Russlands schwimmendes AKW startet: Tickende Zeitbombe auf dem Meer
Das russische AKW-Schiff „Akademik Lomonossow“ sticht in See. Bei vielen stößt das auf Unverständnis – auch wegen des Atomunfalls zwei Wochen zuvor.
Der Generaldirektor der russischen Atombehörde Rosatom, Alexei Lichatschew, war persönlich nach Murmansk zu den Feierlichkeiten gereist. Dabei wurde dem Konzern Rosenergoatom als Auftragnehmer eine Urkunde vom „Buch der Rekorde Russlands“ für den Bau des nördlichsten Atomkraftwerks Russlands überreicht.
Der 144 Meter lange und 30 Meter breite Schwimmkörper, der zwei Atomreaktoren mit einer Leistung von jeweils 35 Megawatt mit sich führt und 500 Millionen Euro kostet, soll 2020 den ersten Strom für die gut 4.000 Einwohner von Pewek und den Rayon Tschaunski liefern.
Das sechsstöckige Wasserfahrzeug, so Rosatom, habe auch ein Schwimmbad, zwei Saunas und einen Fitness-Club. Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO, so Sergei Iwanow, Sonderbeauftragter des russischen Präsidenten für Umwelt- und Verkehrsfragen, laut der Moscow Times, hätten das Kraftwerk in der Bauphase besichtigt „und nichts angemerkt oder Besorgnis zur ökologischen Sicherheit geäußert“.
Verlorenes Vertrauen
Die russische Sektion von Greenpeace kämpft seit Jahren gegen das „gefährliche Experiment“. Jedes AKW, so Greenpeace, produziere Atommüll, könne explodieren. Aber ein schwimmendes AKW, das auch Atommülllager sei, sei noch viel anfälliger. In zehn Jahren, so Greenpeace, müssten die abgebrannten Brennstäbe und der Atommüll wieder an einen sicheren Hafen gebracht werden. Niemand wisse, wie in dieser Zeit die Stromversorgung im Gebiet um Pewek garantiert werden könne.
Der Start der „Akademik Lomonossow“ kommt für die russische Atomwirtschaft zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Bei einem atomaren Unfall auf dem Testgelände Nyonoska bei Sewerodwinsk im Bezirk Archangelsk waren am 8. August fünf Fachleute von Rosatom ums Leben gekommen. Rosatom, das den Unfall von Anfang an verharmlost hatte, hat durch seine Informationspolitik Vertrauen verloren. Nun kommen langsam immer mehr Details über die Katastrophe ans Licht.
So beschrieb am Freitag die aus Archangelsk stammende Atomphysikerin Irina Schraiber, die für die Europäische Organisation für Kernforschung, CERN, in der Schweiz arbeitet und sich zum Zeitpunkt des Unfalls in Archangelsk aufhielt, gegenüber dem russischen Dienst von BBC die Panik unter den behandelnden Ärzten in Archangelsk.
Niemand habe die Ärzte im Bezirkskrankenhaus über die hohe Verstrahlung der eingelieferten Patienten informiert. Und so hätten die Ärzte erst eine Stunde nach Einlieferung der Patienten entsprechende Maßnahmen eingeleitet. „Die Ärzte mussten sich selbst überlegen, wie sie sich schützen können. So haben sie sich Atemgeräte aus Hubschraubern geholt.“
Auch das Reinigungspersonal, so ein weiterer BBC-Bericht, sei nicht über die Gefahren von Strahlenkranken informiert worden. Das Internetportal Medusa hatte in der vergangenen Woche von einem Archangelsker Arzt berichtet, in dessen Blut man Cäsium-137 gefunden habe. „Da hast du wohl bei deinem letzten Thailand-Urlaub zu viele Fukushima-Krabben gegessen“, habe der untersuchende Arzt das Ergebnis kommentiert.
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