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Salzburger FestspieleZur Hölle fahren in Salzburg

Die Entgötterung der Welt ist harte Arbeit. Romeo Castellucci und Karin Henkel inszenieren Mozart und Shakespeare bei den Festspielen.

Lampions täuschen einen Himmel vor: Karin Henkels Inszenierung in Salzburg Foto: Monika Rittershaus

Die Mütter sind es, oft ist es ihre Schuld, wenn auf einer Bühne der politische, historische und entwicklungspsychologische Zusammenhang von Sich-als-Mann-Identifizieren und Delinquenz verhandelt wird. Diesmal geht es nicht um „Faust II“, wo Mephisto dies feststellt, sondern um „Richard III.“. Die Regisseurin Karin Henkel verlegt sich beim Gerichtstag über „Richard the Kid & the King“ bei den Salzburger Festspielen ganz auf Entwicklungspsychologie. Das Pferd, für das der späte Richard ein ganzes Königreich tauschen würde, ist auch schon vorhanden, aus Holz mit Kufen zum Schaukeln dran.

Die Montage aus Partikeln von Shakespeare und Tom Lanoyes „Eddy the King“ sucht die Ursachen der Tyrannei in den Versagungen der Kindheit. Die Welt war im Hochmittelalter eine Scheibe (Bühne Katrin Brack), darüber täuscht im horizontlosen Schwarz ein System planetarischer Lampions einen Himmel vor, an den nicht mal Kinder mehr glauben. Lanoyes Studie über einen Zerfall von Sprache und Sprechen im Munde eines Tyrannen ist der Schlussteil seines „Schlachten!“-Projekts mit Luc Perceval. Die deutschsprachige Erstaufführung 1999 schrieb an diesem Ort Theatergeschichte.

Diesmal sind es keine zwölf Stunden. Die finalen Kabalen diverser Heinrichs und Edwards erzählen drei Schau­spie­le­r:in­nen (Kate Strong, Bettina Stucky und Kristof Van Boven) in hoher Energie über vier Stunden. Als Satelliten kreisen sie um Richard (Lina Beckmann), den Patienten null eines malignen Narzissmus, und wechseln in seiner Psychodramakur die Figuren wie die Hüte.

Ein Scheusal und ein armes Kind

Beckmann entwirft den Probanden als Horrorclown, Monster, hüftschwingenden Elvis: ein Scheusal, das doch nur ein „arm Kind“ bleibt. Ihr virtuoses Ver­aus­ga­bungs­thea­ter plädiert auf „schuldunfähig“. Shakespeare erzählt die Distribution von Macht über Personen, aber erklärt deren individuelles Unglück auch nur irgendetwas an den Mechanismen der Macht?

Revolutionen sind notwendig, aber niemand sagt, dass sie notwendig glücklich machen.

„No!“, singt Davide Luciano in der Premiere von Mozarts „Don Giovanni“ tags darauf im Großen Festspielhaus, obwohl dem Edelmann des Ancien Régime nicht mal die Einweisung droht, sondern nur das Konzept monogamen Liebesglücks mit seiner Ex Donna Elvira (Federicia Lombardi) – in der bürgerlichen Ehe irgendwann nach der Revolution. Dieses „No!“ fällt nicht erst, wenn der Held nach vier Stunden zur Hölle fährt. In Romeo Castelluccis Kosmos (Regie, Bühne, Kostüme und Licht) gibt es die eigentlich nicht, nur den aussichtslosen Kampf der endenden Kreatur mit sich selbst.

Narzissmus? Vielleicht. Malign? Sicher nicht! Da ist schließlich etwas, das dem weiblichen Begehren mehr gibt (und entlockt) als dieses andauernde Geheiratet-werden-Wollen, das die patriarchalische Ordnung ihm als einzig legitimen Ausdruck offen lässt. Probleme mit der Autorität hat Don Giovanni auch, aber die stecken im eigenen Kopf als innerer Widerspruch desjenigen, an dem die Widersprüche der Welt sich erst entfalten.

Kirchenbänke raus, ein Lkw rein

Am Anfang steht der Bildersturm. Castellucci zeigt einen blütenweiß getünchten barocken Kirchenraum. Bevor Teodor Currentzis mit dem Ensemble musicaAeterna zum ersten Takt anhebt, entblättert ein Team beflissener Handwerker den Saal vom Sakral­schmuck: Kirchenbänke raus, ein Basketballkorb in der Altarnische, ein Ziegenbock im Trab von links nach rechts gibt die Arena fürs Profane frei.

Später donnert ein Luxus-Pkw vom Schnürboden herunter, noch später schwebt eine Kutsche herein zu den haltlosen Versprechungen Don Giovannis gegenüber der jungen Bäuerin Zerlina (Anna Lucia Richter). Ihre plebejische Klugheit lässt sie nicht drauf eingehen. Zum Aktschluss regnet es noch allerlei Unrat aus der profanen Lebenswelt herunter.

Die Ouvertüre gibt in einem für die erste Wahrnehmung recht getragenen Tempo dem Dramma giocoso eine Prise Melancholie auf den Weg. Die Einsätze der Percussionsinstrumente, die das Ende mit dem Auftritt der Komturstatue als väterlicher Autorität nebst Höllensturz des Helden vorwegnehmen, ersparen sich den triumphalen Gestus. Die Entgötterung der Welt und die Säkularisierung der Gesellschaft sind harte Arbeit. Revolutionen sind notwendig, aber niemand sagt, dass sie notwendig glücklich machen.

Dies zumindest für den Augenblick zu versprechen ist Sache Don Giovannis. Nie der auftrumpfende Macker gibt ihm Davide Luciano alle lyrischen Feinheiten in Gesang und Spiel. Leporello (Vito Priante) im identen Kostüm wird sein realweltlicher Spiegel. Weich gezeichnet hinter dem Gazeschleier tut sich auf der Bühne in unzähligen Weißschattierungen Don Giovannis Wunsch­welt auf, die jedem und vor allem jeder Eintretenden sofortigen Genuss ohne Reue verspricht. Weil der Schöpfungsplan des Patriarchats das nicht vorsieht, ist Donna Anna (Nadezhda Pavlova) in Schwarz gekleidet und hat die sie umtanzenden Erynnien gleich bei sich. Mehr von dieser Welt ist die Begegnung mit Donna Elvira.

Das Register der Frauen kommt aus dem Drucker

Zur Registerarie wirft Leporello den Mulitifunktionsdrucker an. Macht dessen seelenloser Takt Don Giovannis Eroberungen vielleicht doch nur zur Angelegenheit einer verwalteten Welt? Die wirklichen Heldinnen des Abends sind 150 Salzburger Frauen, deren stumme Choreografie nur einen Satz sagt: Nenne sie beim Namen! Freiheit ist nur, das was Einzelne in ihrer Einzigartigkeit erkennt.

Als Don Giovanni sich erschöpft hat, spielt Currentzis noch das oft gestrichene Schlusssextet, in dem für die Überlebenden die Welt wieder in Ordnung scheint. Plötzlich legen sich die Sän­ge­r:in­nen zu Boden und gehen ab. Zurück bleiben Gipsnachbildungen ihrer Körper in erstarrten Gesten, wie die Abgüsse der Hohlräume im verschütteten Pompej. Das „dramma“ ist vorbei, „giocoso“ allerdings auch.

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