Russophober Brief von Gerichtspräsident: „Marodierende Horden“
Der Präsident des Leipziger Amtsgerichts hat sich mit einem russenfeindlichen Brief an sein Personal gewandt. Darin ist von „multiplen Bedrohungen“ die Rede.
Das vierseitige Schreiben trägt den offiziellen Briefkopf der Behörde. Es liegt der taz vor. Wolting kündigt einen „psychologisch begleiteten Austausch“ an, Arbeitstitel: „Angst vor dem Krieg“. Der Gerichtspräsident listet Unternehmen auf, die sich noch nicht zum Russland-Boykott entschieden haben. Wahrscheinlich kaum jemand wird Wolting verdenken, dass er im Konflikt grundsätzlich Partei ergreift und gewiss auch nicht, dass er zur Sammlung von Hilfsgütern für Kriegsflüchtlinge aufruft.
Die Diktion überrascht dann aber doch. Fotos des Kriegsgeschehens sind in das Rundschreiben eingebettet, eines zeigt Zivilisten mit ukrainischer Fahne auf einem Hügel mit Trümmern, Bildunterschrift: „Selbsthilfe: Molotow-Cocktails gegen russische Invasoren.“ Im Text verurteilt der Behördenchef die Bombardierungen von Schulen und Kindergärten und einer Entbindungsstation.
Er zieht den Vergleich des russischen Truppeneinsatzes mit „marodierenden Horden“ von Sowjetsoldaten, die am Ende des Zweiten Weltkrieges deutsche Frauen vergewaltigt hätten. Und urteilt über damals wie heute: Diese Sünden seien der Läuterung im Fegefeuer „nicht zugänglich, sie führen unweigerlich, direkt und für die Ewigkeit in die Hölle“.
Es sind heftige Worte für einen Juristen. Bemerkenswert sind zusätzlich die Konsequenzen, die Wolting für die täglichen Abläufe im Leipziger Gericht ankündigt. Es gebe „vielfältige Versuche Russlands, die westlichen Demokratien und ihre Institutionen zu destabilisieren“, argumentiert er, deshalb seien „höchste Vorsicht und Aufmerksamkeit geboten“.
Konkret hat der Gerichtspräsident seinem Rundschreiben zufolge die Wachtmeister mit verschärften Eingangskontrollen beauftragt. „Alle Entscheiderinnen und Entscheider des Amtsgerichts helfen bitte mit, indem sie Termine, die Russen oder Weißrussen in das Haus führen würden, einer kritischen Prüfung unterziehen.“ Sämtliche Termine mit Staatsangehörigen aus Russland, Belarus „oder dieser Herkunft“ seien an die Wachtmeister zu melden, „wir werden dann prüfen, was davon unter Sicherheitsaspekten möglich ist“.
Die gewiss nicht um Propaganda verlegene Botschaft der Russischen Föderation in Berlin behauptet schon seit Ende Februar in den sozialen Medien eine „Russophobie“, die immer neue Wellen schlage – unter Hinweis beispielsweise auf eine Klinik in München, die russischen und weißrussischen Kunden die medizinische Behandlung versage.
Anfang März forderte die russische Botschaft dazu auf, „Fälle von Diskriminierung“ zu melden, angeblich sind binnen weniger Tage mehrere Hundert Nachrichten eingegangen. Die Details dazu sind zum Teil nicht zu überprüfen. Dass es solche Fälle gibt, lässt sich allerdings schwerlich bestreiten.
Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock stellte zu diesem Thema auf Twitter klar: „Der Krieg in der Ukraine ist Putins Krieg. Wer Belaruss*innen oder Russ*innen in Deutschland anfeindet, der greift nicht nur unsere Mitbürger*innen an, sondern auch die Grundprinzipien unseres Zusammenlebens.“
Eine Sprecherin des von der Grünen-Politikerin Katja Meier geführten sächsischen Justizministeriums sagte, der Vorgang in Leipzig sei in ihrem Hause nicht bekannt. „Alle Fragen zu einem etwaigen Schreiben“ seien dorthin zu richten.
Immerhin: Wolting hat dem Rundbrief tags darauf bereits eine E-Mail „zur Erklärung und Konkretisierung“ hinterhergeschickt – wohl auch, weil es dem Vernehmen nach unter Mitarbeitern seiner Behörde deutliches Kopfschütteln gegeben hat. Die „Verdächtigung von Bevölkerungsgruppen“ habe er nicht beabsichtigt. „Mir ist sehr wohl bewusst, dass es nicht um eine homogene Gruppe geht – diese Menschen stehen auch nicht unter einem wie immer gemeinten Generalverdacht“, schrieb er.
Als „kritische Termine“ sollen vor dem Amtsgericht Leipzig nun nur noch jene gelten, „in denen Bürgerinnen und Bürger aus den am Krieg beteiligten Ländern (Russen oder Weißrussen und Ukrainer) in den gleichen Saal kommen oder als Besucher aufeinandertreffen“. Ein Gerichtssprecher ergänzte: „Weitere Erklärungen zu sicherheitsrelevanten Fragen werden seitens des Amtsgerichts Leipzig nicht abgegeben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen