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Russland verbietet christliche SekteKeine Milde für die Zeugen Jehovas

Die Glaubensgemeinschaft wurde zur extremistischen Vereinigung erklärt. Sie muss zurück in den Untergrund, wie schon zu Sowjetzeiten.

ZeugInnen Jehovas im Obersten Gericht in Moskau nach der Urteilsverkündung im April Foto: ap

Moskaus oberstes Gericht hatte kein Einsehen mit den Zeugen Jehovas. Auch in der Berufungsverhandlung am Montag kam es zu keinem anderen Urteil. Im April hatte das Gericht die Glaubensgemeinschaft zur extremistischen Vereinigung erklärt. Das Schicksal der Zeugen in Russland ist damit besiegelt.

Das Eigentum der 395 Gemeinden geht in den Besitz des Staats über. Die Organisation muss ab sofort aufgelöst werden. Noch hofft der russische Anwalt der Zeugen, die Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anfechten zu können. Straßburg wird den Einwänden der Religionsgemeinschaft auch folgen. Nur dürfte sich Moskau dem nicht anschließen.

Der Ausgang der Verhandlung war absehbar. Eingaben der Verteidigung wurde nicht stattgegeben. Selbst die Bitte wurde abgewiesen, einen Religionswissenschaftler heranziehen zu dürfen. Auch die nochmalige Überprüfung vermeintlich extremistisch religiöser Literatur wurde nicht gestattet.

Nur die Orthodoxie wird geduldet

Die Härte im Umgang mit den christlichen Sektierern erklärt sich aus der Radikalisierung der politischen Elite. Außer der russisch-orthodoxen Kirche duldet sie keine andere christliche Glaubensgemeinschaft. Russe zu sein, bedeutet, dem russisch-orthodoxen Glauben anzugehören. Kreml und Kirche fürchten, durch Konkurrenz christlicher Glaubensbrüder das Monopol einzubüßen. Ein Monopol, das sich in Russland auch in den weltlichen Herrschaftsbereich erstreckt.

Der Staat übt daher keine Milde. Das zeigte bereits der erste Prozess nach dem April-Urteil. Es traf den Dänen Denis Kristensen, der in Russland mit einer Russin verheiratet ist und in der Stadt Orel lebt. Seit Mai sitzt er in Untersuchungshaft, weil er nach dem Extremismusverdikt die Arbeit in der Gemeinde fortsetzte.

Die Staatsanwältin Jelena Tschernikowa ließ den U-Häftling wegen Fluchtgefahr auch nicht zu Hause auf den Prozess warten. Wem zehn Jahre Freiheitsentzug drohten, der könnte versucht sein, abzutauchen, sagte die Staatsanwältin. Das Verbrechen, das Kristensen zur Last gelegt wird, „gehört zu jener Kategorie von Verbrechen, die sich gegen die staatliche Macht richten“, warnte Tschernikowa das Gericht. Hafterleichterungen lehnte sie für den „Extremisten“ Kristensen daher ab.

Das Eigentum der 395 Gemeinden geht in den Besitz des Staates über

Die Sekte wirbt seit mehr als einem Jahrhundert in Russland um neue Glaubensgeschwister. Russland war schon immer ein besonders fruchtbares Feld für Sekten und Häretiker. Selbst der verordnete Atheismus des kommunistischen Sowjetreiches konnte dies nicht ganz unterbinden. Während der Sowjetunion tauchten Zeugen Jehovas in den Untergrund ab.

175.000 ZeugInnen soll es in Russland geben

Nach dem Ende des Kommunismus wurde die Glaubensgemeinschaft Anfang der 1990er Jahre rehabilitiert. 175.000 Mitglieder gehören nach eigenen Angaben der Sekte in Russland an. Den Verbotsantrag stellte Moskaus Justizministerium.

Das Ministerium hält die Zeugen für extremistisch, da sie für „Ordnung“, „öffentliche Sicherheit“ und „Rechte der Bürger eine Gefahr“ darstellten, hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums. Auch die Ablehnung von Bluttransfusionen wertete die Behörde als Verstoß gegen die Menschenrechte. Nicht weniger gefährlich sei die Zeitschrift Der Wachturm. Sie werde trotz Verbots weiter verteilt. Zur extremistischen Literatur zählt auch die Broschüre „Wir lernen in der Schule des theokratischen Dienens“. Das Ministerium sieht darin wohl eine Herausforderung für das gegenwärtige Herrschaftsmodell.

In der patriotischen Hypnose Russlands fällt auch unangenehm auf, dass die Zeugen den Dienst an der Waffe ablehnen.

Russische Menschenrechtler sehen in dem Urteil einen weiteren Schritt, die Gesellschaft gleichzuschalten. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass im modernen Russland, das freie Religionsausübung garantiert, so etwas noch möglich ist“, sagte ein Vertreter der Zeugen.

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6 Kommentare

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  • Die Mehrheit der Amtsträger in der gegenwärtigen russisch-orthodoxen Kirche hat in der Tat hat in der Tat ein problematisches Verhältnis zu anderen Konfessionen. Hier in Deutschland arbeiten russisch-otrhodoxe Priester in der Regel gut mit ihren KollegInnen aus anderen Kirchen zusammen. Während mit Protestanten und Katholiken jedoch Einigkeit in Bezug auf das Bekenntnis von Nicäa-Konstantinopel (abzüglich des "Filioque") besteht, bilden die Zeugen Jehovas einen Sonderfall. Sie haben mit jeder kirchlichen Bekenntnisgrundlage gebrochen und diese durch einen aus Brooklin gesteuerten "Biblizismus" ersetzt. Sämtliche Kirchen der Ökumene gelten Ihnen als vom Satan gesteuert. Aus Staat und Politik halten sie sich heraus, haben jedoch an ihre Mitglieder strenge Anforderungen. Wer aussteigt wird geschnitten und verliert den Kontakt zu dabeigebliebenen Angehörigen. Warum der russische Staat die ZJ verbietet, erschließt sich mir damit nicht.

    Ob die Orthodoxie wirklich gesetzlich zur einzig legitimen Form des Christlichen Glaubens in Russland gemacht werden soll, zeigt sich erst am staatlichen Umgang mit den christlichen Kirchen, die ihrerseits die Orthodoxie als legitimen Teil der Ökumene verstehen und nach versöhnter Vielfalt streben.

  • Ausflug in die Geschichte?

    Gern & die eigene Nase nicht unangepackt lassen - kerr!

     

    "Keine Milde für die Zeugen Jehovas

    Die Glaubensgemeinschaft wurde zur extremistischen Vereinigung erklärt. Sie muss zurück in den Untergrund, wie schon zu Sowjetzeiten.."

    &

    SBZ/DDR- Zeiten!

     

    Entsinne mich gut - Ende 40/Anfang 50er - Wie meine alte Dame - die mit Gläubischen nix am Hut hatte - für

    Die Zeugen - "an der Tür spendete"!

    "??" - "du - die werden hier verfolgt!"

     

    (Tom - geht dennoch voll in Ordnung!;)

  • Um das zu verstehen muss man einen kleinen Ausflug in die Geschichte machen. Ausländische Kaufleute waren früher in Russland frei, solange sie nicht zum russisch-orthodoxen Glauben konvertierten. Konvertierten sie durften waren sie automatisch Russen mit der Folge, dass sie das Land nicht mehr verlassen durften. Dort wo die russische Orthodoxie herrscht ist Russland und wer nicht der russischen Orthodoxie angehört damit automatisch kein Russe (mehr). Man muss manchmal solche Ausflüge in die Vergangenheit unternehmen, um die Gegenwart besser zu verstehen. So gehören nach der Lesart der russischen Nationalisten all die Gebiete der Ukraine, die nicht Rom, sondern dem Moskauer Patriarchat unterstellt sind, automatisch zu Russland.

    Die autokephale orthodoxe georgische Kirche löste sich nicht ohne Grund wieder von der russisch-orthodoxen Kirche.

  • Drehen diese Typen, Putin, Erdogan, Trump und Konsorten eigentlich alle durch?

     

    Mittlerweile erinnert zu vieles an das 20. Jahrhundert mit seiner Massenverfolgung von "Andersdenkenden" etc. pp.

     

    Die Zeugen Jehovas sind (ich kann das als ehemaliges Sektenkind bestens beurteilen) bekanntlich als besitzergreifende Gruppe wahrlich nicht unschuldig - aber sicherlich nicht weniger schuldig als die Russisch-Orthodoxe Kirche mit Ihrem Hass auf Andersgläubige, -liebende und -denkende.

     

    Da die Zeugen Jehovas im Außenverhältnis auf "Macht" so gut wie immer verzichten, sind sie schlussendlich - bei aller bereichtigten Kritik an den "Machtverhältnissen" innerhalb dieser Sekte - sogar weniger gefährlich als die Russisch-Orthodoxe Kirche und das mehr und mehr faschistoide Putin-Regime.

     

    Die Freiheit wird in zu vielen Staaten dieser Erde mit Füßen getreten, ... und zu viele Staaten sehen einfach zu, anstatt klare Kante zu zeigen.

     

    Wobei nicht vergessen werden darf, dass China als beliebter Wirtschaftspartner und Saudi-Arabien etc. pp. nicht nur Sekten wie die Zeugen Jehovas verfolgen und wir da immer schön zur Seite schauen.

    • @Christoph Stolzenberger:

      Hatte auch beruflich mit 2 aktiven ZJ zu tun. Sie waren weder ehrlicher noch christlicher als andere Menschen. Fühle mich von diesen Gläubigen in keinster Weise beeinträchtigt. Im Gegenteil. Vor vielen Jahren hob ich ihn meiner Kommune die Hand, als es um eine Abstimmung für einen Königreich-Saal ging. Damals waren sie noch nicht als Glaubensgemeinschaft vor dem Finanzamt anerkannt.

      Aber wer gegen Waffen ist, soll meine bürgerliche Unterstützung haben.

  • Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas fiel mir während zweier Krankenhausaufenthalte Ende 2015/Anfang 2016 auf. Diese Patienten versuchten, andere Patienten mit Lesestoff zu ver"sorgen". Erst als ich dies freundlich aber bestimmt ablehnte, zeigte man Einsicht. Der Chefarzt freute sich und bat mich, dies auch schriftlich an seine Verwaltung zu formulieren.

    Interessant, dass viele Zeugen Jehovas aus Osteuropa in Deutschland um politisches Asyl ersuchen. Diesem wird wohl in der Regel stattgegeben.