EU-Kandidatenstatus für die Ukraine: Der lange Weg in die Union

In Brüssel spricht sich eine Mehrheit der Mitgliedstaaten für den Kandidatenstatus der Ukraine aus. Beim Westbalkantreffen gab es keine Fortschritte.

Frauen mit einer ukrainischen blau-gelben Fahne vor dem Europaparlament

Vor dem Europaparlament machen sich Frauen mit ukrainischen Flaggen für den Beitritt stark Foto: Olivier Matthys/ap

BRÜSSEL taz | „Historisch“, „geopolitisch bahnbrechend“: Noch bevor der EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel begonnen hatte, schwelgten die Diplomaten in Superlativen. Mit dem Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau werde die EU Geschichte schreiben und Kremlchef Wladimir Putin in die Schranken weisen, sagte der Vertreter eines westlichen EU-Lands.

Nach Deutschland, Frankreich und Italien hatten auch die Skeptiker aus den Niederlanden und Dänemark den Weg für die beiden EU-Bewerber aus dem Osten freigemacht. Sogar Viktor Orbán, der notorische Neinsager aus Ungarn, gab grünes Licht für den ersten, symbolischen Schritt zum Beitritt. Dem Gipfelerfolg, so schien es, steht nichts im Wege.

Doch ungetrübt war die Freude an diesem warmen Sommertag in Brüssel nicht. Der Westbalkangipfel, den Ratspräsident Charles Michel vor dem eigentlichen EU-Treffen angesetzt hatte, endete mit einem Flop. Fast vier Stunden berieten die Staats- und Regierungschefs der EU mit ihren Kollegen aus Serbien, dem Kosovo, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina – ohne Ergebnis.

Der Beginn der Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien, wofür sich Bundeskanzler Olaf Scholz auf seiner Balkanreise eingesetzt hatte, bleibt weiter blockiert. Keine Bewegung gab es auch im Streit mit Serbien über die EU-Sanktionen gegen Russland. Am Ende wurde sogar die gemeinsame Pressekonferenz abgesagt – angeblich aus Zeitgründen. Es herrschte dicke Luft.

Der Westbalkan, der seit fast 20 Jahren von der „europäischen Perspektive“ träumt, fällt nun zurück in die Dauerwarteschleife ohne klare Zukunftsperspektiven. Albanien und Nordmazedonien, die seit 2014 beziehungsweise 2005 den Status des Beitrittskandidaten haben, könnten abgehängt werden. Albanien warnte die Ukrainer auch davor, sich auf dem Weg in die EU „Illusionen“ zu machen.

Lediglich symbolischer Schritt

Der Kandidatenstatus ist eben nur der erste, weitgehend symbolische Schritt auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft. Danach kommt, oft Jahre später, die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen. Diese werden in 35 „Kapiteln“ zu Themen wie Wirtschaft oder Rechtsstaat geführt, wobei es nicht nur voran-, sondern auch rückwärtsgehen kann. Die Gespräche können sogar auf Eis gelegt werden wie mit der Türkei.

Doch daran wollte niemand denken, als es am Abend (nach Redaktionsschluss) zur Entscheidung kommen sollte. Alle 27 EU-Länder, so die feste Erwartung auch von Scholz, würden für die Ukraine und Moldau stimmen. „Wir haben mit unserem Besuch in Kiew die Voraussetzung für eine mögliche Einheit geschaffen“, sagte Scholz bei seiner Ankunft im Gipfelgebäude.

Der SPD-Politiker war am vergangenen Donnerstag in die ukrainische Hauptstadt gereist, gemeinsam mit Emmanuel Macron aus Frankreich und Mario Draghi aus Italien. Dort hatten die „großen drei“ für den EU-Beitritt geworben. Nun gelte es, „Solidarität mit der Ukraine (zu) zeigen“ und das Land auf seinem „voraussetzungsvollen Weg“ in die EU zu begleiten, sagte Scholz. „Wir müssen uns auch selbst erweiterungsfähig machen“, fügte er hinzu.

Bisher ist die EU kaum auf neue Mitglieder vorbereitet. Der letzte Beitritt war 2013 Kroa­tien. Danach ist der europäische Klub geschrumpft – der Brexit ist bis heute nicht vollständig verarbeitet. In vielen Fragen von der Flüchtlingspolitik bis zu den Russlandsank­tio­nen gibt es Streit. Der Zwang zur Einstimmigkeit in der Außenpolitik sorgt immer wieder für Blockaden.

Die Ukraine kommt trotzdem voran. Dass es jetzt so schnell geht, sei auch „der geopolitischen Lage“ geschuldet, sagte der niederländische Premierminister Mark Rutte, der lange auf der Bremse stand. Ohne die russische Invasion, so lassen sich Ruttes Worte deuten, hätte das Land noch lange auf grünes Licht warten können.

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