Russische Propaganda in Moldau: Protest als Waffe Russlands
Dubiose Politiker in Moldau organisieren Demos. Moskau bezahlt die Teilnehmenden. Sie sollen die proeuropäische Regierung destabilisieren.
![Protestierende Frauen auf einer Demo in der Republik Moldau mit Transparent Protestierende Frauen auf einer Demo in der Republik Moldau mit Transparent](https://taz.de/picture/5902644/14/31433211-1.jpeg)
Russland hat sich auch nach 30 Jahren noch nicht damit abgefunden, dass die Republik Moldau ein unabhängiges Land ist. Moskau versucht immer wieder, Moldau in seine Einflusssphäre zurückzuholen. Nehmen wir zum Beispiel die Region Transnistrien – eine durch einen blutigen Krieg entstandene Enklave, aus der Russland seine Streitkräfte bis heute nicht abgezogen hat. Übrigens ist die Region Transnistrien von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates offiziell als militärische Besatzungszone Russlands anerkannt.
In Moldau gibt es zweifelhafte und korrupte Politiker, die dafür bezahlt wurden, dort russische Propaganda zu verbreiten. Eine kürzlich von der Washington Post veröffentlichte Untersuchung zeigt, dass es bis vor Kurzem vor allem Igor Dodon war, über den der russische Geheimdienst FSB Einfluss zu nehmen versuchte. Dodon war von 2016 bis 2020 Präsident Moldaus. In den vergangenen Jahren soll er von Russland rund 45.000 Dollar monatlich erhalten haben.
Trotz aller Bemühungen Russlands verlor Dodon 2020 die Präsidentenwahl gegen Maia Sandu, die sich für den Kampf gegen Korruption und eine Annäherung an Europa einsetzt. Rund 60 Prozent der knapp drei Millionen Einwohner Moldaus unterstützen den europäischen Kurs des Landes.
EU-Beitrittskandidat
Im Juni dieses Jahres wurde das Land gemeinsam mit der Ukraine offiziell Kandidat für einen Beitritt zur EU. Diese Situation missfällt Moskau, das versucht, Moldau zu destabilisieren und weiter Kontrolle auszuüben. So hat Russland eine ernsthafte Wirtschaftskrise verursacht, indem es Moldaus Abhängigkeit von seinen Gaslieferungen ausnutzt. Nach dem Einmarsch in die Ukraine hat der Kreml den Gaspreis für Moldau vervierfacht und die Lieferungen für Oktober um 30 Prozent gekürzt. Das Ergebnis: eine Inflation auf Rekordniveau, die bei 35 Prozent liegt. Können Sie sich vorstellen, was das für das ärmste Land in Europa bedeutet?
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Vor dem Hintergrund all dieser Korruptionsschemata und dubioser Politiker, die sich in den vergangenen 30 Jahren darin überboten, das Land aus persönlichen Interessen immer mehr verarmen zu lassen, hat sich die Energiekrise zu einer sozioökonomischen Katastrophe entwickelt. Die Menschen sind am Rande der Verzweiflung.
Diese Verzweiflung sowie die Krise macht sich jetzt der Skandalpolitiker und neue Favorit Moskaus, Ilan Shor, zunutze: Er organisiert Proteste gegen die Präsidentin Maia Sandu. Es wäre vielleicht kein Problem, wenn die Menschen aus eigenem Antrieb zu den Demonstrationen gingen. Aber diese Leute, meist aus sozial schwachen Gruppen, werden dafür bezahlt. Ja, es wird ihnen sogar vorher gesagt, welche Parolen sie skandieren sollen und gegen wen.
Kann man das noch als Protest bezeichnen? Wessen Protest ist das? Strafverfolgungsbehörden in Moldau nahmen unlängst Vertreter und Aktivisten der Partei von Ilan Shor fest, als diese gerade dabei waren, Geld an „Demonstranten“ zu überweisen. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte über 200.000 Euro.
Betrug, Geldwäsche, Korruption
Ilan Shor ist ein umstrittener Politiker und Geschäftsmann in Moldau. Dort wurde er wegen Betrugs und Geldwäsche zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er an dem bisher größten Korruptionsskandal in Moldau beteiligt gewesen war: Von den Konten mehrerer Banken war rund 1 Milliarde Dollar verschwunden – das entspricht etwa 13 Prozent des BIP Moldaus.
Somit ist derjenige, der dazu beigetragen hat, diese Menschen in Armut zu stürzen, sodass sie gezwungen sind, Geld für „Protestaktionen“ zu nehmen, auch derjenige, der sie benutzt, um sich seiner Verantwortung zu entziehen, dieses Geld zurückzugeben. Paradox.
Im Jahr 2019 fand Ilan Shor Aufnahme in Israel, dessen Staatsbürger er ist. Von seiner 13,2 Millionen Euro teuren Luxusvilla an der Mittelmeerküste aus, die er gemietet hat, wendet er sich per Skype über einen großen Bildschirm an die „Protestierenden“. Ende Oktober wurden die Shor-Partei, ihr Chef Ilan Shor und seine Frau, die russische Sängerin Sarah Shor, sowie 18 weitere natürliche und juristische Personen in die US-Sanktionsliste wegen Beteiligung an Korruption aufgenommen.
Besagte natürliche und juristische Personen hätten sich zugunsten der Russischen Föderation in den Wahlprozess in Moldau eingemischt, 2021 für die Interessen Moskaus im Parlament Moldaus lobbyiert sowie noch im Juni 2022 mit Russland und anderen Oligarchen zusammengearbeitet – mit dem Ziel, die Republik Moldau zu destabilisieren. Die Recherchen der Washington Post haben ans Licht gebracht, dass Russlands Geheimdienst FSB Ilan Shor aktiv dabei unterstützt, das Regime in Chișinău zu stürzen.
Eine wichtige Frage lautet jetzt: Wie können wir das Image von Protesten wiederherstellen? Proteste sind eine der Grundlagen der Demokratie. Es geht um Freiheit, um die Freiheit der Menschen, ihren Schmerz und ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Protest ist eine Form des Widerstands und eine Quelle der Hoffnung auf etwas Besseres. Aber wenn diese Demonstrationen von finanziellen Vorteilen angetrieben werden, können wir dann von Freiheit sprechen? In Moldau ist diese Freiheit bedroht. Mehr denn je.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
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