Sammeldeportation nach Kabul: Einer bleibt, 21 werden abgeschoben
In Nürnberg demonstrierten am Dienstag Hunderte gegen die Ausweisung eines 26-Jährigen. Er gehörte zu einer Sammelabschiebung nach Kabul.
Jan Ali H. sollte am Dienstagvormittag gegen 10:30 Uhr in Gewahrsam genommen werden, schaffte es aber, sich aus der Wohnung in den Hof zu flüchten. Dort habe der 26-Jährige gedroht, sich selbst zu verletzen, sagte Robert Sandmann, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken, gegenüber der taz. Zu seinem eigenen Schutz habe man ihn schließlich zur ärztlichen Begutachtung in ein Krankenhaus gebracht. Neben der Schutzpolizei kamen dabei auch ein Unterstützungskommando (USK) und ein Sondereinsatzkommando (SEK) zum Einsatz. Der Polizeieinsatz sei „völlig unverhältnismäßig“ gewesen, sagte Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat der taz.
Nach der Versorgung seiner Wunden sei der 26-Jährige aus dem Krankenhaus entlassen und zur Abschiebung zum Flughafen Halle/Leipzig gebracht worden, so Böhm. Nachdem es erste Medienberichte zu dem Fall gab, habe man aber die Abschiebung abgebrochen. Jan Ali H. sei nun auf der psychiatrischen Station in einem Krankenhaus, sagte Böhm.
Die Sammelabschiebung von Leipzig nach Kabul hatte 21 afghanische Geflüchtete an Bord. Zehn davon wurden aus Bayern abgeschoben, bestätigte das bayerische Innenministerium der taz. Schon im Jahr 2018 kam der Großteil der nach Afghanistan Abgeschobenen aus Bayern: von insgesamt 281 Abschiebungen waren es 165. Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern gibt es dort keine Einschränkung, wer nach Afghanistan abgeschoben werden darf.
„Gedränge und Gerangel“
Während des Polizeieinsatzes im Stadtteil Gostenhof in Nürnberg hatten sich bereits „mehrere Personen“ versammelt, die „ihre Meinung spontan kundtaten“, führte Polizeipressesprecher Robert Sandmann aus. Im Anschluss sei eine Eilversammlung für den gleichen Abend um 19 Uhr angemeldet worden. Mehrere hundert Demonstrant*innen kamen, es sei ein „erkennbarer Aufzug“ gewesen, so Sandmann. Bengalfeuer wurden gezündet, aber nach einem Gespräch mit dem Versammlungsleiter wieder gelöscht.
Im Laufe der Demonstration sei die Streckenführung von der angemeldeten Route abgewichen. Die Abschlusskundgebung sei vorverlegt und der Aufzug wieder in Richtung Ausgangspunkt gelenkt worden. Dabei sei es zu einem „Gedränge und Gerangel“ gekommen, sagte Sandmann.
Jan Ali H. ist bereits seit 2010 mit seiner Familie in Deutschland. Der Vater des 26-Jährigen war von Taliban ermordert worden, berichtete der Bayerische Flüchtlingsrat. Er habe eine Duldung und keinen Pass, so Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Rechtlich gesehen ist eine Duldung nur die Aussetzung der Abschiebung“, erklärte Böhm. „Es kann aber durch den Gesundheitszustand zu einer Reiseunfähigkeit kommen. Die Atteste lagen dem Amt in diesem Fall vor.“ Offenbar seien sie aber nicht mehr ausreichend gewesen.
Bereits im Mai 2017 wurde in Nürnberg die Abschiebung eines afghanischen Schülers verhindert. Der 22-Jährige wurde wegen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Sachbeschädigung und unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht