach Hamburg?
Ja. Vor allem nach der Reichspogromnacht 1938 siedelten Harburger Juden ins Hamburger Grindelviertel über. Dort gab es eine große Gemeinde und den Schutz größerer Anonymität.
Die Ausstellung „Orte jüdischen Lebens in Harburg“ im Stadtmuseum Harburg (Museumsplatz 2) ist bis 17.10.2021 zu sehen.
Wie verlief die NS-Zeit für die Harburger Juden?
Wie überall im „Dritten Reich“. 1933 erstellte der Magistrat eine Liste zu boykottierender Geschäfte. Am 1. April marschierte dort die SA auf und schmierte diskriminierende Parolen an die Schaufenster. Bald darauf wurden Juden von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, mussten ihre Geschäfte aufgeben. Am 10. November 1938 wurde Harburgs jüdischer Friedhof geschändet, die Leichenhalle angezündet, die Feuerwehr am Löschen gehindert. Gleichzeitig wurde die Synagoge aufgebrochen, Mobiliar zerschlagen, Gebetsbücher und andere Kultgegenstände auf der Straße verbrannt.
Brannte auch die Synagoge?
Nein. Unmittelbar daneben lag eine Kfz-Werkstatt mit Benzin, und man befürchtete, dass die Flammen überspringen würden. Noch in den 1940er-Jahren ließ das NS-Regime die Synagoge allerdings abreißen. Heute steht dort ein Wohnhaus. Daneben hat man einen Teil des alten Synagogenportals nachgebaut.
Zeigt Ihre Schau das alles erstmals?
Nein. Für die Ausstellung, die ausschließlich eigene Exponate zeigt und gemeinsam mit der Geschichtswerkstatt und der Initiative Gedenken in Harburg entstand, haben wir unter anderem Zeitzeugen-Interviews der 1990er-Jahre und Recherchen der Stolperstein-Initiative genutzt. Und da die letzte Ausstellung des Harburger Stadtmuseums über jüdische Geschichte 30 Jahre zurückliegt, war es an der Zeit, das Thema neu zu beleuchten.
Was genau ist zu sehen?
Zum Beispiel Teile der Soldatenuniform des Karl Jeremias Elkan, der für seine Verdienste in der Schlacht bei Waterloo eine Konzession fürs Speditionsgewerbe bekam, das Juden sonst verwehrt war. Außerdem Silbergegenstände, die Juden 1939 zwangsverkaufen mussten. Was nach 1945 nicht restituiert werden konnte, wurde auf die Hamburger Museen verteilt. Am wichtigsten sind drei Tora-Fragmente, die wir im Februar von der Geschichtswerkstatt bekamen: Wir haben darauf – mit Hilfe des „Centre for the Study of Manuscript Cultures“ der Universität Hamburg – Hassparolen wieder sichtbar machen können.
Was stand da?
„Juda verrecke“ und „Der Mord an unserem Genossen vom Rath fordert Sühne“. Das bezog sich auf das Attentat des Juden Herrschel Grynszpan am 7. 11. 1938 auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath, den das NS-Regime als Vorwand für die „Reichspogromnacht“ nutzte. Da stand außerdem: „Ich bedaure, dass er nicht tot ist, sagt der Jude Grynszpan nach seinem Mord an vom Rath. Ich tat das nicht aus mir heraus, sondern im Namen des jüdischen Volkes.“ Das entspricht dem Wortlaut der NS-Propaganda, wie sie tags zuvor in den Zeitungen zu lesen war. Dies ist meines Wissens das erste Mal, das NS-Parolen von 1938 auf Tora-Rollen dokumentiert werden konnten.
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