SPD-Politiker über EU-Hotspot Moria: „Akuter Handlungsbedarf“

Lars Castellucci, SPD-Sprecher für Migration, ist erschüttert über die Zustände auf Lesbos. Er fordert, dass Deutschland mehr Geflüchtete aufnimmt.

Ein Flüchtling läuft in eine Decke gehüllt im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos.

Das Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos im Februar 2020 Foto: Aggelos Barai/ap

taz: Herr Castellucci, Sie besuchten kürzlich den Hotspot Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Wie war Ihr Eindruck vor Ort?

Lars Castellucci: Es sind wirklich katas­trophale Zustände. Alle Berichte, die ja schon längst im Umlauf sind, kann ich nur bestätigen – was Überbelegung angeht, die mangelnde Hygiene, fehlende Gesundheitsversorgung und die Unsicherheit insbesondere für verletzliche Gruppen. Was mich besonders erschüttert hat, sind die Kinder. Ein Drittel der Bewohner sind Kinder, etwas mehr als 1.100 unbegleitete Minderjährige befinden sich in dem Lager. Da ist wirklich akuter Handlungsbedarf – natürlich nicht erst seit gestern.

Wie stehen die Chancen der Menschen auf Asyl in Europa?

Die meisten kommen aus Afghanistan, dann folgen die Syrer und danach, aber mit kleineren Prozentzahlen, einige wenige afrikanische Länder. Nach den Statistiken handelt es sich derzeit in weit überwiegendem Maß um Menschen, die auch einen Schutzstatus in Europa erlangen können: Tatsächlich bekommen 90 Prozent der Syrer und 70 Prozent der Afghanen, die Asyl beantragen, am Ende einen Schutzstatus.

Die Zustände auf den Inseln sind seit Monaten bekannt...

Wir haben als zuständige Arbeitsgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion schon seit September gesagt, dass Härtefälle von dort verteilt werden müssen. Die Forderungen sind also schon alt. Dann ist zunächst als entlastende Maßnahme humanitäre Hilfe zugesagt worden. Der Innenminister hat vor Weihnachten 55 Lastwagen entsendet mit Hilfsgütern im Wert von ungefähr 1,5 Millionen Euro, um Unterkünfte, Matratzen und Decken auf den Inseln bereitzustellen.

Letzte Woche wurde bekannt, dass diese Güter noch im Hafen von Athen lagern. Das ist ein Skandal. Wer nicht einmal sicherstellen kann, dass humanitäre Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird, muss sich jetzt mit anderen europäischen Ländern dafür engagieren, die Menschen umzusiedeln. Das ist meine Forderung, mit der ich von den Inseln zurückgekommen bin.

Wird das mit Ihrem Koalitionspartner klappen?

Wir haben verabredet, nichts ohne unsere europäischen Partner zu starten. Das hat einen Grund: Wenn wir uns in Deutschland zu tun herausnehmen, was wir für richtig halten, werden andere europäische Länder auch zu tun in Anspruch nehmen, was sie für richtig halten. Wenn das das Gegenteil ist von dem, was wir tun, dann läuft Europa immer weiter auseinander. So bekämen wir die Gesamtsituation aber niemals in den Griff. Nach meinen Informationen ist Frankreich aber nun bereit, 400 Menschen aufzunehmen, Portugal 1.000. Auch Finnland, die Schweiz und der Vatikan haben Zusagen gemacht.

Was bedeutet das konkret? Wird die Bundesregierung jetzt aktiv?

Einige Bundesländer wie Niedersachsen haben sich ja bereits zu Landesaufnahmeprogrammen bereit erklärt. Auch Städte des Netzwerks Seebrücke wollen mehr Geflüchtete aufnehmen. Ich bin der Auffassung, dass das Bundesinnenministerium dafür jetzt die Genehmigung erteilen sollte, weil wir ja nicht mehr allein sind, sondern andere europäische Länder mithelfen werden. Und ich gehe davon aus, dass das auch erfolgt.

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