Sächsischer Innenminister über Asyl: „Die EU braucht eine Rosskur“

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) fordert die Abweisung von Geflüchteten an der Grenze. Ein Gespräch über Recht, Demokratie und die AfD.

Portrait von Armin Schuster

Sachsens Innenminister Armin Schuster, hier am 10. Juli in bannewitz Foto: Sebastian Kahnert/dpa

taz: Herr Schuster, die Sicherheitslage ist angespannt, Sie sind als Innenminister gefordert – und gleichzeitig Wahlkämpfer in der Sächsischen Schweiz. Lässt sich das vereinbaren?

Armin Schuster: Das geht tatsächlich an die Substanz. Ich kann das Ministerium nicht vernachlässigen. Aber ich war ja Gott sei Dank elf Jahre Abgeordneter im Bundestag, daher ist mir das Kandidatendasein nun wirklich nicht fremd.

Aber Sie selbst sind vielen Sachsen fremd im Wahlkreis. Sie kamen erst 2022 hierher, als Innenminister – als „Wessi“. ­Ihren Wahlkreis holte 2019 schon die AfD. Wie wollen Sie das noch drehen?

Ich bin mein ganzes Leben, berufsbedingt, durch die Republik herumgewandert. Dass ich der Neue bin, habe ich gefühlt schon 100-mal hinter mir. Wenn ich im Wahlkreis Leute kennenlerne, heißt es aber oft: „Der ist gar nicht so übel.“ Das ist ja schon mal was. Der Wessi wird mir persönlich – denke ich – nicht angeheftet. Aber allgemein ist das Thema noch da, das kann man schon mit Händen greifen.

Was ist Ihr Konzept, um die AfD zu schlagen?

Das sitzt vor Ihnen.

Wie meinen Sie das?

Ich werde im Wahlkreis natürlich inhaltliche Akzente setzen. Aber vor allem geht es darum: Was ist das für ein Mensch? Das ist die Lücke, die die AfD lässt: Bei denen kommt kein Mensch rüber. Diese Partei setzt ja selbst bei Bürgermeisterkandidaturen ausschließlich auf Bundesthemen. Das ist nicht mein Stil. Es geht hier um die Region, deshalb treffen Sie mich bei Feuerwehrfesten oder bei allen möglichen Gelegenheiten – und da politisiere ich nicht. Ich möchte den Menschen klarmachen: Wenn sie mich wählen, bin ich auch für das kleinste Problem vor Ort ansprechbar.

Hilft Ihnen im Wahlkampf auch Ihr Hardliner-Image?

Welches Hardliner-Image? (lacht) Nein. Das nehmen die Leute vor Ort so nicht wahr.

Sie traten 2015 für strenge Grenzkontrollen ein, stellten sich gegen Merkel, fordern auch heute migrationspolitisch Härte. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat gerade gesagt, die drei großen Probleme seien: Migration, Migration, Migration. Dem schließen Sie sich dann wohl an?

Mit Blick auf die kommenden Wahlentscheidungen hat er mit Sicherheit recht. Wenn man hier die Leute nach ihren Sorgen fragt, taucht das Thema an erster Stelle auf, mit Abstand.

Ist es sinnvoll, derart auf ein Thema zu setzen, das vor allem die AfD bespielt?

Es ist schwierig, aber ich tue es trotzdem. Und wer sorgfältig zuhört, wird hier einen deutlichen Unterschied zwischen CDU und AfD bemerken. Wir sind als CDU – mit einer Ausnahme, die uns schwer nachhängt, 2015 – immer für eine kontrollierte Migration eingetreten. Auch zuletzt haben wir hier Vorschläge gemacht, die von der Ampel anfangs vehement bekämpft wurden: Grenzkontrollen, Bezahlkarte, Abschiebung von Intensivtätern. Heute macht die Ampel all dies. Hätte sie das gleich umgesetzt, hätte das der AfD nicht so in die Karten gespielt.

Es gibt gute Gründe, diese Maßnahmen kritisch zu sehen. Dauerhafte Grenzkontrollen wären ein Verstoß gegen das EU-Recht. Das wollen Sie?

Ich möchte für die EU eine Rosskur und zwar eine maximal harte. Das Ergebnis der Grenzkontrollen bei der Europameisterschaft – mit tausenden registrierten unerlaubten Einreisen und hunderten vollstreckten Haftbefehlen – war zwar einerseits ein Supererfolg, aber auch ein Offenbarungseid für das Schengensystem. Es zeigt: Kaum einer unserer Partner in der EU tut noch das, was vereinbart ist.

Sie würden die Freizügigkeit aufgeben, eine der Kernerrungenschaften der EU – in einer Zeit, in der die EU ohnehin unter Druck steht?

Das wird ja nicht passieren. Wenn Deutschland eine sehr konsequente Antwort gibt.

Und die wäre?

Der Rest Europas lebt wunderbar damit, dass Deutschland so attraktiv ist, das gilt es zu beenden. Deshalb müssen wir die Grenzkontrollen noch konsequenter als jetzt fahren, also mit Anwendung der Drittstaatenregelung nach §18.2 Asylgesetz…

… also die Zurückweisung von Geflüchteten an der Grenze?

Genau.

Laut EUGH verstößt das gegen Europarecht.

Niemand hält sich mehr an das Dublin-Abkommen, das ja besagt: Ihr müsst erst den Status der Person prüfen und wenn diese aus Italien kommt, dann soll sie nach Italien zurückgeführt werden. Nur dieser zweite Schritt passiert ja nicht. Inzwischen haben wir sogar Gerichte, die meinen, man dürfe nach Belgien keine Dublin-Überstellungen mehr machen. So geht das doch nicht! Wenn ein komplettes System zum Erliegen gekommen ist, kannst du dich auch zum Idioten machen, wenn du daran festhälst. Ich habe inzwischen zwei juristische Experten, die sagen, dass ich damit nicht Unrecht habe.

Der EUGH hat im vergangenen Jahr anders geurteilt. Hinzu kommt: Wenn erst Deutschland zurückweist, dann Polen – dann kommt es zu Kettenabschiebungen, die an der EU-Außengrenze enden und das Grundrecht auf Asylrecht aushöhlen. Wollen Sie das?

Das meine ich mit Rosskur. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir aufhören mitzuspielen und das Problem sich wieder über ganz Europa erstreckt, erst dann sind unsere Partner bereit, das Problem zu lösen. Politisch ist Europa ja keine Vereinigung von Menschen, die sagen, wir wollen überhaupt keine Asylbewerber.

Ihr Vorschlag würde zu Geflüchteten-Lagern in EU-Grenzstaaten wie Griechenland führen oder gleich zu Abschiebungen in die Türkei und von dort weiter. Leib und Leben der Menschen wäre nicht mehr sicher.

Ich habe in der Union die flexible Obergrenze mitentwickelt. Der Kanzler könnte das umsetzen. Er könnte mit den Ministerpräsidenten jedes Jahr festlegen, wie viele Menschen wir aufnehmen. Das wäre eine weltweit immer noch beachtenswerte humanitäre Haltung.

Aber das Grundrecht auf Asyl wäre dahin. Sie treten für eine Kontingentlösung ein, wollen eine Obergrenze von 200.000 Asylsuchenden. Was machen Sie mit dem 200.001?

Ehrlich, das ist ein so simplifizierendes Argument, das sprengt mir fast das Kleinhirn. Wir hatten 2016/17 in der Union darüber einen Konflikt, der bis an die Existenz der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU ging. Danach haben wir uns geeinigt und seit 2017 mit der Obergrenze 200.000 gearbeitet. Mit Grenzkontrollen in Bayern, mit Kontingent-Vereinbarungen mit Italien, Malta, Griechenland und mit dem Türkei-Abkommen, haben wir sie eingehalten. Das Türkei-Abkommen funktioniert schon lange nicht mehr und damals gab es auch keinen russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Aber die Ukrainer werden doch gar nicht mitgezählt, weil sie keine Asylbewerber sind.

Als Innenminister haben Sie Rechtsextremen wie Linksextremen den Kampf angesagt. Zuletzt gab es vor allem Razzien und Festnahmen in der linken Szene, Ak­ti­vis­t*in Maja T. wurde von der JVA Dresden nach Ungarn ausgeliefert. Ist das die richtige Priorität in Sachsen?

Vielleicht wird das anders wahrgenommen, aber wir machen die meisten Nadelstiche weiterhin gegen die rechtsextreme Szene. Der Rechtsextremismus ist eine enorme Herausforderung, schon quantitativ – und weil man aufpassen muss, dass dieser keine Anschlussfähigkeit an die Mitte der Gesellschaft erreicht. Der Linksextremismus ist ein völlig anderes Phänomen, das ganz anders bekämpft werden muss. Aber wenn dort Extremisten schwerste Gewalttaten begehen oder in einem aktuellen Indymedia-Beitrag Terror gegen Polizisten oder Richter ankündigen, dann sage ich, mir reicht’s. Dann will ich das begradigen. Was mir wirklich Sorge bereitet, wie auf der linken Seite die Kreise verschwimmen: die Protagonisten der progressiv-urbanen Stadtgesellschaft, die Aktivisten der linken Szene und dann die extremistischen Gewalttäter. Wer ist Täter, wer gibt Deckung, wenn in Leipzig ein Autohaus brennt? Wer hat Frau Klette in Berlin Deckung gegeben?

Auf der anderen Seite stehen eine starke rechtsextreme AfD, provozierende Freie Sachsen, rechte Gewalt im Wahlkampf: Muss da nicht mehr getan werden?

Da wird doch viel getan, der Rechtsextremismus beschäftigt uns eindeutig am stärksten. Unser Expertennetzwerk bei der Landesdirektion ist noch komplett auf dieses Thema fokussiert. Und Sachsen hat als eins von drei Ländern die AfD als rechtsextremistisch eingestuft – jetzt auch gerichtlich bestätigt. 13 andere Bundesländer haben das noch nicht getan.

Einige fordern auch ein Verbot der AfD und der Freien Sachsen. Wie stehen Sie dazu?

Ich äußere mich nicht zu Einstufungen oder Verboten von Parteien. Das sind rechtliche Entscheidungen, keine politischen. Da halten wir uns hier auch wirklich streng dran.

Wie sieht es mit dem Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins aus? Halten Sie das für richtig? Was antworten Sie Kritikern, die hier einen Schlag gegen die Meinungsfreiheit sehen?

Das ist eine rein rechtliche Entscheidung. Auch die werde ich als Innenminister nicht kommentieren. Das mögen andere politisieren.

Sie sprachen von einer drohenden Anschlussfähigkeit der Rechtsextremen. Ist die nicht längst gegeben, mit jüngsten Wahlergebnissen für die AfD in Sachsen von bis zu 36 Prozent?

Da würde ich erstmal die Landtagswahlen abwarten. Bei der Europawahl konnte die AfD noch abstrakt schwadronieren, aber jetzt wird’s konkret. Immer wenn es vor Ort darauf ankommt, wenn es um Bürgermeister oder Landräte geht, dann entscheiden die Wähler überraschend anders. Und ich hoffe darauf auch bei der Landtagswahl.

Aber Umfragen wie der Sachsenmonitor zeigen: Demokratiefeindliche Einstellungen sind weit verbreitet.

Das wird allgemein so gewertet. Aber wenn die Hälfte der Befragten sagt, ich wünsche mir eine Einheitspartei mit klarer Führung, dann heißt das doch nicht, sie wollen die alte SED zurück – totaler Quatsch. Dann heißt das, dass in Zeiten vieler Krisen, eine Sehnsucht nach Orientierung besteht. Das kann ich nachvollziehen.

Sie sehen keine Gefährdung der Demokratie?

Nein.

Bei der Landtagswahl könnte die CDU auf das Bündnis von Sahra Wagenknecht angewiesen sein, um eine Regierung ohne AfD zu bilden. Würde das mit Ihnen klar gehen?

Wenn die CDU vorher über Koalitionen spekuliert, treiben wir ohne Not die Werte der kleineren Mitbewerber hoch. Wir brauchen stabile Verhältnisse, dafür braucht es erst einmal einen kraftvollen Regierungsauftrag für eine Partei, das ist der Auftrag für die CDU.

In der CDU werden immer wieder auch Forderungen nach einer Zusammenarbeit mit der AfD bekannt. Halten Sie das für ausgeschlossen?

Das wird nicht passieren. Allein schon deshalb, weil wir – die CDU – von der AfD als das Feindbild schlechthin dargestellt werden. Ihr Ziel ist es, uns zu vernichten. Ich habe in der CDU-Sachsen noch niemanden getroffen, der derart suizidale Anwandlungen hat.

Auf lokaler Ebene klingt das bisweilen anders. Was würden Sie tun, wenn es kippt?

Ich persönlich?

Ja, Sie. Was würde das für Sie bedeuten als Christdemokrat?

Dann gäbe es für mich keine politische Zukunft in der CDU. Aber wissen Sie, was mich wirklich ärgert? Die intellektuelle Schlichtheit unserer politischen Mitbewerber, die uns mit dem einen Wort Brandmauer erklären wollen, wie wir den Umgang mit der AfD zu handhaben hätten. Das ist eine Unverschämtheit.

Aber die Diskussion um die Brandmauer wird auch in Ihrer Partei geführt. Dort wurde als eine Art Empfehlung ein Papier verschickt, das ganz klar sagt: keine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene.

Ja, keine Kooperation. Aber man kann eben auch nicht so tun, als gäbe es die AfD im Gemeinderat nicht.

Warum regt Sie der Begriff Brandmauer so auf?

Weil er politisch gefährlich ist. Unser Job, in der Mitte nach rechts dafür zu sorgen, dass wir demokratische Verhältnisse haben, ist schon schwer genug. Das lastet am schwersten nicht auf einem Bundestagsabgeordneten oder einem Landesminister, sondern auf einem Ortschafts- oder Gemeinderat. Ich kann den Beitrag von links dazu gerade nicht sehen, wirklich gar keinen. Und ich würde begrüßen, wenn sie wenigstens die Klappe halten würden. Mit der Brandmauer wird von linker Seite permanent versucht, uns zu unterstellen, es gäbe Neigungen in Richtung AfD. Ständig. Das vergiftet unglaublich.

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