Salz gegen Eis auf Radwegen: Eine schwierige Güterabwägung

Berlins grüne Verkehrs- und Umweltsenatorin Jarasch will Radfahrer im Winter besser vor Stürzen schützen – und setzt auf Salz. Ein Wochenkommentar.

Das Foto zeigt einen Radahrer im dichten Schneetreiben.

Bei so viel Schnee hilft mutmaßlich auch Salzstreuen nicht viel weiter Foto: dpa

Salz also gegen Glätte auf Radwegen. Was lange verpönt war, soll künftig Radler vor Stürzen und Verletzungen schützen – und grundsätzlich das Gefühl geben, in Berlin auch bei eisigen, widrigen Wetterverhältnissen auf dem Rad unterwegs sein zu können. Umweltschützer hatten den breiten Einsatz von Salz erfolgreich zurück gedrängt, mit Verweis auf negative Folgen für die Straßenbäume. Nun soll das Berliner Abgeordnetenhaus den Weg für eine Gesetzesänderung frei machen, die zumindest eine Pilotversuch zum Salzeinsatz erlaubt: auf Radwegen, die oberhalb des Bordsteins neben Gehwegen verlaufen

Der dahinter stehende Zwiespalt verkörpert sich am besten im Amt der Frau, die den Vorstoß am Dienstag in der Senatssitzung auf den Weg gebracht hatte: Bettina Jarasch von den Grünen ist als Senatorin sowohl für Verkehr und Mobilitätswende zuständig wie für Umwelt und Klima. Mehr Schutz durch Salz – genauer: Sole – für die einen bedeutet gleichzeitig: mehr Belastung für die anderen, in diesem Fall die Umwelt.

Das Schwierige ist, dass es in diesem Fall keine klaren Maßstäbe gibt. Es gibt keine Eindeutigkeit wie beim Sport: Die eine Seite hat mehr Tore geschossen, liegt also vorn. Denn wie sollen sich möglicherweise verhinderte Brüche von Handgelenk und Schlüsselbein mit eingegangen Bäumen ins Verhältnis setzen lassen? Wieviel Baum ist ein verhinderter Bruch wert? Oder anders herum gefragt: Was muss jemand akzeptieren, der die Umwelt vorrangig schützen will?

Selbst wenn am Ende einer Pilotphase verwertbare Zahlen vorliegen sollten – so und so viel kaputte Bäume mehr an gesalzten Radwegen als an nicht gestreuten und analog so und so viele Stürze weniger. Es bleibt am Ende eine politische Entscheidung. Umso mehr, weil sich ja gar nicht alle Stürze registrieren lassen und auch noch zu erheben wäre: Sitzen tatsächlich mehr Leute auf dem Sattel, wenn die Radwege weniger vereist sind?

Der Grundkonflikt, nämlich eine Güterabwägung, beschränkt sich längst nicht auf den Bereich von Verkehr, Klima und Umwelt

Das ist kaum anders als in der jüngst aufgeflammten Debatte, ob man nicht mit Atomkraft statt Kohle eine eventuelle Versorgungslücke bei alternativen Energien überbrücken sollte. Da stehen Restrisiko und Endlagerproblematik einer weiteren CO2-Belastung gegenüber. Da mögen Zahlen vorliegen, aber was letztlich aktuell „richtig“, „besser“, „angemessen“ ist, ist keine wissenschaftliche Kategorie, sondern eine politische Entscheidung

Eine Frage der Angemessenheit

Der Grundkonflikt, nämlich eine Güterabwägung, beschränkt sich längst nicht auf den Bereich von Verkehr, Klima und Umwelt. Er ist seit fast zwei Jahren täglich in der Corona-Bekämpfung zu erleben. Gesundheitsschutz steht da Einschränkungen in der eigenen Lebensgestaltung gegenüber. Die Frage der Angemessenheit von Entscheidungen hat dabei inzwischen schon Gerichte bis auf Bundesebene beschäftigt.

Theoretisch ist die Lösung letztlich bei all diesen Themen dieselbe: Erklären, vermitteln, darlegen und überzeugen, warum plötzlich etwas Neues gelten soll. Wie sehr das aber Theorie ist, zeigt die Corona-Debatte ebenfalls am besten. Auch wenn die Emotionen beim Thema Salz nicht ganz so hoch gehen dürften: Ohne Konflikt wird das auch hier nicht gehen.

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