SPD-Rücktritt in Schleswig-Holstein: Fraktionschef Losse-Müller gibt auf
Schleswig-Holsteins SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller tritt zurück und geht zur Stiftung Klimaneutralität. Wer auf ihn folgt, ist unklar.
Es ging ums Ganze in Thomas Losse-Müllers letzter großer Rede im Kieler Landtag: Schleswig-Holstein müsse klimaneutral werden, die Frage sei nicht „ob, sondern wie“, rief der SPD-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführer den Regierungsparteien CDU und Grünen zu. Die würden sich vor einer Antwort drücken, die SPD liefere sie: Knapp zwölf Milliarden Euro würden bis 2030 für die „Klima-Investitions-Bedarfe“ gebraucht.
Finanzieren wollte Losse-Müller diesen Betrag über ein Sondervermögen namens „Transformationsfonds des Landes Schleswig-Holstein“. Begründen wollte er den Fonds mit der Notlage durch den Klimawandel – eine Idee, die vor ihm schon andere hatten und die dummerweise nicht mehr funktioniert: Wenige Tage vor der Kieler Parlamentsdebatte hatte das Bundesverfassungsgericht solche Sondervermögen für verfassungswidrig erklärt.
So erinnerte Losse-Müller bei seiner Rede ein bisschen an einen Ritter, der mit vorgestreckter Turnierlanze und wehenden Fahnen heranstürmt, um dann am Gegner vorbei in die Kulissen zu krachen. „Ziehen Sie den Antrag zurück, das ist finanzpolitisches Harakiri“, hieß es von der CDU. Sympathie für die Inhalte gab es von den Grünen, aber auch die knappe Absage: „Es ist halt nicht rechtens, darum funktioniert es nicht.“ Die FPD, die neben SPD auf der Oppositionsbank sitzt, nannte den Plan „utopisch“.
Viel gelernt
Zwar sollen Ausschüsse weiter über den Antrag beraten, nur Thomas Losse-Müller wird nicht mehr dabei sein: Am 12. Dezember ist sein letzter Tag in der Fraktion, dann zieht er sich aus der Landespolitik zurück. Nach einer kurzen Abklingphase übernimmt er im April den Posten in einer bundesweiten Stiftung, teilt er mit.
Er habe in den vergangenen Jahren „viel über meine Stärken und Schwächen gelernt“, schreibt Losse-Müller weiter. Der Lerneffekt bestand in der Erkenntnis, dass er nicht erneut für eine Landtagswahl antreten, sondern in „den Maschinenraum der Politik zurückzukehren und strategisch arbeiten“ will.
Konkret bedeutet das einen Posten in der „Stiftung Klimaneutralität“, wo er zum dritten Direktor neben Rainer Baake und Regine Günther wird, beides Grüne, die Regierungsposten auf Bundes- beziehungsweise Landesebene innehatten. Losse-Müller rückt damit seiner früheren politischen Heimat wieder näher: Er ist erst seit 2020 Mitglied der SPD, zuvor besaß er ein grünes Parteibuch und gehörte als Staatssekretär der rot-grünen Regierung in Schleswig-Holstein an.
Das Bild des Maschinenraums benutzte Losse-Müller bereits 2021: Er kenne, sagte er der taz, „sowohl die Politik als auch den Maschinenraum der Unternehmen“. Es ist allerdings ein Maschinenraum, in dem Menschen in Kostümen und Anzügen an Schreibtischen über sehr viel Geld entscheiden: Losse-Müller, der 1973 in Schwerte im Ruhrgebiet geboren wurde und in Köln Volkswirtschaft und Politik studierte, arbeitete für die Deutsche Bank in London und für die Weltbank in Washington. Nach seiner Heirat kehrte er nach Frankfurt zurück.
2012 bot ihm Monika Heinold (Grüne), damals wie heute Finanzministerin in Kiel, den Posten des Staatssekretärs an, um die Krise der Länderbank HSH zu bewältigen. Losse-Müller, heute Vater von zwei Töchtern, nahm das Angebot auch an, weil seine Frau Karen Losse aus Schleswig-Holstein stammt: „Hier ist jetzt unsere Heimat und wir wollen hier nicht wieder weg“, heißt es auf seiner Homepage.
2014 wechselte er in die Staatskanzlei zum SPD-Ministerpräsidenten Torsten Albig. Als die CDU 2017 die Wahl gewann, wurde Losse-Müller Partner bei der Beratungsfirma EY, die später beim Wirecard-Betrug versagte.
Losse-Müllers Kür zum SPD-Spitzenkandidaten kam überraschend – doch er trat durchaus selbstbewusst an: „Klimawandel, Demografie, Digitalisierung, also die Themen, auf die es ankommt – das sind Themen, für die ich im Land bekannt bin“, sagte er zu Beginn des Wahlkampfes.
Doch Selbstwahrnehmung und die Stimmung im Land klafften auseinander: Selbst SPD-Mitglieder erkannten den Spitzenkandidaten auf der Straße nicht. Schließlich fuhr Losse-Müller in einem Wagen durch das Land, auf dessen Seiten sein Gesicht überlebensgroß prangte. Geholfen hat es nicht, die SPD erlitt bei der Landtagswahl im Mai 2022 eine Niederlage.
Das will Losse-Müller sich offenbar kein zweites Mal antun: „Für die Zukunft der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein ist es wichtig, dass andere die Bühne des Landtages nutzen können“, heißt es in seiner Mitteilung. Er habe die Entscheidung, nach Berlin zu gehen, kurzfristig getroffen, sagte er dem NDR. „Es ist ein spannendes Angebot.“ Es mache ihn aber froh, dass die Fraktion vieles bewegt und viele Themen gesetzt habe.
Dank kommt auch von Serpil Midyatli, die als SPD-Landeschefin die Entscheidung für Losse-Müller als Frontmann traf und ihm nach internen Debatten den Vorsitz der Fraktion überließ. Sie lobt Losse-Müller dafür, dass er die Fraktion neu aufgestellt und ihr ein „klares Profil“ gegeben habe. Er habe mit der Beschreibung, wie Klimaneutralität sozial gerecht erreicht werden könne, einen „absolut grundlegenden Baustein für die Zukunft des Landes“ gelegt.
Wer kann Fraktionsvorsitz?
Wer Losse-Müller als Fraktionschef*in folgt, ist unklar, die Entscheidung soll kommende Woche fallen. Midyatli ist als Landesvorsitzende das bekannteste Gesicht, aber Ehrgeiz wäre auch Sophia Schiebe zuzutrauen, die zwar neu im Landtag ist, aber eine lange Juso-Erfahrung hat und zurzeit stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist. Größen in der Fraktion sind auch der Bildungsexperte Martin Habersaat oder der Innenpolitiker Kai Dolgner, der zurzeit Parlamentarischer Geschäftsführer ist.
Mit ungebetenem Rat mischt sich der ehemalige Landeschef und Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner ein: „Die entscheidende Frage ist nicht, wie schnell es jetzt entschieden wird, sondern wie gut“, sagte der heutige Bundestagsabgeordnete.
Er wünscht sich auf dem Posten eine Person, die „anknüpft an die intellektuelle und konzeptionelle Stärke, die Losse-Müller eingebracht habe“ und gleichzeitig eine emotionale sozialdemokratische Orientierung im Neuanfang findet. Die SPD müsse „aus diesem tiefen Tal wieder herauskommen, in dem wir ja sind“. Stegner lobte Losse-Müller, der mit einer sehr kleinen Landtagsfraktion gegen eine Regierung mit Zwei-Drittel-Mehrheit antreten musste. „Dass er nicht der oppositionelle Kampfredner ist, das wusste man vorher.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg