SPD im Wahlkampf: Der talentierte Herr Steinmeier
Auf Wahlkreistour will der SPD-Fraktionschef Bürgernähe zeigen. Die Berliner Geschehnisse holen ihn aber auch in Brandenburg ein.
AUS BRANDENBURG taz | Gegen Mittag platzt die Idylle. Frank-Walter Steinmeier, der SPD-Kandidat für den Bundestagswahlkreis 61, hat sich gerade für 20 Euro Rohmilchkäse einpacken lassen. Zuvor hat er sich von Sepp Breitenbacher dessen Hofkäserei zeigen lassen.
Danach hat er sich mit Breitenbachers Freundin ausgiebig unterhalten. Wie es sich so lebt, hier im abgeschiedenen Märkischen Luch, wenn man aus dem lauten Berlin kommt? Ob die Familie von der Käserei leben kann? Wie der Sohn zur Schule kommt, wenn nicht mal ein Bus fährt? Alles Fragen, an deren Beantwortung Frank-Walter Steinmeier aufrichtig interessiert ist. Aber dann platzt sie, die Idylle.
Denn in Berlin hat Angela Merkels Sprecher gegenüber Journalisten erklärt, dass der SPD-Mann Steinmeier verantwortlich sei für die massenhafte Datenweitergabe vom Bundesnachrichtendienst an den amerikanischen Nachrichtendienst NSA. Eine 2002 vereinbarte Kooperation, sagt er, gehe auf eine Grundsatzentscheidung des damaligen Kanzleramtschefs und heutigen SPD-Fraktionsvorsitzenden zurück. Auf einmal ist nur eine Frage wichtig: Stimmt das?
Als Steinmeier zur Antwort ansetzt, wird er ein anderer. Statt des Plaudertons, in dem er mit den Leuten hier bei seiner Wahlkreis-Reise redet, ertönt nun Steinmeier-Sprech. Grammatikalisch abgezirkelt, leises Röhren, jedes Wort eine Missbilligung.
Steinmeier diktiert
Der geäußerte Vorhalt, diktiert er, „reiht sich ein in die Bemühungen der Bundesregierung, den NSA-Abhörskandal auf Vorgängerregierungen abzuschieben“. Die Bundesregierung müsse endlich die Verantwortung übernehmen – „sie muss dazu stehen und ein offenes Wort mit den Freunden reden“.
Die „Freunde“, das sind in diesem Fall die Vereinigten Staaten von Amerika. Und reden müsste mit denen die Frau, deren Namen er nicht ausspricht: Angela Merkel. Jene Kanzlerin, deren Vize er mal war. Und deren Außenminister. Und, schließlich, auch ihr Herausforderer.
2009 war das, die Agenda-gebeutelte SPD hatte das Naheliegende getan und ihren Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten gekürt. Doch die Wähler straften die Sozialdemokraten mit 23 Prozent ab, es war das schlechteste Ergebnis in der Parteigeschichte. Steinmeier, der Spitzenpolitiker, war gescheitert.
Heute, vier Jahre später, kämpft Steinmeier erneut um Wählerstimmen. Er ist immer noch eine große Nummer: als Chef der SPD-Bundestagsfraktion ist er der Oppositionsführer. Doch das Herausgestellte, das Aggressive und Eitle eines Kanzlerkandidaten muss er nicht mehr bedienen. Denn diesmal hat seine SPD Peer Steinbrück zu Merkels Herausforderer erklärt, diesmal muss der sich von der Wahlkampfmühle kleinhäckseln lassen.
Sichtbar, aber nicht angreifbar
Steinmeier hingegen reist durch die Lande, er hängt sich rein in den Wahlkampf. Spricht in Bierzelten und wandert in Bayern auf den 1.800 Meter hohen Zwiesel, er fährt in einen hessischen Kalischacht ein und eröffnet in Nordrhein-Westfalen eine Ausstellung zum Thema „Sommerfrische“. Er hält sich sichtbar.
Denn sollte jener Fall eintreten, den gar nicht so wenige Wähler sich wünschen – eine Neuauflage der großen Koalition in Berlin –, würden sich alle Augen auf ihn richten: Frank-Walter Steinmeier, den Außenminister und Vizekanzler a. D. Merkels Herausforderer steht ja erklärtermaßen ausschließlich für Rot-Grün zur Verfügung.
Doch noch ist es nicht so weit. Noch kann Frank-Walter Steinmeier in Ruhe durch seinen Wahlkreis reisen, heute mit dem Fahrrad, morgen mit dem Kanu und am dritten Tag zu Fuß. Vorausgesetzt natürlich, in Berlin drehen sie nicht am Rad. Das hier sind die wichtigen Termine.
Und ganz ehrlich, was interessiert die Leute hier auf dem Land schon, was mal war. Ein Guantánamo-Gefangener Murat Kurnaz, für dessen Freilassung sich ihr Abgeordneter vor zehn Jahren nicht eingesetzt hat? Oder irgend so ein Dokument von 2002, in dem es um Datenweitergabe ging? Alles gewesene, nicht vorstellbare Vorgänge! Hier vor Ort wollen sie endlich mal Breitbandkabel und feste Jobs, Grundschulen im Dorf und gute Pflege für die Alten. Wozu geht man denn sonst wählen?
Rumfahren, gucken, zuhören
Auch deshalb, weil hier die Stimmen sind, die Wähler, ist der Kandidat Steinmeier an diesem Tag aus Berlin ins westliche Havelland gekommen. Seit 2007, seit er von Brandenburgs SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck diesen Wahlkreis angeboten bekommen hat, macht er das jeden Sommer: rumfahren, gucken, stehen bleiben, fragen, zuhören. Vor allem zuhören. Steinmeier, der Mann mit dem schlohweißen Haar und der schwarzen Hornbrille, labert nicht rum, er verspricht auch nichts. Er hat’s nicht eilig.
Wenn Steinmeier – genannt Frank – von seinem blauen Tourenrad absteigt, bleibt er erst mal stehen. Er platzt nicht rein und kumpelt nicht an. Er steht. Und fragt. Und hört zu. Zum Beispiel Henri Kraatz.
Der 78-Jährige hat in dem 1.500-Seelen-Nest Möthlow ein Bienenmuseum eingerichtet. Schwer auf seinen Stock gestützt, führt er Steinmeier durch die Scheune. Hier Beuten, da leere Bienenschleudern, vor der Tür ein uralter Trecker namens „Lotte“.
Herrn Kraatz ist seine Sammelleidenschaft ein bisschen über den Kopf gewachsen, man sieht es. Aber egal, er freut sich über den Besuch und schwärmt: „Et blüht bei mir dit janze Jahr.“ Schließlich weist er Steinmeier an, im Gästebuch eine leer gebliebene linke Seite vollzuschreiben. Die sei noch frei, „und so’n Buch kostet ooch seine dreißig Euro. Also!“ Brav verewigt der Gast sich links.
Kinder in Poloshirts
Auch in Nennhausen liegt das Gästebuch schon bereit. Der Hausherr, Alexander von Stechow, begrüßt den Kandidaten in seinem Haus, das er 1995 für eine D-Mark gekauft hat. „Die teuerste D-Mark meines Lebens“, wie er betont. Das perfekt sanierte Herrenhaus repräsentiert die bürgerliche Sehnsuchtsseite Brandenburgs: hochherrschaftliche Räume, knarrendes Parkett, ein weitläufiger Park, in dem Jagdhunde toben und Kinder in Poloshirts.
Von Stechow, ein ehemaliger Banker, ist CDUler. Er freut sich, dass der SPD-Mann Steinmeier bei ihm vorbeischaut, und führt ihn herum. Steinmeier lobt, nippt an seinem Glas, lässt sich fotografieren. Im Garten fragt er Frau von Stechow, wie lange sie für die prächtige Buchsbaumhecke gebraucht hat. Immer fragen. Immer hören. Nichts zusagen. Dies hier ist einer jener Termine, bei denen man sich fragt, wer hier eigentlich wen anguckt – der Kandidat den Wähler oder umgekehrt?
Es ist Mittag. Steinmeier und seine Leute düsen die Landstraße entlang. Links Felder, rechts Wälder, ab und zu ein Entwässerungskanal. Es ist sehr warm, als die Reisegruppe Sepp Seitenbrechers Hof erreicht. Der Biokäser ist höflich, mehr nicht. Als Steinmeier im Laden verschwindet, um Käse einzukaufen, sagt er, nein, den Herrn wähle er nicht. „Ich bin bei den Grünen ausgetreten – unter anderem wegen Herrn Steinmeier.“ Grund: die Agenda 2010. Seitenbrecher war selbst mal arbeitslos. „Pausenlos angemacht“ wurde er da von Amts wegen, das stinkt ihm bis heute.
Vor dem Weiterfahren die Frage an Steinmeier: Kann er, der Nordrhein-Westfale, inzwischen mit dem Osten? Er fühle sich wohl hier, sagt er, und ehrlich, „mir fällt der Unterschied gar nicht mehr auf“. Brandenburg wird seit 1990 von der SPD regiert, da sei schon habituell klar: Die Sozialdemokraten malen keine Luftschlösser, „wir sagen auch, was nicht möglich ist – das unterscheidet uns von der Linkspartei“.
Rot-Rot-Grün?
Und dann doch noch ein Satz zu den Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl. Schon 2009, als Kanzlerkandidat, habe er Rot-Rot-Grün im Bund ausgeschlossen, „seither ist die Linkspartei nicht koalitionsfähiger geworden“.
Und wie sieht’s aus mit der Union? Der Kandidat, der die 23-Prozent-Pleite nach der großen Koalition zu verantworten hatte, wird ein bisschen sauer. Merkel werde nicht in Verbindung mit Verantwortung gebracht, sagt er jetzt wieder im Steinmeier-Sprech. Leises Röhren. Die CDU „erntet Felder ab, die sie nicht gesät hat“, spricht der Agenda-Vertreter.
Der nächste Termin wartet. Und das Fernsehen, sagt ein Mitarbeiter. Diese verdammte NSA-Affäre hat ihn hier eingeholt. In der nächsten Stadt warten zwei Kamerateams auf sein Statement. Also los! Aber vorher rollt er noch mit dem Rad auf die andere Straßenseite. Da sitzen zwei Bäuerlein in der Mittagssonne und wollen ein Autogramm. Er steigt ab und fragt. „Wie geht’s?“ Ach, könnte man doch einfach immer nur zuhören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel