SPD-Parteitag: Mund abputzen. Weitermachen
Parteichef Klingbeil bekommt bei seiner Wiederwahl nur 65 Prozent. Danach bemüht sich die SPD um Harmonie – gegen mehr Frieden und für ein AfD-Verbot.
Klingbeil ist gerade auf dem Parteitag der SPD mit knapp 65 Prozent wiedergewählt worden. Bärbel Bas, die Co-Chefin, bekam 30 Prozentpunkte mehr. Noch nie wurde ein sozialdemokratischer Parteivorsitzender ohne Gegenkandidat mit weniger Rückhalt ins Amt geschickt.
Als Klingbeil danach zum Parteiabend des Seeheimer Kreises, der konservativen Parteiströmung, kommt, ist ihm der Nackenschlag immer noch anzumerken. „Viele von Euch fragen sich jetzt, wie geht’s dem Jungen eigentlich“, sagt Klingbeil. Er ist selbst Seeheimer. „Na ja, ist schon ok. Wirklich.“ Er habe ja den einen oder anderen in eine Situation gebracht, mit der die Personen nicht „happy“ seien. „Ich war ein bisschen der Blitzableiter.“
Schweitzer schnappt sich das Mikrofon. „Manchmal braucht eine Partei auch einen kurzen masochistischen Moment“, sagt er und wendet sich an Klingbeil. Klar, die 65 Prozent seien ein schwieriges Ergebnis. Aber jetzt gelte das Motto: Mund abputzen, weitermachen.
Verstörend gleichbleibende Munterkeit
Bis zu diesem Parteitag ist in der Tat einiges zusammengekommen. Das historische schlechte Wahlergebnis, die ungeliebte, aber alternativlose Koalition mit der Union, der Koalitionsvertrag, der viele eigentlich unverdauliche Brocken enthält und schließlich Klingbeils vorsichtig gesagt resolute Personalpolitik.
Das sind jedenfalls die Faktoren, die genannt werden, wenn man sich auf dem Parteitag umhört. Es war keine Kampagne gegen den Parteichef, kein organisierter Aufstand. Die knapp 65 Prozent sind Ausdruck der Enttäuschung der Partei über die Niederlage bei der Bundestagswahl. Und auch Kritik an Klingbeil, der mit verstörend gleichbleibenden Munterkeit immer weitermacht.
In seiner Rede gestand er Fehler ein, allerdings äußerst vage. Und er versuchte den Eindruck zu zerstreuen, die Niederlage der SPD genutzt zu haben, um sich als neues Machtzentrum zu etablieren. Nach dem miserablen Ergebnis der Bundestagswahl habe er zwei Möglichkeiten gesehen: „Entweder ich höre auf oder ich gehe voll in die Verantwortung.“ Das war, jedenfalls für ein Drittel der Delegierten, zu wenig Demut.
Ist der Denkzettel für den machtbewussten Vizekanzler Klingbeil nur ein schnell vergessenes Stimmungsbild? Mund abputzen, weitermachen wie bisher?
Nicht ganz. Denn Bärbel Bas, die Co-Chefin, ist machtpolitisch ein anderes Kaliber als Saskia Esken. Die Macht-Hierarchie zwischen Klingbeil (wichtig) und Esken (nicht so wichtig) war immer klar. Esken, die sich sehr emotional von Olaf Scholz („Du warst mein Kanzler“) verabschiedete, war als Parteichefin oft Kanzler-Erklärerin. Bas, die selbstbewusste Arbeitsministerin und Parteilinke, wird keine Vizekanzler-Erklärerin werden. Bisher schien Klingbeil das einzige Machtzentrum der SPD zu sein, auch der einzige denkbare Kanzlerkandidat 2029. Das ist jetzt zumindest offen.
Auf dem Parteitag attackierte Bas Richtung Union den „Klassenkampf von oben“ und den Sexismus in der Politik. Und damit auch die SPD. Die Partei sei mit den beiden einzigen SPD-Chefinnen in 162 Jahren, Andrea Nahles und Saskia Esken, nicht sonderlich fair umgegangen. Damit sprach sie den GenossInnen aus dem Herzen.
Selbst Klingbeil schien erschrocken
Tim Klüssendorf ist mit 90 Prozent der Stimmen zum neuen Generalsekretär gewählt worden. Auf dem letzten Parteitag galt der 33-Jährige noch als „Rebell“, nun ist er dessen oberster Manager. Die Härte des Jobs ist ihm am Sonntagmorgen anzumerken: Er sieht ein bisschen müde aus, trotz der Schminke für den nächsten Fernsehauftritt. Das Ergebnis für Klingbeil kommentiert der Parteilinke jedoch gelassen: „Ich glaube nicht, dass da was hängen bleibt. Die Genossinnen und Genossen wollen jetzt nach vorn schauen.“
Selbst die Jusos, die Klingbeil auf dem Parteitag am härtesten angingen, schienen ein bisschen erschrocken über den Affront gegen den Chef. Juso-Chef Philipp Türmer verzieht ein wenig das Gesicht, wenn man ihn darauf anspricht. Und will, wie Klüssendorf, nach vorn schauen.
Dort wartet die Arbeit am neuen Grundsatzprogramm. Das soll bringen, was auf diesem Parteitag echte Mangelware ist – zündende, einleuchtende Ideen, warum es die Sozialdemokratie geben muss. Ex-Kanzler Olaf Scholz hatte nicht nur versprochen, „ein ehemaliger Kanzler zu sein, über den sich die SPD immer freut“ – also kein Gerhard Schröder Nummer 2. Scholz hatte auch eine Sozialdemokratie beschworen, die für normale Leute ohne akademischen Abschluss da ist, und die auf Respekt und Hoffnung auf eine bessere Zukunft setzt. Nur so sei der Rechtspopulismus zu bekämpfen. Dass Scholz, der Mann von gestern, die programmatisch vielleicht stärkste Rede hielt, sprach auch Bände.
Alexander Schweitzer, Ministerpräsidenten Rheinland-Pfalz
Aufbruchvibes habe er auf dem Parteitag nicht gespürt, sagt Türmer am Sonntag. Der Juso-Chef hofft auf „neue Ideen für eine solidarische Flüchtlingspolitik und echte Verteilungsgerechtigkeit“, so Türmer zur taz.
Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil, der die Debatte um das letzte Grundsatzprogramm 2008 organisiert hatte, warnt die SPD schon vorab vor zu viel Selbstbezüglichkeit. Beim Grundsatzprogramm müsse man die Diskussion in die Gesellschaft öffnen. „Wir sind zu langweilig, liebe Genossinnen und Genossen“, so Heil. Ein Satz, der bemerkenswert viel Beifall bekam.
Direkter Streit? Ringen um den Kurs? Angriffe auf Schuldige an der Wahlniederlage? All das gab es nicht, oder zumindest nur am Rande. Nur bei einem Thema wurde mit offenem Visier gekämpft: Ist die SPD Friedenspartei in der Tradition von Egon Bahr, die Deals mit Moskau groß anvisiert? Oder die Partei der größten Aufrüstung seit Jahrzehnten, inklusive Wiederaufnahme der Wehrpflicht?
Ralf Stegner, Unterstützer des Manifests, plädierte für Unterstützung der Ukraine mit Waffen, aber kritisierte die „wahnsinnige Aufrüstung“. Verteidigungsminister Boris Pistorius antwortete umgehend. Putin sei ein Imperialist, der „nicht verhandeln und keinen Frieden will“. Deshalb könne man mit Moskau nicht ernsthaft „über Frieden und Abrüstung reden“. Das waren die bekannten Argumente aus der hitzigen Debatte um das Manifest. Der Parteitag zeigte recht eindeutig, wie die Mehrheitsverhältnisse in der SPD sind. Die Kritik an Stegner überwog deutlich. Der Ex-Fraktionschef und Außenpolitiker Rolf Mützenich, der Kopf hinter dem Manifest, war nicht zum Parteitag gekommen.
Sieben Stunden um einen Kompromiss gerungen
Parteichef Klingbeil hatte nach dem Überfall auf die Ukraine 2022 die SPD auf einen neuen Kurs gebracht. Es gehe um Sicherheit vor Russland, nicht mehr um Sicherheit mit Russland. Im Manifest ist die Rede davon, Berlin müsse perspektivisch zu Sicherheit mit Moskau zurückkehren. Klingbeil und Pistorius haben in dieser Frage die Partei, jedenfalls die Delegierten, hinter sich. In der Debatte argumentierten auffällig viele jüngere GenossInnen gegen das Manifest.
Das zweite kontroverse Thema war die Wehrpflicht. Die Union will die Aussetzung der Wehrpflicht sofort beenden. Die Jusos wollten die SPD per Initiativantrag auf ein Nein zum Zwangsdienst festlegen. Das wiederum ging Minister Pistorius zu weit. Der setzt auf Freiwilligkeit, will sich aber, falls diese Konzept scheitert, die Tür offen lassen, die die Jusos verriegeln wollen. Sieben Stunden wurde hinter den Kulissen um einen Kompromiss gerungen. Die SPD bekennt sich nun zu einem Wehrdienst, „der auf Freiwilligkeit beruht und sich am schwedischen Wehrdienstmodell orientiert“. Die Tür zur Wehrpflicht aber bleibt offen: Man müsse „reagieren können, wenn die sicherheitspolitische Lage dies erfordert“.
Die Dramaturgie des Parteitages verlief in klassischen Bahnen. Vom Konflikt zur Versöhnung. Erst das Drama um Klingbeil, dann überschaubarer Dissens bei Frieden, Rüstung, Wehrpflicht, um am Sonntag in schönste Einigkeit zu münden. Die SPD fordert ein AfD-Verbotsverfahren, das es sofort vorzubereiten gelte. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll Materialien für ein AfD-Verbot sammeln, das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht soll „unverzüglich“ folgen.
Klingbeil warf der Union bei diesem Thema eine zögerliche Haltung vor. „In dem Moment, wo der Verfassungsschutz sagt, dass es eine rechtsextreme Partei ist, darf es kein Taktieren mehr geben.“ Das war einer der ganz wenigen Sätze, in denen Klingbeil den Koalitionspartner erwähnte.
Wehret den Anfängen
Der Kampf gegen rechts ist für viele SozialdemokratInnen immer noch die erste Bürgerpflicht – die Debatte ist von Feierlichkeit getragen, gespickt mit Referenzen an SPD-Altvordere wie Carlo Schmid und Otto Wels, die sich dem Kampf gegen den Nationalsozialismus verschrieben hatten.
Der Tenor lautet: Wehret den Anfängen. Die AfD habe „erst damit begonnen, die Demokratie zu beseitigen“, warnte Thüringens Innenminister Georg Maier. „Wenn wir es nicht schaffen, diesen Antrag innerhalb der nächsten vier Jahre zu stellen, sieht es düster aus“, sagte die Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge.
Etwas anders klang Henning Homann. Sachsens SPD-Chef störte die Euphorie im Saal: „Hier geht es nicht um antifaschistische Folkore.“ Für den Antrag votierte Homann dennoch: Ein Verbotsverfahren sei „vielleicht unsere letzte Chance, die Demokratie zu retten“.
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