Sachsentour: Der Gumpi
Mit der „Schwalbe“ ist Holger Gumpert in seinem geliebten Ostsachsen unterwegs. Grüne mag er so wenig wie den Kapitalismus.
Drei fette Fliegen brummen um unsere Köpfe herum und in verstaubte, mintgrüne Vorhänge hinein. Durchs leise eingeschaltete, aber gut vernehmbare Radio japsen Modern Talking „you’re my heart, you’re my soul“.
Den Gumpi, bei dem das p, wie er sagt, „stumm gesprochen“ wird, der es aber einfach sächsisch wie ein b spricht, kennen alle. Alle in Bischofswerda, eigentlich alle in Ostsachsen. Denn Holger Gumpert hat praktisch alles schon gemacht, mal in der Landwirtschaft gearbeitet, mal eine Diskothek geführt; heute repariert er Heizungen, nennt sich „Notarzt für Heizungen“ oder sagt: „Junge Damen, die frieren, mach ich wieder warm.“
Und außerdem ist er Hobbyfotograf, gestaltet einen Bildband über Ostsachsen, wo er ja viel herumkommt. Mit seiner froschgrünen Schwalbe, die einen DDR-Sticker am blechernen Bauch trägt. „Ich arbeite in der ganzen DDR.“ Wir fragen, ob es an seinem Geschichtsinteresse, das man fast Besessenheit nennen könnte, liegt, dass er das noch so sagt.
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„Ich bin noch sehr DDR-verbunden“, klärt der Gumpi auf. „Ich bin froh, dass ich 40 Jahre in diesem System gelebt habe.“ Der Gumpi sagt, von dem Sozialsystem, wie sie es in der DDR hatten, könne man heute nur träumen. Von der wunderbaren Kindheit, die er und die anderen gehabt hätten, auch. „Weil wir noch Kinder sein durften, ohne direkt etwas leisten zu müssen.“
Schön ist es in Rumänien
Aus der Brusttasche seiner beigen Latzhose ragen Stifte wie aufgerichtete Erdmännchen, Gumperts graue Haare zeigen nach hinten, und seine Nase verläuft spitz nach oben. Seine rumänische Freundin nennt er Maus, „meine Maus“. Überhaupt Rumänien. „Ich fühle mich sauwohl da, und die Leute liebe ich, mit denen kann man einfach so zusammensitzen und Sonnenblumenkerne essen.“ Die Rumänen beherrschten das, was die Deutschen, auf jeden Fall seit der Wende, nicht mehr könnten: „Einfach mal miteinander reden, sich gegenseitig zuhören und unterstützen.“ In der DDR hätten sie auch deshalb alles gehabt, weil sie sich neben dem Staat Netzwerke aufgebaut hätten, und der eine, der etwas hatte, es dem anderen gegeben und dafür etwas zurückbekommen habe. Es sei nicht nur ums Geld gegangen, sondern um ein solidarisches Miteinander. Um Verbundenheit und das Gefühl, dass alle gleich sind. Das vermisst der Gumpi am meisten.
Nichts findet er schlimmer als den Kapitalismus, vielleicht noch die Grünen, aber dazu kommt er später. Nach der Wende, als alle Betriebe in Ostsachsen, auch die berühmte Glaserei und das Mähdrescherwerk, dichtgemacht wurden, hat er sich selbstständig gemacht, „um dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen“. Wir sollen raten, wie viel Rente ihm dafür heute zustehe. „450 Euro“ klärt er prompt auf, bevor wir etwas schätzen können. Der Gumpi spricht schnell, und auch weil er rasant von einem zum nächsten Thema steuert, ist für uns nicht alles immer nachvollziehbar, aber für ihn hängt alles zusammen: die individualisierten, egoistischen Menschen des Kapitalismus mit all den Idioten auf deutschen Autobahnen; die porösen, fadenlosen Beziehungen in der Gesellschaft mit der Unsicherheit von so vielen.
Der Gumpi hat es sich in dem schweren Ledersessel allmählich bequem gemacht, seine Hände liegen gespreizt auf den Lehnen. An der Rezeption hatte er noch gesagt, wir dürften ihn alles fragen, solange es nicht um Politik gehe. Vielleicht weil er weiß, dass er nicht mehr herauskommt, wenn er sich einmal auf dieses Thema gestürzt hat. Gumpert stört vieles an Deutschland, wenn er auch meint, dass einiges geschafft wurde, aber: „Wir haben keinen Sozialstaat.“
Keine Demokratie in Deutschland
Und: „Wir haben keine Demokratie.“ Der Gumpi wünscht sich, dass die AfD in Sachsen stärkste Kraft wird. Und dass sie dann mit der CDU koaliert. „Das wäre doch das Beste, oder?“ Leider dürfe CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, obwohl er wolle, nicht mit der AfD koalieren, weil Merkel es ihm verboten habe. „Ergo: keine Demokratie“, sagt der Gumpi. Er fände auch eine Verbindung von Linkspartei und AfD gut, oder dann doch wieder CDU und FDP.
Die einzige Partei, die es dagegen überhaupt nicht geben müsse, seien die Grünen, „die Steineschmeißer ohne Schulabschluss“, weil auch alle anderen Parteien Passagen zum Klimaschutz in ihren Programmen stehen hätten. Und erst recht nicht brauche es diese „kleine Zicke aus Schweden“, die auf ihrer Segelreise über den Atlantik von acht Flugzeugen begleitet werde, von wegen emissionsfrei.
Das Feindbild ist klar umrissen, es sind diejenigen, die andere Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit transportieren („Mit ihrer irrsinnigen Gleichberechtigung haben sie die Männer irgendwann so weit, dass sie auch noch die Kinder bekommen“), die den Kohleausstieg vorantreiben („wäre eine Katastrophe für die Region“), die sich gefühlt um alles und jede*n kümmern, nur nicht um Menschen wie den Gumpi.
Wenn die AfD kommt
Obwohl der Gumpi viel von Parteiprogrammen redet, scheint es am Ende unbedeutend, was darin steht. So wie es seinem Verständnis auch nicht widerspricht, ein kapitalismuskritischer, überzeugter DDR-Anhänger zu sein und dann 30 Jahre lang die CDU gewählt zu haben. Im Jahr 2019 will der Gumpi für Sachsen eine Partei, die noch nicht gelogen hat, die noch nicht verbrannt ist. Und die auch mal hier ins Hotel, in den Evabrunnen, komme, um mit den Menschen zu sprechen. Was nur die AfD mache. „Dann ist immer volles Haus“, sagt Gumpert.
Jedes Wochenende nimmt der Gumpi sich etwas Neues vor, erkundet mit der grasgrünen Schwalbe sein geliebtes Ostsachsen. Und spricht dann wieder von der DDR: „Wenn man 40 Jahre etwas im Kopf hat, dann geht das nicht einfach weg.“ Er tippt sich seitlich an seinen eigenen. „Das kann man versuchen zu erklären, aber richtig verstehen kann es niemand, der das nicht erlebt hat. Das muss man fühlen.“
Der Gumpi sagt: „Wir waren nun einmal das Tal der Ahnungslosen, wir haben nichts mitbekommen, haben uns nicht ständig nach Westen orientieren können.“ Im Sachsen östlich der Elbe waren Funk und Fernsehen aus dem Westen nur mit erheblichem Aufwand zu bekommen. Die Bewohner galten deshalb immer als schlechter informiert. Beleidigend findet Gumpert das nicht: „Das war nun einmal so. Das heißt ja nicht, dass wir doof waren.“
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