Schamanismus in Russland: Magie gegen Putin
Alexander Gabyschew will von Sibirien nach Moskau laufen, um Russland von „Dämonen“ zu befreien. Ein erster Versuch endete in der Psychiatrie.
Am Stadtrand von Jakutsk wurde die Gruppe von FSB-Geheimdienstlern Anfang der Woche jedoch wieder festgesetzt, berichtet der Menschenrechtler Alexei Prjanischnikow, der die Festnahme auch auf Video festhielt. Angeblich wird dem Schamanen Widerstand gegen die Staatsgewalt zur Last gelegt. Gabyschew soll sich auf der Polizeiwache 2 in Jakutsk aufhalten.
Gabyschew war schon einmal im März bei 40 Grad unter null aufgebrochen. Sechs Monate zog er von Jakutsk mit einem Aluminiumkarren und einigen Anhängern durch die Weite Sibiriens. Im September war Schluss. Sicherheitskräfte setzten den Übersinnlichen in ein Flugzeug zurück in seine Heimatstadt Jakutsk.
Dort verschwand der 51-jährige Magier in einer psychiatrischen Klinik, die den friedliebenden Störenfried auf Zurechnungsfähigkeit untersuchte. Danach stieg der Schamane bei seiner Schwester in Jakutien ab.
Extremistische Umtriebe
Vorher musste er jedoch unterschreiben, dass er das Land nicht verlässt. Auch extremistischer Umtriebe wurde er noch bezichtigt. Extremismusvorwurf und Hausarrest wurden fallengelassen.
„Russland ist mit dir!“, „Freiheit für den Schamanen“ stand auf Plakaten, mit denen Demonstranten ihn nach der Zwangsrückkehr auf dem Leninplatz im ersten Schnee begrüßten. 2.000 Kilometer hatte er bis Transbaikalien schon zurückgelegt.
Auch nach dem Aufenthalt in der Psychiatrie beklagte er sich nicht. Ihm ginge es gut und es gäbe keine Klagen, behauptete er damals. Die repressive Sprache der Sicherheitskräfte schien ihm jedoch Angst einzujagen.
Zwei Dutzend vermummte Nationalgardisten hatten den Schamanen samt Anhängern in einer Nacht- und Nebelaktion am Baikalsee festgenommen. Vorausgegangen war eine Versammlung von Wählern in Ulan-Ude in der Nachbarregion Burjatien. Sie behaupteten, der Kreml-Kandidat für das Bürgermeisteramt sei nur mit gefälschten Stimmen ins Amt gelangt.
Künstliche Depression
„Sascha“ Schamane schaltete sich ein und fand aufmerksame Zuhörer. Eigentlich möchte er eine „Volksherrschaft“ errichten. Das Volk sei in eine künstliche Depression versetzt worden, meint er. Ihm wird auch nachgesagt, zerstörte Harmonie wieder ins Lot bringen zu können.
Ursprünglich plante Gabyschew bei einem durchschnittlichen Tagespensum von 25 Kilometern im August 2020 in Moskau einzutreffen. Dort wollte er den „Dämonen“ mit seinen Anhängern vertreiben. Sollte dies misslingen, würde er wenigstens die schlechten Geister des Präsidenten austreiben.
Gabyschews Mutter hatte ihn nach dem Tod seiner Frau in den Wald geschickt. An der Trauer sei er fast zerbrochen, sagt er. Drei Jahre in der Einöde hätten ihn zum Schamanen gemacht. Heute besäße er Kräfte, mit denen er negative Einflüsse vertreiben könne. Von Beruf ist Gabyschew Historiker, er arbeitete jedoch meist als Schweißer.
Gabyschew ist eine öffentliche Figur. Russland verfolgt sein Schicksal. „Anscheinend nehmen die Herrschenden die schamanische Welt als Bedrohung wahr“, meint Dichter Lew Rubinstein. „Sie glauben selbst an Zauberer und praktizieren den in Melanesien verbreiteten Kargo-Kult. Der besteht aus der rituellen Imitation von Erwachsenenwelt und Zivilisation.“
Kein Haar krümmen
Wahlen, Gerichte und Parlamente seien nur künstliche Nachbildungen, sagt Rubinstein. Die Amtsträger seien selbst „heidnische Schamanen“ und hätten Angst vor dem Geisterbeschwörer. „Plötzlich hat Gabyschew bessere Kontakte zur Welt der Geister als der Schamane aus dem eigenen Hause“, schmunzelt der Dichter.
Gabyschew hielt auch nach seiner Festnahme an seinem Vorhaben fest: „Geh freiwillig, Wladimir“, bat er. Niemand werde Putin ein Haar krümmen. Den Marsch auf Moskau wolle er später fortsetzen, sagte Gabyschew.
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