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Salz gegen Eis auf RadwegenEine schwierige Güterabwägung

Kommentar von Stefan Alberti

Berlins grüne Verkehrs- und Umweltsenatorin Jarasch will Radfahrer im Winter besser vor Stürzen schützen – und setzt auf Salz. Ein Wochenkommentar.

Bei so viel Schnee hilft mutmaßlich auch Salzstreuen nicht viel weiter Foto: dpa

S alz also gegen Glätte auf Radwegen. Was lange verpönt war, soll künftig Radler vor Stürzen und Verletzungen schützen – und grundsätzlich das Gefühl geben, in Berlin auch bei eisigen, widrigen Wetterverhältnissen auf dem Rad unterwegs sein zu können. Umweltschützer hatten den breiten Einsatz von Salz erfolgreich zurück gedrängt, mit Verweis auf negative Folgen für die Straßenbäume. Nun soll das Berliner Abgeordnetenhaus den Weg für eine Gesetzesänderung frei machen, die zumindest eine Pilotversuch zum Salzeinsatz erlaubt: auf Radwegen, die oberhalb des Bordsteins neben Gehwegen verlaufen

Der dahinter stehende Zwiespalt verkörpert sich am besten im Amt der Frau, die den Vorstoß am Dienstag in der Senatssitzung auf den Weg gebracht hatte: Bettina Jarasch von den Grünen ist als Senatorin sowohl für Verkehr und Mobilitätswende zuständig wie für Umwelt und Klima. Mehr Schutz durch Salz – genauer: Sole – für die einen bedeutet gleichzeitig: mehr Belastung für die anderen, in diesem Fall die Umwelt.

Das Schwierige ist, dass es in diesem Fall keine klaren Maßstäbe gibt. Es gibt keine Eindeutigkeit wie beim Sport: Die eine Seite hat mehr Tore geschossen, liegt also vorn. Denn wie sollen sich möglicherweise verhinderte Brüche von Handgelenk und Schlüsselbein mit eingegangen Bäumen ins Verhältnis setzen lassen? Wieviel Baum ist ein verhinderter Bruch wert? Oder anders herum gefragt: Was muss jemand akzeptieren, der die Umwelt vorrangig schützen will?

Selbst wenn am Ende einer Pilotphase verwertbare Zahlen vorliegen sollten – so und so viel kaputte Bäume mehr an gesalzten Radwegen als an nicht gestreuten und analog so und so viele Stürze weniger. Es bleibt am Ende eine politische Entscheidung. Umso mehr, weil sich ja gar nicht alle Stürze registrieren lassen und auch noch zu erheben wäre: Sitzen tatsächlich mehr Leute auf dem Sattel, wenn die Radwege weniger vereist sind?

Der Grundkonflikt, nämlich eine Güterabwägung, beschränkt sich längst nicht auf den Bereich von Verkehr, Klima und Umwelt

Das ist kaum anders als in der jüngst aufgeflammten Debatte, ob man nicht mit Atomkraft statt Kohle eine eventuelle Versorgungslücke bei alternativen Energien überbrücken sollte. Da stehen Restrisiko und Endlagerproblematik einer weiteren CO2-Belastung gegenüber. Da mögen Zahlen vorliegen, aber was letztlich aktuell „richtig“, „besser“, „angemessen“ ist, ist keine wissenschaftliche Kategorie, sondern eine politische Entscheidung

Eine Frage der Angemessenheit

Der Grundkonflikt, nämlich eine Güterabwägung, beschränkt sich längst nicht auf den Bereich von Verkehr, Klima und Umwelt. Er ist seit fast zwei Jahren täglich in der Corona-Bekämpfung zu erleben. Gesundheitsschutz steht da Einschränkungen in der eigenen Lebensgestaltung gegenüber. Die Frage der Angemessenheit von Entscheidungen hat dabei inzwischen schon Gerichte bis auf Bundesebene beschäftigt.

Theoretisch ist die Lösung letztlich bei all diesen Themen dieselbe: Erklären, vermitteln, darlegen und überzeugen, warum plötzlich etwas Neues gelten soll. Wie sehr das aber Theorie ist, zeigt die Corona-Debatte ebenfalls am besten. Auch wenn die Emotionen beim Thema Salz nicht ganz so hoch gehen dürften: Ohne Konflikt wird das auch hier nicht gehen.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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20 Kommentare

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  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Früher hat man Split gestreut. Find ich super. Muss nur weg, wenn der Schnee geschmolzen ist. Salz geht gar nicht.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Splitt ist das schlechteste für Radler. Hilft kaum, muss massiv liegen damit man auch ein paar Steine trifft und im Split sind oft Glasscherben, die mit verteilt werden.



      Fahrbahn fahren und Spikes, meine Lösung für den Winter. Braucht kein Gramm mehr geräumt und gestreut zu werden.

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Oliver Lange:

        Bin jahrelang in Berlin auf Split gefahren. Ging gut. Natürlich muss man im Winter Winterreifen auf das Fahrrad ziehen.



        Ich bin in Berlin schon auf der zugefrorenen Spree gefahren, man muß halt konsequent geradeaus fahren. ;-)



        Ach schön war's. In meiner Straße mit 12⁰ Steigung wird nicht geräumt. Alle Nebenstraßen nicht. Die Gehwege nur partiell. Das ist lustig. Jeden Winter legte ich mich einmal auf die Fresse. Dank Klimawandel nicht mehr so häufig.

  • Quastenflossler hat alles gesagt: Spikes.

    • @Rudolf Fissner:

      Stützräder wären sicherer und zumutbar.

  • Eigentlich müsste die Räumung von Rad- und Fußgänger*innenwegen Priorität haben. Bei einem Sturz sind jene unmitellbar und einem hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Passagiere in Autos sind zumindest durch das Blech geschützt. Zumal die Konstruktion, das Auto auf 4 Rädern, Winterreifen/Schneeketten wie auch angepasstes Fahrverhalten Risiken wesentlich vermindern können.

  • Eine Debatte um Wenig.



    Wieviel Tage gibt es denn Glatteis?



    Wieviele Flächen würden mit Salz gestreut werden, Zb im Verhältnis zu den Autobahnen?



    Und was soll es bringen eine Teststrecke zu streuen, wenn davon und dahinter möglicherweise Eis ist?

    Abgesehen davon, bei Eis Rad zu fahren ist deppert. Wenn es wirklich glatt ist, hat man Null Zeit zum reagieren, wenn man wegrutscht.



    Bei Schnee sieht es anders aus. Mit dem entsprechenden Rad kommt man gerade in Neuschnee ganz gut voran. Aber Eis? Never again. Den Tag im homeoffice verbringen oder Taxi nehmen.

  • Wunschdenken trifft auf Realität! Bei Schnee und Eis ist das Fahrrad keine sinnvolle Option- nur noch für Todesmutige.

    • @alterego:

      Fahre Rad das ganze Jahr, und das nicht in ener Großstadt, zumindest meistens nicht. Wüsste nicht, warum, bis auf ganz wenige Tage im Jahr, das mit dem Radl nicht funktionieren soll.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Ach was. Gibt es keine Doppelbereifung für Lastenfahrräder?

  • Es gibt entsprechende Bereifung, sogenannte Spikes, mit denen wir, im bergigen Allgäu gute Erfahrungen machen.

  • Das ist überhaupt keine schwierige Abwegung von Rechtsgütern.

    Die Umwelt kann sich gegen das Streuen von Salz wehren.

    Die Radfahrer können freilich auf den ÖPNV ausweichen, das ist den Radlern im Winter/bei Glatteis zuzumuten.

    Verwunderlich, dass sich darüber insbesondere im linksgrünen Spektrum wirklich Gedanken gemacht werden.

    Zeigt aber, dass Klima- u. Naturschutz eben doch nicht an subjektiv erster Stelle steht.

    Augenscheinlich möchte man es also der Gesellschaft nur so verkaufen?

    Verstehe hier die linksgrünen diesmal überhaupt nicht.

    • @Walker:

      Es bleibt Ihnen zu wünschen, dass Sie bei Glätte als Fußgänger sturzfrei bis zum ÖPNV kommen. Stürzen ist in allen Altersklassen gefährlich mit teils lebenslangen Folgen der Betroffenen.

      • @Flocke:

        Richtig ist, das Fahrradfahren auf Eis sicherlich gefährlicher ist und die Sturzgefahr höher - gerade aufgrund Geschwindigkeit - , korrekt?

        Im Übrigen sehe ich bei Schnee/Eis kein Kind oder Greis das Fahrrad nutzen.

        Nur sich selbst überschätzende Irre.

    • @Walker:

      Wenn die Konservativen auf Salz verzichten und stattdessen auf ÖPNV & Co verweisen bricht garantiert ein Sturm der Entrüstung über das Land:



      Lackschäden! Staus auf der Autobahn! Unsichere Landstraßen!

      Die durch Salz verursachten Schäden an Natur, Fahrrad und Auto sieht man dagegen nicht sofort.

      • @Bernd Berndner:

        Wenn Konservative eine Reduzierung der Speiseispreise fordern kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass bald eine Luxussteuer darauf kommt. 🤪

  • Man kann sich auch permanent selber im Weg stehen! Wenn es glatt ist, muss gestreut werden, sonst wird es für alle Beteiligten egal ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder Auto, gefährlich. Sand und Split können auch helfen, machen aber nach Abtrocknung eine hohe Staubbelastung und sind daher flächendeckend und insbesondere in Städten eher ungeeignet. Sole ist bei den Winterdiensten bspw. auf Autobahnen weitverbreitet und funktioniert sehr gut. Warum nicht einsetzen?

    • @Flocke:

      Steht doch im Artikel: Schlecht für die in der Stadt sowieso schon arg gebeutelte Umwelt. Pflanzen gehen ein, Hunde und andere Vierbeiner haben das Zeug an den Pfoten, Vögel kriegen vermutlich auch ihre Dosis ab... Und als Radfahrer freue ich mich auch nicht gerade über das aggressive Zeug an meinem Rad. Und die Kläranlage bekommt schließlich auch noch Probleme...

      • @Hannes Hegel:

        Verkehrswege sind zentrale Elemente einer funktionalen Stadt. Deshalb halte ich Sole bei Eis/Reifglätte oder Eisregen für den besten Kompromiss. Nicht streuen, und damit Unfälle aller Verkehrsteilnehmer in Kauf nehmen, ist für mich ein No-Go und steht außerdem im Gegensatz zur Räum- und Streupflicht.