Gewalt in Afghanistan hält an: Friedens-Loja-Dschirga ohne Wirkung
Nach der Ratsversammlung gibt es Zweifel, ob es die Regierung mit dem Schutz der Frauenrechte ernst meint. Die Angriffe der Taliban gehen weiter.
Doch die kriegerische Gewalt ging am Wochenende gleich massiv weiter, als hätte die von der Regierung einberufene Versammlung gar nicht stattgefunden. So gab es einen Taliban-Angriff auf das Polizeihaupthauptquartier der Provinz Baghlan in Pul-e Khumri. Sechs Tote gab es bei einem Doppelbombenanschlag in Khost. In Paktika wurde der Chef der Provinzverwaltung für Arbeit und Soziales ermordet. In Kabul wurde bei dem Anschlag auf ein Mitglied des Senates dessen Frau getötet. Zudem gab es Bombenanschläge und Erschießungungen von Polizisten in den Provinzen Nangrahar, Kandahar, Sabul und Wardak sowie Gefechte in Dschausdschan und Farjab sowie in den Außenbezirken der Großstadt Ghazni.
Die große Ratsversammlung (Loja Dschirga) hatte die Notwendigkeit eines schnellen Waffenstillstands, die Beendigung der Einmischung ungenannter Nachbarstaaten – das meinte vor allem Pakistan –, den Abzug ausländischer Truppen „nicht vor dem Beginn von Direktverhandlungen zwischen der Regierung und den Taliban“, die Wahrung der Frauenrechte und anderer Errungenschaften der Nach-2001-Ära und sowie die Repräsentanz von Frauen im künftigen Verhandlungsteam der Regierung empfohlen.
Zustimmung gab es zu von den Taliban geforderten Verfassungsänderungen, aber nur entsprechend des Prozederes, das in der gegenwärtigen Verfassung dafür festgeschrieben ist. Also eine weitere Verfassungs-Loja Dschirga soll es nur nach einem Friedensabkommen geben. Präsident Ghani kündigte zudem die Freilassung von 175 Taliban-Gefangenen von möglicherweise mehreren tausend an.
Starke Orchestrierung durch Regierung
Allerdings blieb wegen der Orchestrierung der Versammlung durch die Regierung, der weitreichenden inhaltlichen Vorgaben sowie des beschränkten Medienzugangs unklar, inwieweit die Forderungen tatsächlich die Diskussion in der Dschirga widerspiegeln. So fehlen im Abschlusskommuniqué einige Forderungen, die in den 50 Dschirga-Arbeitsgruppen aufgekommen waren, wie etwa dass die UNO die Friedensverhandlungen überwachen soll.
Auch war unklar, wie repräsentativ die Dschirga aufgrund der intransparenten Delegiertenwahl und des Boykotts durch führende Oppositionspolitiker war. Den Taliban wurde damit ermöglicht, die Legitimität der Dschirga und der Regierung in Kabul noch stärker als bisher in Frage zu stellen. Dass ausgerechnet Mitte voriger Woche, und damit noch während der Dschirga in Katars Hauptstadt Doha die Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban wieder aufgenommen wurden, ist ein weiterer Affront für die Regierung in Kabul. Sie ist bisher von diesen Gesprächen ausgeschlossen.
Frauen waren in der Dschirga recht gut vertreten, aber nicht zu 50 Prozent, wie Aktivistinnen verlangt hatten. Knapp 30 Prozent der Delegierten sowie 13 Vorsitzende und 28 Sekretäre in den 50 Arbeitsgruppen waren weiblich. In den Debatten wurde aber auch deutlich, dass nicht alle Delegierten eine aktive Rolle von Frauen befürworten.
So berichtete die New York Times einen Vorfall, bei dem eine Frau am Sprechen gehindert werden sollte: „Setz dich, du solltest in der Küche sein und kochen“, habe ihr ein Delegierter aus Kandahar gesagt. Auch afghanische und soziale Medien berichteten über solche Vorfälle.
Die Regierung bleibt schwach
So können Frauen nicht damit rechnen, dass die afghanische Regierung ihre Forderungen vertreten wird, sollte es in Verhandlungen mit den Taliban hart auf hart kommen.
Nach der Loja Dschirga agiert die afghanische Regierung weiter nicht aus einer Position der Stärke, sondern der teilweisen – inneren wie äußeren – Isolation. Der Versuch, einen landesweiten Konsens über die Verhandlungsstrategie festzulegen, scheiterte auch am Boykott der Dschirga durch Oppositionspolitiker.
Solange die Taliban nicht mit der Regierung reden wollen, laufen alle Forderungen aus Kabul ins Leere. Das könnte allerdings auch viele Afghanen, die der Regierung sonst kritisch gegenüberstehen, zum Schulterschluss mit ihr zumindest in der Friedensfrage bewegen.
Wäre die Dschirga bereits im letzten Sommer unmittelbar nach den von beiden Seiten erklärten vorübergehenden Waffenruhen zum Id-Fest und damit vor dem Wahlkampf einberufen worden, hätte sie eine viel stärkere Wirkung entfalten können.
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