piwik no script img

Sanierung der Bahnstrecke Hamburg-BerlinDigitalisierung kommt mit ein paar Jahren Verspätung

Die Generalsanierung der Strecke Hamburg-Berlin steht an. Aus Kostengründen wird die Deutsche Bahn dabei auf die digitale Modernisierung verzichten.

Zwischen Hamburg und Berlin kommt das nicht: Ein Mitarbeiter montiert im Oktober 2024 einen Bestandteil des ETCS bei Gernsheim Foto: Andreas Arnold/dpa

Hamburg taz | Ein ziemlich großes Projekt bleibt es ja, das sich die Deutsche Bahn mit der Generalsanierung der Strecke Hamburg–Berlin vorgenommen hat: Die knapp 280 Kilometer lange Verbindung zwischen den beiden Metropolen soll ab August für ganze neun Monate gesperrt werden, damit sie Teil des künftigen „Hochleistungsnetzes“ wird. „Zahlreiche Arbeiten an Gleisen, Weichen und Oberleitungen“ will die Bahntochter DB Infra-Go in dieser Zeit gebündelt durchführen, auch manche Bahnsteige sanieren. Doch den ganz großen zukunftsträchtigen Wurf hat sie am Mittwoch abgeblasen.

Auf der Strecke wird nun doch kein digitales Zugsicherungssystem verbaut werden, das einen erheblichen Kapazitätsgewinn bedeutet hätte. Und auch andere Vorhaben sollen in den vergangenen Planungen schon eingestampft worden sein.

Zugsicherungssysteme sollen die Fahrten von Zügen kontrollieren, sodass sie nicht schneller als zulässig unterwegs sind oder Haltesignale ignorieren. Dies geschieht auf der Strecke zwischen Hamburg und Berlin bislang mit elektronischer Technik, konkret mit der sogenannten Punktförmigen Zugbeeinflussung (PZB) und der Linienzugbeeinflussung (LZB).

Zwar noch nicht auf der gesamten Strecke, zumindest aber auf den besonders intensiv befahrenen ersten Abschnitten aus Hamburg und Berlin raus sollte stattdessen das digitale European Train Control System (ETCS) eingebaut werden. Der große Vorteil der Technik liegt in einem erheblichen Kapazitätsgewinn: Bis zu 30 Prozent mehr Züge können durch die digitale Taktung des ETCS verkehren. Nötig wäre das, denn täglich sind auf der meistbefahrenen deutschen Städte-Direktverbindung bereits bis zu 230 Züge mit rund 30.000 Fahrgästen unterwegs.

Die Streckensperrung bedeutet für Fahrgäste massive Umwege oder längere Fahrtwege mit Bussen

Doch das Vorhaben wurde nun „angepasst“, wie die DB am Mittwoch mitteilte. Die Erfahrungen der Pilot-Generalsanierung der sogenannten Riedbahn bei Frankfurt am Main hätten gezeigt, wie „komplex und zeitaufwändig die Montage und Abnahme der neuen Technik als Doppelausrüstung mit den konventionellen Sicherungssystemen ist“. Zwischen Hamburg und Berlin wolle man deshalb auf eine „aufwändige sowie kostenintensive Doppelausrüstung“ verzichten – vorerst: „Eine Ausrüstung mit ETCS wird in den frühen 2030er-Jahren erfolgen.“ Immerhin sollen aber nun schon mal Stellwerke sowie technische Anlagen entlang der gesamten Strecke auf den zukünftigen Einsatz von ETCS vorbereitet werden.

Damit bestätigt sich nun, was im vergangenen Jahr schon durch Recherchen publik wurde: Im September berichtete der Südwestrundfunk (SWR), dass die Bahn bei der digitalen Modernisierung sparen will. Damals bestritt der Konzern das noch, allerdings hatte er noch vom damaligen Verkehrsminister Volker Wissing (damals FDP) einen verschärften Sparkurs aufgedrückt bekommen. Eine zeitliche Streckung der Digitalisierungsinvestitionen schien schon damals plausibel.

Hinzu kommt: Auch weitere Modernisierungsmaßnahmen sollen im Laufe der Planung abgesagt worden sein. Zu diesem Schluss kamen zuletzt Recherchen von Nicht-Regierungsorganistaionen: So sollten ursprünglich 20 Überleitstellen neu- oder ausgebaut werden. Solche Weichenverbindungen machen den Betrieb flexibler, weil dort schnellere Züge langsamere überholen können. Aktuell ist von sechs zusätzlichen Überleitstellen die Rede, um die sich während der Generalsanierung gekümmert werden soll. Ein Bahnsprecher widerspricht auch auf Nachfrage, dass es eine Reduzierung im Laufe der Planungen gegeben habe.

Für die Akzeptanz des Konzepts Generalsanierung sind das dennoch keine guten Nachrichten: Die komplette Streckensperrung bedeutet für Fahrgäste massive Umwege oder längere Fahrtwege mit Bussen. Wenn dabei aber nur noch eine abgespeckte Generalsanierung herausspringt, dürfte der Gegenwind für die weiteren Vorhaben stärker werden: Die Strecke Hamburg–Berlin ist schließlich erst die zweite, insgesamt sollen 40 besonders hoch belastete Streckenabschnitte mit einer Gesamtlänge von mehr als 4.000 Kilometern vollständig saniert werden. Schon jetzt kritisieren Fahrgastverbände die langen Sperrungen.

Hinzu gibt ein Bahnsprecher die angestrebte Zustandsnote nur noch mit einer 2,3 an. Aktuell liegt sie bei der Schulnote 3,7. Bei der Ankündigung im Frühjahr 2023, künftig nur noch auf die größeren Korridor­sanierungen zu setzten, war jeweils mindestens eine 1,8 versprochen worden. Der Verzicht auf ETCS habe allerdings keinen Einfluss auf die Benotung einer Strecke, erklärt der Bahnsprecher.

Für die Generalsanierung der Strecke Hamburg–Berlin bedeutet das immerhin: Die Wahrscheinlichkeit, dass die angepeilten Kosten von 2,2 Milliarden Euro eingehalten werden, ist durch den Verzicht auf ETCS immerhin gestiegen. Und auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Bauarbeiten pünktlich enden. Indes: Die nächste große Sperrung für den ETCS-Einbau steht schon, bevor die erste Generalsanierung überhaupt begonnen hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • In Sachen Bahn sollte man endlich anfangen groß zu denken.



    Denn es ist Standard, daß jede Strecke nach 20 Jahren Betriebszeit saniert werden muss. Der Ungemach mit Busersatzverkehren ist also auch nach der (jetzigen) Sanierung schon vorprogrammiert.



    Konsequent wäre demnach wie @Janix schon schrieb: mehr *Redundanz*, sprich zusätzliche Gleise und nicht bloß Ausweichstellen. Denn damit ließen sich jederzeit, also auch im laufenden Betrieb Störung beheben (weil die fahrenden Züge immer mindestens ein Ausweichgleis hätten).



    So und nur so kann die Bahn wirklich pünktlich und zuverlässig werden..



    ..und das wäre, nicht nur im Zeichen der sich beschleunigenden Klimakrise, das Gebot der Stunde..







    Also liebe Verkehrspolitiker.. hier mal umfassend und langfristig denken..und dann die Mrd. aus dem Sondervermögen intelligent einsetzen. Das Geld ist doch da..also bitte keine Ausreden mehr..