Sabotage der Bahn: Fragiles Netz
Ein mutmaßlicher Sabotageakt hat den Zugverkehr in Norddeutschland lahmgelegt. Jetzt entbrennt eine Debatte um den Schutz kritischer Infrastruktur.
Am Samstagvormittag hatte die Bahn zunächst eine „Zugfunkstörung“ mitgeteilt und den Bahnverkehr in Niedersachsen, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein weitgehend eingestellt. Betroffen waren neben dem Personen- auch der Güterverkehr. Später sprach die Bahn von „Sabotage“ an Kabeln, die für den Zugverkehr „unverzichtbar“ seien.
Nach taz-Informationen waren im Berliner Ortsteil Karow und im nordrhein-westfälischen Herne Signalkabel durchtrennt worden, die für die digitale Funkkommunikation zwischen den Leitstellen und den Zugführer:innen, Bahnbegleiter:innen und Stellwerken unverzichtbar sind. Gegen Mittag lief der Zugverkehr schließlich wieder an, es kam aber noch zu Verzögerungen.
Die Bundesregierung positionierte sich da bereits klar. „Die Bahn war heute Ziel eines Anschlags“, erklärte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Die Kabel seien „mutwillig durchtrennt“ worden, es handele sich um gezielte „Sabotageakte“. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, man müsse von „vorsätzlichen Taten“ ausgehen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach ebenso von einem „Sabotageakt“. Und betonte: „Sollte es einen verfassungsfeindlichen Hintergrund geben, wird der Generalbundesanwalt ermitteln.“
Die Motivlage bleibt weiter offen
Doch die genauen Hintergründe der Tat blieben auch am Sonntag unklar. Ermittelte zunächst die Bundespolizei, übernahm am Samstagabend in Berlin der Staatsschutz des Landeskriminalamts, der für politische Straftaten zuständig ist. In Nordrhein-Westfalen wurde das Polizeipräsidium Bochum eingebunden. Ermittelt werde aber weiter in alle Richtungen, betonte eine Sprecherin der Berliner Polizei.
So hatten in der Vergangenheit wiederholt militante Linksradikale Bahnkabel attackiert, aus Protest gegen den G20-Gipfel oder gegen die deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg. Anders als diesmal wurden damals aber Brandsätze eingesetzt, auch fehlt jetzt ein Bekennerschreiben.
In der AfD wurde derweil gemutmaßt, dass Gegner:innen ihrer Großdemonstration am Samstag in Berlin hinter dem Angriff steckten. Auf der anderen Seite hatten zuletzt auch radikalisierte Querdenker offen über Angriffe auf Strommasten und kritische Infrastruktur räsoniert.
In Sicherheitskreisen wurde zunächst darauf hingewiesen, dass es durchaus Insiderwissen brauche, um von diesen beiden neuralgischen Kabelstellen zu wissen. Zudem seien die Kabel mit Betondeckeln besonders gesichert und nicht ohne Weiteres zugänglich gewesen. Am Sonntag aber hieß es wieder, alle Möglichkeiten seien offen, auch schlicht versuchte Kabeldiebstähle. Eine politische Motivation sei nicht ausgeschlossen, hieß es etwa von Sicherheitsbehörden aus NRW. Derzeit habe man aber auch keine Erkenntnisse, die darauf hindeuten würden.
Streit über Schutz für kritische Infrastruktur
Daneben lief die Debatte über den Schutz kritischer Infrastruktur in Deutschland aber bereits wieder auf Hochtouren – wie schon nach den mutmaßlichen Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines. Nur diesmal mit der Bahn im Fokus.
„Sicherheit ist für die Deutsche Bahn oberstes Gebot“, erklärte am Sonntag ein Bahnsprecher der taz. Dazu gehöre auch der Schutz sensibler Infrastrukturanlagen wie Gleise, Bahnhöfe, Signale oder Telekommunikationsanlagen. Man befinde sich dafür „im engen Schulterschluss“ mit den Sicherheitsbehörden. Zentral seien die rund 4.300 Sicherheitskräfte der Bahn, die mit 5.500 Beamten der Bundespolizei zusammenarbeiteten. Sicherheitsteams würden die Infrastruktur „systematisch“ kontrollieren. Gleichzeitig räumte der Sprecher ein, dass bei 34.000 Kilometern Streckennetz „eine lückenlose Überwachung nicht umsetzbar ist“.
Wissing sagte dazu nur, die Infrastruktur sei für Deutschland „unverzichtbar“, es gebe dafür „hohe Sicherheitsstandards“. Andere haben daran Zweifel. Vor allem die Grünen pochen auf mehr Schutz. „Auch wenn die Hintergründe der Tat noch unklar sind, ist offensichtlich, dass die kritische Infrastruktur in Deutschland ein Sicherheitsrisiko ist“, sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz am Sonntag der taz. „Das müssen wir dringend ändern. Es braucht endlich profunde Sicherheitsanalysen, klare Zuständigkeiten und ausreichend finanzielle Mittel. Denn das Thema wird uns noch sehr lange begleiten.“
Die Grünen forderten erneut, Mittel aus dem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen Bundeswehr auch für den Schutz der kritischen Infrastruktur zu verwenden – was an der Union gescheitert war. Und was diese auch am Sonntag zurückwies. Geld für die Sicherheit kritischer Infrastruktur müsse aus dem regulären Haushalt kommen, erklärte dort Fraktionsvize Johann Wadephul. seine Co-Fraktionsvize Andrea Lindholz forderte zudem mehr Geld für die Bundespolizei und „sofort einen Sicherheits-Check aller sensiblen Bahnanlagen“. „Von einem Betondeckel darf nicht die Mobilität der halben Republik abhängen.“
Die SPD blieb vorerst zurückhaltend. Der Staat könne nicht für die Sicherheit der gesamten kritischen Infrastruktur zuständig sein, sagte ihr Innenexperte Uli Grötsch der taz. Ob dies für die Bahn zu gelten habe, müsse nun besprochen werden. Wichtig aber wäre, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zu dem Vorfall übernehme, um ein politisches Motiv genau zu prüfen.
Kommt ein Dachgesetz?
Die Ampel hatte in ihrem Koalitionsvertrag auch ein Dachgesetz für die kritische Infrastruktur vereinbart, in dem klarere Zuständigkeiten für die Sicherheit festgehalten sind. Bisher legte Innenministerin Faeser dafür aber keinen Gesetzentwurf vor. Dabei hatte die Sozialdemokratin bereits nach den Nord-Stream-Lecks dem Schutz der kritischen Infrastruktur „höchste Priorität“ eingeräumt. Bereits seit Monaten gebe es „eine abstrakte Gefährdung“. Ihre Forderung: „Starke Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Mitteln und Befugnissen.“
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