Sanktionen gegen Russland: Den Oligarchen an den Kragen
Das eingefrorene Vermögen von reichen Russ:innen könnte für den Wiederaufbau der Ukraine genutzt werden. Doch es gibt einige rechtliche Hindernisse.
Nach den neuesten Zahlen der EU-Kommission stehen 1.158 Russ:innen auf der Sanktionsliste der EU. Darunter sind Politiker wie Präsident Wladimir Putin und alle Duma-Abgeordneten, aber auch Militärs und über 30 kremlnahe Unternehmer, sogenannte Oligarchen. Vor allem ihnen gilt das Interesse, weil ein Großteil ihres Reichtums im Westen liegt und inzwischen durch Sanktionen eingefroren wurde.
So teilte die EU-Kommission mit, dass bei Unternehmen und Einzelpersonen insgesamt Werte in Höhe von rund 12,5 Milliarden Euro „eingefroren“ sind, darunter Villen, Yachten, Hubschrauber, Kunstgegenstände, Geld und Aktien. Im April waren es nur 6,7 Milliarden Euro. Hinzu kommen russische Zentralbankreserven im Wert von 23 Milliarden Euro sowie Transaktionen russischer Banken in Höhe von 196 Milliarden Euro. Wenn Gelder „eingefroren“ sind, heißt das, dass die Oligarchen ihr Geld weder abheben noch nach Russland überweisen können. Die Villen, Yachten und Privatflugzeuge dürfen sie nicht verkaufen oder vermieten, allerdings weiterhin selbst nutzen. Sie bleiben rechtlich auch Eigentümer.
Umsetzung schwierig
Um diese Vermögen für den Wiederaufbau in der Ukraine zu verwenden, müssten die Oligarchen erst enteignet werden, dann könnte der Staat die Villen und Yachten verkaufen und die Erlöse schließlich zusammen mit dem konfiszierten Geldvermögen an die Ukraine überweisen. „Das würde gegen das Grundgesetz und die EU-Grundrechtecharta verstoßen“, sagt jedoch Rechtsprofessor und Sanktions-Experte Christian Tietje. Sein Kollege Kilian Wegner stimmt zu: „Privatpersonen allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder einer irgendwie gearteten Nähe zu einer Kriegspartei zu enteignen ist mit Grund- und Menschenrechten unvereinbar.“
„Erforderlich wäre mindestens eine strafrechtliche Verurteilung im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt“, so Experte Tietje, „denn dann könnte Vermögen, das im Zusammenhang mit der Tat steht, vom Staat eingezogen werden.“ In der Regel dürfte es um strafbare Sanktionsverstöße gehen, etwa wenn eingefrorenes Vermögen verkauft oder vermietet wird.
In diesem Zusammenhang hat jetzt die Staatsanwaltschaft München drei Wohnungen und ein Bankkonto eines Duma-Abgeordneten beschlagnahmt. Weil er auf der EU-Sanktionsliste steht, durfte er die Wohnungen nicht mehr vermieten. Für die Mieter ändert sich durch den staatlichen Zugriff nichts, doch der Abgeordnete könnte das Eigentum an den Wohnungen an den Staat verlieren, falls der Sanktionsverstoß gerichtlich bestätigt wird.
Die EU-Kommission hat im Mai vorgeschlagen, dass schon das Umgehen von Sanktionen in der gesamten EU als Straftat behandelt werden soll. In Deutschland würde das nichts ändern, denn hier hat der Bundestag Ende Mai im „Sanktionsdurchsetzungs-Gesetz“ die Strafdrohung für Sanktionsverstöße bereits ausgeweitet. Danach macht sich nun auch jede Person strafbar, die auf einer EU-Sanktionsliste steht und nicht „unverzüglich“ ihr in Deutschland liegendes Vermögen bei den deutschen Behörden anmeldet.
Ein Verstoß gegen diese Anzeigepflicht könnte laut Außenwirtschaftsgesetz bereits dazu führen, dass die verschwiegenen Vermögen vom Staat eingezogen (also ersatzlos enteignet) werden können. Rechtsprofessor Kilian Wegner sieht hier allerdings Probleme mit der Verhältnismäßigkeit.
Wem gehört die Villa? Wem gehört die Yacht?
Das eigentliche Problem der Sanktionen ist aber ein praktisches: Oft ist unklar, wem eine Yacht oder eine Villa gehört. Der Oligarch sagt meist, er sei nur Mieter. Offizieller Eigentümer ist dann in der Regel eine Briefkastenfirma im Ausland, die einer anderen Gesellschaft gehört, zum Beispiel aus einem Steuerparadies, das ungern bei Ermittlungen kooperiert. So dauerte es mehrere Wochen, bis das Bundeskriminalamt die beiden Yachten „Dilbar“ und „Luna“, die in Hamburg liegen, russischen Oligarchen oder ihren Verwandten zuordnen konnten. Bis zu fünf Gesellschaften waren dazwischengeschaltet.
Wegen solcher praktischer Probleme dürfte sich die politische Diskussion bald auf ein anderes Feld verlagern: die Enteignung der russischen Devisenreserven im Westen. Hier sind nicht nur die Summen etwa doppelt so hoch, auch die rechtlichen und tatsächlichen Probleme sind geringer, weil hier keine Privatpersonen betroffen sind. Finanzminister Christian Lindner (FDP) erklärte sich jüngst „offen für die Idee“. Das Thema werde auf EU-Ebene bereits intensiv diskutiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene