Russischer Oppositioneller Nawalny: Der Putin das Fürchten lehrt
Alexej Nawalny ist der führende Oppositionelle. Die Jugend geht für ihn auf die Straße. Wie nachhaltig die Bewegung ist, muss sich noch zeigen.
Seit Herbst 2011 kommt Nawalny nicht mehr zur Ruhe. Damals wehrte sich Russland gegen massive Wahlfälschung zugunsten der Kremlpartei bei den Parlamentswahlen. Nawalny war Sprachrohr des Protests. Der Kreml rächte sich. Mehrfach wurde der Jurist und Familienvater wegen angeblichen Betrugs auf Bewährung verurteilt. Dutzende Male musste er nach Demonstrationen in Beugehaft.
Doch Nawalny macht weiter. Als wisse er, dass seine Stunde kommen und er den Kremlchef ablösen werde, meint Sygar. Inzwischen ist Nawalny dem Ziel nähergekommen. Er dürfte zwar bei den Präsidentschaftswahlen im März 2018 kaum in den Kreml einziehen. Die politische Elite hat der Wahlkämpfer aber in Unruhe versetzt.
Plötzlich steht der blonde Hüne Putin als ernster Herausforderer gegenüber. Dabei hatte die Führung ihn mit einem Bann belegt, und Staatsmedien fürchteten sich, seinen Namen zu erwähnen. Der Kreml will ihn zur Wahl nicht zulassen. Er kann sich auf ein Gesetz berufen, das Vorbestrafte von Kandidaturen ausschließt. Doch was bewirkt ein Gesetz, wenn der Druck der Straße wächst?
Mehr als 40 Wahlkreisbüros
Die politische Führung ist verunsichert. Der selbsternannte Präsidentschaftskandidat reist unermüdlich durchs Land und eröffnet neue Wahlkampfbüros. Mehr als vierzig sind es mittlerweile. Der Kreml hatte nicht mit einer flächendeckenden Mobilmachung gerechnet.
Als am 26. März überdies Tausende junger Leute gegen Korruption landesweit auf die Straße gingen, war er perplex. Ein Film über die Korruptionsanfälligkeit des Regierungschefs Dmitri Medwedew war Anlass. Von Villen, Ländereien und Weingütern berichtete Nawalny. Mehr als 22 Millionen sahen das Video.
Arkadi Dubnow, Publizist
Letzten Montag folgte der zweite Streich. Wieder war es der Nachwuchs zwischen 15 und 30 Jahren, der die Straße beherrschte. Putins politischer Talkmaster, Wladimir Solowjew, schäumte im staatlichen Radio: Die Demonstrierenden seien „Dreckskerle“ und „Wanzen“, Sprösslinge korrupter Eltern. Dem kaltschnäuzigen Ideologen mit Villa am Comersee war die Angst in die Glieder gefahren.
Bleiben die Jungen bei der Stange? Sie bilden keine Mehrheit. Diese ist zudem eher konservativ. Gleichwohl sind die neuen Aufmüpfigen gebildet, entschlossen, bestens vernetzt, und sie verfügen über ein intaktes Wertesystem. Nicht alle jungen Unzufriedenen sind auch Anhänger Nawalnys. Dieser spricht jedoch ihre Sprache. Es sind Clips auf YouTube. Donnerstags geht „navalny 20!18“ um 20.18 Uhr mit Alexei auf Livesendung. Der Name ist eine Anspielung auf das Wahljahr. Die Vertreibung aus dem staatlichen Kosmos bewirkte, dass sie sich nun auf neueste Technologie und Dramaturgie verstehen und mehr Menschen erreichen als mit herkömmlichen Medien.
„Außergewöhnliches politisches Tier“
Letztlich hängt der Erfolg von der Breite der Unterstützung ab. Gelingt es, eine Massenbasis zu schaffen? Die Proteste nehmen zu: Lastwagenfahrer streiken, Mieter demonstrieren, Kleinunternehmer klagen. Bisher gelang die Vernetzung nicht, da viele den politischen Hintergrund der Probleme nicht erkennen.
Nawalny schaltete sich ein, aber er wurde noch nicht durchweg akzeptiert. Ihm fehlt eine Strategie. Bis jetzt bestimmt der Kampf gegen Korruption die Agenda. Auch das politische Programm ist noch dürftig. Daraus schließen Kritiker, ihm sei vornehmlich an Macht gelegen.
Der Publizist Arkadi Dubnow hält ihn gar für ein „außergewöhnliches politisches Tier“ vom Typ Lenins. Alexei Nawalny ist eins zu verdanken: Das System ist angeschlagen und kann seine Störanfälligkeit nicht mehr verbergen. Mit Putins Friedhofsruhe ist es jetzt vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben