Saudischer Kronprinz in der Türkei: Vom Paria zum politischen Makler
Der saudische Kronprinz Bin Salman besucht die Türkei. Seine Strategie: Loyalität kaufen, Iran isolieren und den Kashoggi-Mord hinter sich lassen.
Es war der erste Besuch des saudischen Kronprinzen in der Türkei, seit der saudische Dissident Jamal Khashoggi 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet wurde.
Eine von der UNO geleitete Untersuchung schlussfolgerte später, dass Saudi-Arabien ein 15-köpfiges Killerteam geschickt hatte. Grundlage dieses Fazits waren Tonaufnahme des türkischen Geheimdienstes von Gesprächen im Konsulat. Erdoğan selbst sprach davon, dass der Auftrag von „höchster saudischer Stelle“ gekommen sei. Auch der US-Geheimdienst machte den Kronprinzen als Auftraggeber verantwortlich.
Dass Erdoğan und MBS sich zu Beginn des Treffens herzlich umarmten, zeugt davon, dass beide Seiten das Khashoggi-Kapitel hinter sich bringen wollen. Der eine möchte seine internationale Isolation beenden, der andere braucht nach dem Verfall der Türkischen Lira dringend Geld. Mit einer Reise Erdoğans nach Saudi-Arabien letzten April hatte diese pragmatische Annäherung bereits begonnen.
Kritik setzt MBS den Ölreichtum entgegen
Auf dem Programm standen nun bessere Handelsbeziehungen und mehr Kooperation bei Verteidigung, Energie und Tourismus. Erdoğan lud die Saudis ein, in türkische Start-ups zu investieren.
Mit einer Inflation von teilweise über 70 Prozent hat das Land eine saudische Finanzspritze bitter nötig.
Die Methode des saudischen Kronprinzen, seiner internationalen Isolation zu entkommen, ist so einfach wie bestechend: Kritik setzt er den Ölreichtum seines Landes entgegen.
Das hat selbst mit US-Präsident Joe Biden funktioniert, der bald nach Saudi-Arabien reisen wird. Der Westen braucht Ersatz für die Ausfälle russischen Öls, Saudi-Arabien bietet sich an.
MBS investiert auch in Ägypten
Doch MBS will höher hinaus: Er möchte sich als Architekt einer neuen Sicherheitsordnung im Nahen Osten inszenieren. Dafür dienten vor allem seine beiden Reisestationen vor der Türkei-Visite – Ägypten und Jordanien. Die funktionieren nach dem gleichen Prinzip: MBS verteilt saudische Investitionen und versucht sich damit zum wichtigsten politischen Makler der Region zu machen.
Bei seinem Besuch in Kairo zu Beginn der Woche unterzeichneten MBS und der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi 14 Investitionsabkommen im Wert von 7,7 Milliarden Dollar in den Bereichen Fast Food, Windenergie und Luxus-Immobilien.
Die Regionalmächte Türkei und Ägypten wollen ihre jüngst turbulenten Beziehungen hinter sich lassen, MBS weiß das zu nutzen. Da sind etwa die angeschlagenen Beziehungen zwischen Ägypten und der Türkei. Erdoğan hat 2013 die Machtübernahme des ehemaligen ägyptischen Militärchefs und heutigen Präsidenten al-Sisi heftig kritisiert. Der von diesem politisch verfolgten ägyptischen Muslimbruderschaft gewährte Erdğgan in der Türkei Exil. In Libyen unterstützte al-Sisi General Haftar im Osten, die Türkei wiederum die Regierung in Tripolis im Westen.
Mit der Reise von MBS nach Ägypten und in die Türkei wurden einige Zäune geflickt: Erdoğan hat die Aktivität der ägyptischen Muslimbruderschaft in der Türkei eingeschränkt. Das Al-Sisi-Regime scheint hinter den Kulissen über die Möglichkeit der Freilassung einiger Muslimbrüder aus ägyptischen Gefängnissen zu verhandeln.
MBS' Trumpfkarte
Die neue Rolle von MBS als Regional-Architekt dient gleich mehreren seiner Zielen: Er isoliert damit seinen größten Rivalen Iran, außerdem macht er sich so auch im Westen wieder zu einem wichtigen Partner.
Seine größte Trumpfkarte, die Normalisierung der Beziehungen mit Israel, hat er damit noch nicht ausgespielt. Spätestens dann würde MBS vom westlichen Paria zum Darling. Und dann hieße es auf dem internationalen diplomatischen Parkett endgültig: Jamal Khashoggi, wer war das gleich noch mal?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“