: Sauberes Wasser – schlechte Beute
Hechte, Felchen, Karpfen, Weißfische. Der Bodensee gilt als ausgesprochen fischreich. Doch Urlauber und deutsche Spitzenrestaurants fressen unseren größten See Jahr für Jahr leer. Ohne Impfungen aus der Fischzuchtanstalt wäre es dort um den Nachwuchs schlecht bestellt ■ Von Eberhard Schäfer
Sauhund!“ Wie meinen? „Ein Sauhund ist das!“ schimpft Herbert Roth, kleingewachsen, 68 Jahre alt und seit fünfzig Jahren Fischer, über den dicken, großgewachsenen Karpfen, den er soeben aus dem Netz befreit hat. In den Maschen sollen eigentlich Hechte zappeln, den Karpfen liebt Roth nicht, er bringt ihm gerade mal eine Mark pro Kilo.
In aller Herrgottsfrühe tuckern wir am Bodenseeufer entlang. Vor uns liegt die Halbinsel Höri, deren Landschaftsbild soviel Harmonie ausstrahlt, daß sie dem Maler Otto Dix zum „inneren Exil“ wurde und Hermannn Hesse zu Gedichten und Erzählungen inspirierte.
Roths Kahn ist kaum größer als das Standardruderboot vom Bootsverleih. Und trotzdem ist es ein richtiges Fischerboot, in dem dann doch noch der Hecht landet. Sieben an der Zahl plumpsen im Lauf der nächsten Stunde in den Tank in der Bootsmitte. Sie sind wertvoller als der Karpfen und bringen denselben Preis wie die beiden Forellen, die als nächste in die Kiste fallen. Den Hecht kann Roth für zehn Mark das Kilo verkaufen.
Der alte Fischer aus dem malerischen Höridorf Moos fischt exklusiv: Seinen täglichen Fang verkauft er komplett an Klaus Neidhardt, den Chef des vielgelobten Mooser Restaurants Gottlieb. Neidhardt brät die Fische noch am selben Abend für seine Gäste, denn, so insistiert der Gastronom: „Das Wichtigste für delikaten Fisch ist die Frische, das Zweitwichtigste: die Frische.“
Neidhardts Hausfischer hat inzwischen ansehnliche Beute gemacht. An einem guten Tag fängt Roth zwanzig Kilo, an einem schlechten kommt er manchmal nur auf zehn Fischlein. Aber: Die guten Tage sind seit drei Jahren immer seltener geworden. Roths Erträge sind um zwei Drittel zurückgegangen. Und wer hat schuld? Wasserverschmutzer, Industrieeinleiter, Landwirte? Von wegen! „Das Wasser ist zu sauber geworden“, sagt der alte Fischer. Jedenfalls so sauber, daß die Bodenseefische nicht mehr so schnell fett werden. Phosphate aus der Landwirtschaft sorgten früher für hemmungsloses Algenwachstum – ein überreiches Futterangebot, da lachten Felchen und Karpfen. Damit ist es vorbei.
Vorbei auch die Zeiten, als Roth und seine Kollegen ihren Fang noch bei der Fischereigenossenschaft ablieferten. Sie gibt es nicht mehr, „Kochs Fischmarkt“ hat sie abgelöst. Der moderne Fischvermarkter befindet sich zwanzig Kilometer weiter auf der Insel Reichenau, ihr Chef heißt Horst Deggelmann. Vierzehn Fischer, wie fast alle 160 Bodenseefischer nur noch im Nebenerwerb aktiv, liefern ihren Fang in Deggelmanns blitzsauberen Hallen ab. In einigen Ecken stapeln sich Plastikkisten mit frisch angelieferten Fischen. Alle zehn Minuten sorgt der Spritzschlauch für Sauberkeit.
Durch den Betrieb gehen täglich zwischen vier- und fünfzehnhundert Kilo Fisch. Was bei Deggelmann ankommt, wird – zum Teil schon filetiert – weiterverkauft an die regionale Gastronomie, aber auch an den großen Restaurantservice „Rungis Expreß“, der Sternerestaurants in ganz Deutschland beliefert. Was nicht tagfrisch verkauft wird, landet in der Tiefkühltruhe oder wird geräuchert. Ehrensache bei Deggelmann: Nur Bodenseefänge werden als solche deklariert.
Der passionierte Hobbykoch gibt Tips für den täglichen Fischeinkauf: Rote Kiemen verraten, daß der Seebewohner auch wirklich frisch ist; graue, daß er schon Tage liegt. Die Augen müssen klar sein, sind sie trübe, ist es kein frischer Fisch.
Spätestens in der Pfanne zeigt das Filet seine Qualität. Tagfrisches Filet rollt sich beim Braten auf, das alte bleibt müde und platt in der Pfanne liegen. Doch die Zubereitung des ganzen Fisches sei zu bevorzugen, empfiehlt der Experte. Nur die Kiemen muß man herausschneiden! Sie verströmen ein unangenehmes Aroma, das den ganzen Fisch ansteckt.
Unterdessen hat Roths Minikutter Kurs Richtung Hochsee genommen. Dort liegen die Netze aus, in denen die klassischen Bodenseefische hängenbleiben: Felchen, eine Barschart. Und tatsächlich wird es ein guter Tag: Drei Dutzend dreißig Zentimeter lange, etwa fünf Jahre alte Felchen holt Roth aus dem Netz und wirft sie in die Holzkiste.
Fünfzehnhundert Tonnen Fisch werden jedes Jahr im Bodensee gefangen. Auf natürliche Weise kann diese Menge längst nicht mehr heranwachsen. Bodenseefisch wird deshalb gezüchtet. Ebenfalls auf der Gemüseinsel Reichenau steht die Fischbrutanstalt, aus der jährlich fünfzig Millionen Felcheneier ins Schwäbische Meer gehen. Dazu kommen noch zehn Millionen angefütterte Jungfische. Aber nicht einmal jeder hundertste Fisch wird so groß, daß er im Netz zappeln könnte.
Fischsorten, die nicht künstlich vermehrt werden, verschwinden allmählich. So kommt es, daß nur noch die für den Kochtopf vorgesehenen Edelfische in den Wassern des Bodensees schwimmen. „Unedle“ Exemplare, wie die Weißfische, das einstige Grundnahrungsmittel der Hechte, sind kaum noch anzutreffen. Auch die Hechte fressen jetzt bessere Sorten.
Trotz Brutanstalt und gepäppelter Aufzucht reicht die im See gefischte Masse während der sommerlichen Feriensaison nicht aus. Die Touristen auf den luftigen Restaurantterrassen ordern selbstverständlich Fisch – im festen Glauben, Wasserbewohner aus ihrem Urlaubssee auf dem Teller zu finden. Doch das original Bodensee-Felchen stammt nicht selten aus Oberbayern oder Ostdeutschland. Das stört zwar rechtschaffene Gastronomen und Händler wie Neidhardt und Deggelmann, doch die Geschäfte gehen gut.
Nach zwei Stunden ist die Kreuzfahrt mit Fischer Roth beendet. Auf die Hechte wartet jetzt ein weiteres Zwischenlager, ein Netz vor dem Hafeneingang. Am frühen Abend, wenn Roth von seiner zweiten Tour zurückkommt, wird er sie einsammeln und Küchenchef Neidhardt übergeben. Seine Gäste freuen sich schon auf Hechtklößchen im Spinatbett.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen