Saint-Phalle-Ausstellung in Hannover: Die Vatermörderin
Die bunten Nanas von Niki de Saint Phalles üben feministische Kritik. Im Sprengelmuseum lernt man nun die dunkle Seite der Künstlerin kennen.
Von wegen dröge Niedersachsen! Manchmal scheinen sie gar humorvoller und auch mutiger als der Rest der Welt. In der Landeshauptstadt konnte die französisch-amerikanisch-schweizerische Künstlerin Niki de Saint Phalle 1974 ihr wohl erstes großes Kunstprojekt im öffentlichen Raum in Angriff nehmen: drei üppige, poppig bunte Nanas stehen seitdem am Hohen Ufer.
Diese kraftvoll mächtigen Frauen- oder Mutterfiguren sorgten anfangs zwar für lebhafte Irritation in der Bevölkerung, sind seit Langem aber so etwas wie ein Wahrzeichen Hannovers. Rund um die Expo 2000 erhielt Niki, wie die Ehrenbürgerin hier gemeinhin genannt wird, einen weiteren Auftrag in der Stadt: die Neufassung einer ruinösen Grotte im Herrenhäuser Garten, die sie mit Farbglas- und Spiegelmosaiken sowie einzelnen Figuren in ein fantastisches Biotop verwandelte.
Diese Loyalität und die Liebe zu ihrem Werk schien die 1930 in eine aristokratische Bankiersfamilie Geborene der Stadt lebenslang gedankt zu haben. Zwei Jahre vor ihrem Tod 2002 vermachte sie, bereits schwer erkrankt, dem Sprengelmuseum rund 450 ihrer Werke.
Zu diesem Zeitpunkt war das Interesse an ihren vielfältigen Arbeiten allerdings bereits merklich abgeklungen – manch einem erschienen sie nur noch dekorativ. Eigentlich naheliegende Sammlungen wie das Centre Pompidou in Paris – vor dem Haus liegt der von ihr gemeinsam mit Jean Tinguely entworfene große Strawinsky-Brunnen – winkten deshalb bei der Schenkung schlicht ab.
Psychische Krise
Durch diesen glücklichen Umstand verfügt das Sprengelmuseum nun neben der von einer Enkelin de Saint Phalles geleiteten Charitable Art Foundation in Kalifornien und einer Sammlung in Nizza über den wohl größten Bestand an Werken der Künstlerin. Langsam wird sie nun wiederentdeckt: einer umfangreichen Ausstellung vor zwei Jahren in Paris – großer Leihgeber war das Sprengelmuseum – folgen diesen Herbst Personalen in Helsinki und Dortmund.
Und auch in Hannover holte man nun eine kleine Werkauswahl aus dem Depot, zeigt sie zur Neuaufstellung der Sammlung in der Einblickshalle direkt am Haupteingang. Neben einer weiteren Nana wird mit frühen Arbeiten ab den 1960er-Jahren wie auch mit ganz späten de Saint Phalles künstlerische Entwicklung nachgezeichnet.
Der Ort ist klug gewählt. Seine etwas in die Jahre gekommene Architektur mit Pflasterboden und breiter Glasfront bildet den wenig musealen Rahmen – zudem ist er ein Hybrid zwischen Innen und Außen. Denn zum Museum als Institution wie als hermetisches Interieur bestand wechselseitiges Misstrauen von Anbeginn der künstlerischen Arbeit Niki de Saint Phalles.
Zur Kunst gefunden hatte sie während einer psychischen Krise, heute würde man sie vielleicht Burn-out nennen. 18-jährig durchgebrannt mit dem jungen, reichen US-Literaten Harry Mathews, rebellierte sie gegen das Elternhaus. Ehe und zwei Kinder folgten, die Übersiedlung nach Paris, eine Karriere als Model, dann der Zusammenbruch.
Die autodidaktisch verordnete Kunst wurde ihre Therapie – eine Radikalkur allerdings. Mit einem Paukenschlag katapultierte sich de Saint Phalle 1961 ins Zentrum der Kunstszene, als sie begann, auf ihre klassisch gerahmten Bildobjekte oder Materialcollagen mit einem Kleinkalibergewehr zu schießen. Destruktion, Katharsis, Abrechnung mit dem Vater, der sich an ihr vergangen hatte, aber auch mit der katholischen Kirche: persönlicher, politischer, feministischer Aufruhr, alles brach sich nun Raum in der selbstermächtigenden Geste.
Akt der Zerstörung
Die Bildobjekte bluteten aus eingegipsten Farbbeuteln oder Eiern. Aus dem Akt der Zerstörung entstanden neue Bildformen, die symbolische Wiedergeburt in einem zufälligen, sich eigendynamisch vollendenden Kunstprozess. Häufig wurden befreundete Künstler, etwa Robert Rauschenberg oder Jasper Johns gebeten, die Objekte zu beschießen. Die künstlerische Autorschaft wurde so weiter delegiert und als Performance inszeniert.
Zu dieser autobiografisch dunklen Seite verfügt man in Hannover über eindringlich beklemmende Werke, etwa ihre rituellen Morde an Vater oder Geliebten, als heiliger Sebastian von Dart-Pfeilen und Nägeln durchbohrt. Das Schießen wurde für die Künstlerin schließlich wie eine Droge, die bedrängenden „Monster“ jedoch blieben. „Ich wusste, ich musste etwas Neues beginnen. Veränderung ist Teil meiner Kreativität“, sagte sie einmal in einem Interview.
Auf eine Phase bunter Nanas, auch als begehbare Riesenfrau-Häuser, folgte als Spätwerk der Tarot-Garten in der Toskana, der kolossale, Realität gewordene Traum, an dem de Saint Phalle von den späten 1970er-Jahren bis zu ihrem Tod arbeitete. Trumpfkarten des Tarockspiels mutieren zu Architekturen und gigantischen Fabelwesen, mit bunten Mosaiken überfangen, von plätscherndem Wasser begleitet.
Das kleine Gesamtmodell aus Plastilin auf Küchenbrettchen ist in Hannover zu sehen. Größere farbige Einzelmodelle stehen an der Glasfront, fast schon in den Außenraum freigesetzt. Zugegeben, dieser Werkzyklus irritiert in seiner formalen Naivität, erinnert an Hundertwasser-Kitsch und erscheint altersmilde, viel zu versöhnlich. Und doch birgt er Systemkritik, wie immer bei Niki de Saint Phalle. Sie finanzierte die gesamte Anlage weitgehend selber, stellte damit noch einmal ihre künstlerische Selbstermächtigung wie auch die Unabhängigkeit vom durchkommerzialisierten Kunstmarkt kraftvoll und mit der ihr typischen Portion Größenwahn unter Beweis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen