Russische Söldnerarmee Wagner: Privat nur auf dem Papier
Söldner sind in Russland eigentlich verboten, trotzdem wurde die Wagner-Gruppe vom Staat gegründet. Was steckt hinter dem „privaten“ Militärgeschäft?
Rund 24 Stunden lang dauerte der von Jewgeni Prigoschin ausgerufene „Marsch für Gerechtigkeit“ der Wagner-Gruppe Richtung Moskau. Prigoschin, Chef der Privatarmee, erklärte am späten Samstagabend, seine Kämpfer zurückzuziehen, und ging offenbar nach Weißrussland ins Exil.
Aber wer ist die Wagner-Gruppe? Gegründet wurde sie vor zehn Jahren und existiert noch immer, obwohl das russische Gesetz Söldnertum mit Haft von vier bis acht Jahren bestraft. Sie ist nach dem Decknamen eines seiner Gründer benannt: Dmitri Utkin, bis 2013 Oberstleutnant, der in den Reihen der Spezialeinheiten des russischen Militär-Nachrichtendienstes GRU an beiden Tschetschenienkriegen teilgenommen hat.
Utkin, 1970 geboren, wählte diesen Decknamen aufgrund seiner Bewunderung für Nazi-Deutschland und für Adolf Hitler. Wagner soll dessen Lieblingskomponist gewesen sein.
Im Internet findet man ein Foto von ihm, auf dem er über dem rechten Schlüsselbein eine Tätowierung mit SS-Runen hat. Auf der Brust prangt ein Adler mit Hakenkreuz, das Staatswappen des Dritten Reiches. Darüber hinaus warb Utkin einem seiner Kämpfer zufolge während der ersten ukrainischen und syrischen Feldzüge gezielt Anhänger des russische Neuheidentums für die Wagner-Gruppe an, eine religiöse Strömung, um den vorchristlichen slawischen Glauben wieder zu beleben.
Allerdings sollte man die ideologische Komponente bei Wagner, die nur in Anführungszeichen als „Privatarmee“ bezeichnet werden sollte, nicht überbewerten. Hinter Wagner stehen der russische Staat und die Geheimdienste, in erster Linie die Hauptgeheimdienstdirektion des Generalstabs – der Heeresnachrichtendienst.
Tatsächlich wurde die Wagner-Gruppe von Wladimir Putin gegründet, um die militärisch-politische Präsenz Russlands in den Ländern Asiens und Afrikas zu erhöhen, ohne dass Russland selbst für mögliche Misserfolge und Verbrechen der Gruppe, einschließlich aller Gräueltaten, zur Verantwortung gezogen werden könnte.
Vom Koch zum Militärführer
Die Gesamtleitung der Wagner-Gruppe sowie ihre Logistik wurden Jewgeni Prigoschin anvertraut, einem gewöhnlichen Kriminellen, der zweimal verurteilt wurde und zu Sowjetzeiten acht Jahre wegen Diebstahls, Raubes, Betrugs und der Verleitung eines Minderjährigen zu kriminellem Handeln im Gefängnis saß. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis stieg er in die Gastronomie ein und machte in den wilden 90er-Jahren in St. Petersburg, wo Wladimir Putin damals im Apparat des Bürgermeisters arbeitete, als Unternehmer Karriere.
Anschließend wurde er zum persönlichen Koch des Präsidenten und schuf dank seiner Nähe zum ersten Mann in Staat und damit verbundenen großzügigen staatlichen Aufträgen ein Geschäftsimperium, ein weit verzweigtes Geschäftsimperium vom Baugewerbe bis hin zu einer Trollfabrik, die Wähler in Russland und dem Westen im Internet täuscht. Auch Angriffe auf und Morde an einer Reihe von Oppositionelle/n und Blogger/n in Russland werden mit Prigoschins Strukturen in Verbindung gebracht.
Wagner-Kämpfer sind in Dutzenden von Ländern eingesetzt – vor allem in Afrika, wo sie Diktatoren und Präsidenten sowie strategische Einrichtungen und Vorkommen von Bodenschätzen bewachen und in einigen Fällen die bewaffnete Opposition niederschlagen. Einer Lesart zufolge besteht eine ihrer Aufgaben darin, den afrikanischen Kontinent zu destabilisieren, um eine Flüchtlingswelle in die Europäische Union auszulösen – mit dem Ziel, die Lage dort zu untergraben und so die Aufmerksamkeit führender europäischer Politiker von Putin abzulenken.
Darüber hinaus stellen Veteranen, die sich mit Blut befleckt haben – auch das wiederum im Widerspruch zu den russischen Gesetzen – eine ideale personelle Ressource dar, die die Behörden jederzeit nutzen können, um Proteste im Land zu unterdrücken.
Wagners Deal mit den Gefangenen
Die überwältigende Mehrheit der einfachen Mitglieder dieser Kompanie macht nicht direkt mit, um Russland zu dienen, sondern um Geld zu verdienen. Auch die Suche nach Abenteuern und Selbstbestätigung ist ein Motiv: Viele treiben Armut, Elend, Hoffnungslosigkeit und Langeweile aus der russischen Provinz. In der Regel stammen diese Menschen aus einkommensschwachen, schlecht ausgebildeten und oft dysfunktionalen Familien.
In der Regel stammen die Rekruten aus einkommensschwachen, schlecht ausgebildeten und oft dysfunktionalen Familien. Viele haben eine kriminelle Vergangenheit. Der Grund: Wenn man in Russland aus dem Gefängnis entlassen wird, gibt es keine Einstiegsmöglichkeiten mehr bei Armee, Polizei oder Geheimdienst. Doch auch für alle anderen jungen Männer, die sich auf den Kampfdienst einlassen, ist die Wagner-Gruppe attraktiver als die russische Armee: Das Gehalt ist höher.
Als es an der Front im Krieg gegen die Ukraine nicht gut lief, besuchten Prigoschin und Utkin ab 2022 persönlich Straflager und Gefängnisse und forderten Gefangene auf, sich den Reihen ihrer Kompanie für Einsätze gegen die ostslawische Demokratie anzuschließen. In den Medien tauchen mittlerweile regelmäßig Fotos von Grabstätten der ehemaligen Gefangenen auf riesigen Friedhöfen auf.
Laut Olga Romanowa, Leiterin der Menschenrechtsorganisation “Russland hinter Gittern“, habe ihre Organisation eine Flut von Beschwerden und Hilfegesuchen erhalten, die etwa wie folgt lauteten: „Ich sitze wegen Vergewaltigung im Gefängnis, und obwohl ich einen Antrag gestellt habe, an die Front zu gehen, bin ich immer noch im Knast. Und diejenigen, die wegen Raubes, Mordes und Plünderung verurteilt werden, kämpfen bereits. Bitte helfen Sie, Ungerechtigkeit zu korrigieren.“
Ein Vorschlaghammer ist zum inoffiziellen Symbol der Wagner-Gruppe geworden, es ist mit außergerichtlichen Hinrichtungen im Kriegsgebiet verbunden. Der berühmteste Fall war der auf Video festgehaltene Mord an einem syrischen Deserteur. Er wurde geschlagen, dann wurde die Leiche unter Gewitzel und Gesang zerstückelt und verbrannt. Journalisten identifizierten alle Beteiligten des Massakers, Menschenrechtsaktivisten erstatteten Anzeige bei den russischen Ermittlungsbehörden, ein Strafverfahren wurde jedoch nicht eingeleitet.
Einer der Teilnehmer der Hinrichtung, der ehemalige Polizist Stanislaw Dytschko (Deckmane „Skarabäus“), der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Tat bereits in Russland lebte, kommentierte das Video dieser Hinrichtung später im Internet. Er erinnerte sich an die Einzelheiten, schrieb großspurige und drohende Kommentare in den Foren und starb bald darauf. Vermutlich wurde er von den Geheimdiensten eliminiert.
Ohne Rücksicht auf Verluste
Der Kampfstil der „Wagner“-Gruppe beinhaltet es, die eigenen Truppe ohne Rücksicht auf Verluste zu opfern. Bildlich gesprochen soll der Feind im Blut der eigenen Soldaten ertränkt werden. Während einer der lokalen Gegenoffensiven der ukrainischen Streitkräfte in diesem Frühjahr, als reguläre Armeeeinheiten begannen, sich unter den Angriffen des Feindes zurückzuziehen, wurden „Wagnerianer“ in die Schlacht geworfen. Sie stoppten den Feind, auch das bildlich gemeint, mit einem Berg ihrer eigenen Leichen. Dies berichtete dem Autor dieses Textes sein ukrainischer Promotionssstudent. Er war an den Kämpfen beteiligt und dient jetzt in der ukrainischen Armee als Kommandeur.
Das politische Potenzial der Wagner- Struktur ist angesichts dieser radikalen Vorgehensweise nicht als sehr hoch einzuschätzen. Scheinbar haben sich diese Ambitionen, sollte es sie je gegeben haben, mittlerweile eh erledigt.
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül