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Sächsischer LandtagEine Mehrheit für Kretschmers Minderheit

Der sächsische Landtag hat Michael Kretschmer als Ministerpräsidenten wiedergewählt. Die AfD scheiterte offenbar mit ihren Tricksereien.

Zwei Anläufe benötigte Sachsens amtierender Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) für seine Wiederwahl Foto: Robert Michael/dpa

DRESDEN taz | Schon in seiner Antrittsrede richtete Michael Kretschmer am Mittwochmorgen ein paar dankende Worte an die „verantwortungsvolle Opposition“, die ihn mit einer absoluten Mehrheit gewählt hatte. Der CDU-Landesvorsitzende bleibt Ministerpräsident in Sachsen. Obwohl seine Minderheitskoalition mit der SPD lediglich über 51 Stimmen im Landtag in Dresden verfügt, stimmten letztlich im zweiten 69 der 120 Abgeordneten für ihn. Sie hätten dazu beigetragen, sagte Kretschmer in die Kameras, „dass wir heute nicht in einem Chaos versinken“. Dabei gestikulierte er mit ein paar weißen Zetteln in der Hand und fügte hinzu: „Und deswegen ist diese Wahl heute auch ein Stück weit ein Signal, was in den nächsten Jahren möglich ist.“

Was nun auf Sachsen zukommt, damit hat der Freistaat keine Erfahrung: Erstmals regiert ein Ministerpräsident ohne Mehrheit.

Seit der Wahl im September sind sieben Parteien im sächsischen Landtag vertreten. Die CDU stellt mit 41 der insgesamt 120 Abgeordneten die größte Fraktion, die zweitmeisten Stimmen hat die AfD mit 40. Auf dem dritten Platz folgt die BSW-Fraktion mit 15 Stimmen, dann die SPD 10, die Grünen 7, die Linke 6, und Matthias Berger vertritt die Freien Wähler allein. Trotz der Auswahl, fand sich keine Mehrheit, die gemeinsam regieren wollte.

Letztlich erarbeiteten CDU und SPD einen gemeinsamen Koalitionsvetrag, obwohl ihren Fraktionen 10 Stimmen bis zur Mehrheit fehlten. Gespräche mit den anderen Fraktionen ergaben keine Zusagen für eine stabile Tolerierung.

Grüne schreiben „Nein“ auf Stimmzettel

Mit dieser Ausgangslage ging Michael Kretschmer am Mittwoch in den ersten Wahlgang. Neben ihm traten noch zwei weitere Kandidaten an: AfD-Chef Jörg Urban und Matthias Berger. Beide bekamen weniger Stimmen als der geschäftsführende Ministerpräsident. Von den 120 Abgeordneten des Landtags stimmten 55 für ihn. Für Urban stimmten 40 Abgeordnete – vermutlich alle aus seiner Fraktion. Berger bekam 6 Stimmen.

12  Abgeordnete enthielten sich. Die 7 Abgeordneten der Grünen schrieben nach eigenen Angaben „Nein“ auf ihre Stimmzettel, um ihre Ablehnung aller drei Kandidaten zu verdeutlichen. Das machte ihre Stimme ungültig. Als Landtagspräsident Alexander Dierks den zweiten Wahlgang ankündigte, applaudierte nur die AfD.

Im zweiten Anlauf überraschten dann gleich zwei Ergebnisse. Zum einen gewann Michael Kretschmer mit absoluter Mehrheit: Von 120 Mitgliedern stimmten 69 für ihn. Zum anderen konnte der Freie Wähler Berger seinen Stimmanteil deutlich ausbauen: Er erhielt nun 39 Stimmen, während AfD-Chef Urban nur noch eine einzige bekam. Offenbar waren die AfD-Abgeordneten auf einen Kemmerich-Moment aus. In Thüringen war es 2020 ihren Partei-Kolleg:innen gelungen, den überrumpelten FDP-Chef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten zu wählen, was eine Regierungskrise zur Folge hatte. Sachsen blieb das erspart.

Während sich die Grünen nach eigenen Angaben enthielten, stimmten das BSW und die Linke mehrheitlich für Kretschmer. Beide hoffen darauf, Einfluss auf die künftige CDU-SPD-Regierung nehmen zu können.

So weit ist es gekommen: Linke wählen Kretschmer

Sabine Zimmermann sagte nach der Wahl am Rande des Plenarsaals, ihre BSW-Fraktion sei übereingekommen, dass eine Regierung für Sachsen besser sei als keine Regierung, darum hätten sie für Kretschmer gestimmt. Sie bedauere aber nicht, dass das BSW kein Koalitionsmitglied sei, dafür habe das Vertrauen gefehlt.

Dass die Linke in Sachsen einen CDU-Ministerpräsidenten mitwählt, gab es auch noch nicht. Die Umstände hätten ihre Fraktion dazu gebracht, erklärte Linkenvorsitzende Susanne Schaper. Die Linke hoffe auf eine „neue politische Kultur“, sagte sie wenige Stunden nach der Wahl in ihrem Landtagsbüro. Ihre Partei sei jedoch nicht verantwortlich für das Regierungshandeln der Koalition. „Wir wollen in den Konsultationsmechanismus mit eingebunden werden.“ In der oppositionellen Rolle bleibe die Linke weiterhin, etwa beim Thema Migration. Eine klare Bedingung nennt Schaper noch: „Wenn die AfD hier an Einfluss gewinnt, dann sind wir raus.“

Mit einschwörenden Worten schloss Michael Kretschmer seine Antrittsrede. Der „anstrengende Wahlkampf“ sei vorbei, „jetzt geht es darum, diesem Land eine gute Zukunft zu geben, arbeiten Sie alle mit.“ Bald muss er sich wieder auf die Suche nach Mehrheiten machen.

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5 Kommentare

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  • Den Mut zur Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Linke, hätte ich mir bei der letzten Bundestagswahl von SPD und Grünen gewünscht.



    Leider glaubten die beiden inzwischen bürgerlichen Parteien sich nach links abgrenzen zu müssen.

    • @Bürger L.:

      Das hätte aber rechnerisch nicht für eine einfache Mehrheit gereicht, auch vor Abspaltung vom BSW nicht.



      Was dann weiter rechts passiert, kann man ja an den vorgeblichen "Liberalen" sehen. Da geht es nur noch um Destruktion im Sinne der Neoliberalen.

  • Eine echte Minderheitsregierung und diverse Möglichkeiten stimmen einzusammeln. Das kann richtig gut sein für das Land. Auch wenn es für die Regierung sicher schwierig ist, so ohne eigene Mehrheit.

    Auch wenn ich hier gleich gesteinigt werde, finde ich es schade, dass man in Sachfragen nicht auf die Stimmensuche beim ganzen Parlament geht. Als Minderheitsregierung ist man da eigentlich ideal für geeignet. Wenn man der Meinung ist, etwas wäre gut fürs Land, sollte man nicht nur schauen ob man dafür auch Stimmen linker Parteien bekommt, die Stimmen rechter Parteien stinken ebenfalls nicht.

    • @Dr. Idiotas:

      Wenn jemand von Anfang an auf Krawall und Konfrontation aus ist, dann frage ich mich ernsthaft, was er/sie zur Bewältigung unserer Probleme beizutragen bereit ist, und was da für Ergebnisse bei rauskommen. Wir werden das Geschehen beobachten.

  • "Eine klare Bedingung nennt Schaper noch: „Wenn die AfD hier an Einfluss gewinnt, dann sind wir raus.“"



    Klare Linie, allerdings ohne Verhandlungsgewicht. Der Minderheitenregierung fehlen 10 Stimmen und Die Linke hat nur 6...



    Insofern müsste eine jede Abstimmung die Die Linke unterstützt noch eine vierte Partei ins Boot holen - mutmaßlich dann die 7 Grünen...



    Wie oft die sächsische CDU unter Kretschmer mit Grün oder Links kuscheln will kann sich jeder selbst ausmalen...



    Sachsen wird sehr brombeerig mit vereinzelten blauen Sprenklern