SPD-Wahlprogramm: WG-Zimmer für alle!
Die Sozialdemokraten versuchen sich im Wahlkampf als Erneuerin und Bewahrerin zugleich zu verkaufen. Ihr Programm ist ein Gegenentwurf zur Union.
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Lektüretipp gefällig? SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hätte einen: Friedrich Merz’ „Mehr Kapitalismus wagen“. Ein etwas vergifteter Vorschlag. Die Streitschrift, die der Unionskanzlerkandidat 2008 veröffentlichte, soll lediglich Kontrastfolie sein zum SPD-Programm, das Wahlkampf-Organisator Miersch ebenfalls anpreist. Dessen Titel könnte lauten: „Mehr Staat wagen.“
Was die SPD vorschlägt, liest sich an vielen Stellen wie ein Gegenentwurf zu den Absichten der Union. Mehr Investitionen in Wirtschaft, Infrastruktur und Verteidigung will die SPD durch höhere Steuern für Reiche und mehr Staatsschulden finanzieren. „Die Rolle des Staates wird eine zentrale Auseinandersetzung im Wahlkampf sein“, prophezeit Miersch.
Am Sozialstaat soll dagegen nicht gespart werden, die SPD verspricht stabile Renten, 15 Euro Mindestlohn und eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von aktuell 7 auf 5 Prozent.
Ganz durchgerechnet sind die Vorschläge nicht, die Deckungslücke beträgt nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft 30 Milliarden pro Jahr. Im Programm der Union klafft laut IW allerdings ein dreimal so großes Loch.
WG-Zimmer statt Raketen
Die SPD versteht sich als Programmpartei, also diskutieren 600 Delegierte den Entwurf trotz Zeitdrucks auf einem Sonderparteitag am Samstag. Rund 90 Änderungsanträge liegen vor. Sie beziehen sich etwa auf die Steuervorschläge. So fordern mehrere Anträge, die Vermögenssteuer im Wahlkampf nach vorn zu stellen. Neben der (Wieder-)Einführung der derzeit ausgesetzten Steuer plant die SPD eine Reform der Erbschaftssteuer, um Milliardenerben stärker abzuschöpfen. Dass sie in einer Regierung auf beiden Instrumenten beharren wird, ist aber unwahrscheinlich.
Andere Antragsteller:innen fordern, in der Migrations- und Asylpolitik nicht nach rechts abzubiegen. Einige Forderungen hat die Antragskommission bereits übernommen – so steht im Leitantrag nun eine staatlich finanzierte Seenotrettung als Verpflichtung.
Festgelegen wollen sich die Sozialdemokraten auch auf das von der Ampel beschlossene Selbstbestimmungsgesetz. „Ein Zurück wird es mit uns nicht geben“, heißt es im Leitantrag.
SPD: Bewahrerin oder Erneuerin?
Interessant dürfte die Diskussion über einen Antrag werden, der fordert, die Stationierung von U. S. Mittelstreckenraketen zu vermeiden.
Für Gesprächsstoff sorgt auch der Antrag der Jusos, eine Garantie für bezahlbare WG-Zimmer einzuführen, was praktisch einem Mietendeckel gleichkäme. Den hat die SPD stets abgelehnt, stattdessen will sie eine dauerhafte Mietpreisbremse. Streit gibt es im Vorfeld über Begrifflichkeiten: Taucht die „Kindergrundsicherung“ im Wahlprogramm auf oder lieber nicht?
Die SPD versucht sich im Wahlkampf als Bewahrerin und Erneuerin zugleich zu präsentieren. Verkaufen muss es Olaf Scholz. Er wird am Samstag zum Spitzenkandidaten gewählt. Sicherheitshalber per Akklamation und nicht in geheimer Wahl. Scholz hat übrigens auch ein Buch veröffentlicht: „Hoffnungsland.“ Passt ganz gut zur Lage der SPD.
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