Russische Gymnastikshow: Rhythmische Propaganda
Die Sportgymnastinnen Russlands gehören zu den Säulen des Systems. Auch Wladimir Putins Freundin hat früher mit Reifen und Keulen geturnt.
R usslands Sportgymnastinnen sind wichtige Botschafterinnen ihres Landes. Das war schon lange vor dem Überfall des russischen Militärs auf die Ukraine so. In Russland ist sich nicht nur die sportinteressierte Öffentlichkeit sicher, dass die erfolgsverwöhnten russischen Athletinnen bei den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio Opfer der westlichen Russophobie geworden sind. So hat Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, die Entscheidung der Kampfrichterinnen beinahe schon wutschnaubend als Betrug bezeichnet.
Die hatten es doch tatsächlich gewagt, die Goldmedaille der israelischen Gymnastin Linoy Ashram zuzusprechen und nicht einer der beiden Superzwillinge aus Russland, Dina und Arina Averina. Eine von denen hatte bis dahin eigentlich immer gewonnen, wenn ein großer Wettkampf ansteht. Ein „Fehlurteil vor den Augen der ganzen Welt“ sei das gewesen, so Sacharowa. „Diejenigen, die den russophoben Sportkrieg begonnen haben“, hätten für das Ergebnis gesorgt, meinte sie.
Und so kam es, dass die beiden Gymnastikzwillinge neben einer Reihe olympischer Goldmedaillengewinner in der Rolle als Sportmärtyrer in die Menge gewunken haben, als Wladimir Putin Mitte März im vollen Luschniki-Stadion zu Moskau den achten Jahrestag der Krim-Annexion und seine sogenannte militärische Spezialoperation in der Ukraine gefeiert hat. Ein großes Z, das zum Symbol des russischen Kriegs geworden ist, trugen sie für alle gut sichtbar auf ihren Trainingsanzügen in den russischen Nationalfarben.
Unter einem ebensolchen Z ist Alina Kabajewa am Wochenende in Moskau aufgetreten. Sie ist die wohl prominenteste Sportgymnastin des Landes, auch wenn sie ihre Karriere längst beendet hat. Das liegt nicht nur daran, dass sie 2004 in Athen Olympisches Gold gewonnen hat, sondern an ihrer mehr oder weniger geheimen Beziehung zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin. Mit dem soll sie vier Kinder haben, die in der Schweiz leben sollen, wo auch sie einen Teil ihres Lebens verbringt.
Größte Propagandaschleuder
Dass sie weit mehr ist als nur eine ehemalige Sportlerin, die es einem Diktator angetan hat, zeigt ihre Rolle als eine Art Chefpropagandistin des Landes. Sie ist an der Spitze des Verwaltungsgremiums der Medienholding, zu der auch der TV-Sender Erster Kanal gehört – die zweifellos größte Propagandaschleuder des Landes. Auch deshalb setzt sich der Oppositionspolitiker Alexei Nawalny von seiner Lagerhaft aus vehement dafür ein, Kabajewa auf die Sanktionslisten westlicher Länder zu setzen.
Dort ist ihr Name bis jetzt noch nicht zu finden. Immerhin ist sie selbst nach wochenlanger Abwesenheit wieder aufgetaucht. Weil sie sich so lange nicht gemeldet hatte, war schon spekuliert worden, sie halte sich von Russland fern, weil sie den Krieg gegen die Ukraine ablehnt. Dass dem nun wahrlich nicht so ist, hat sie nun in aller Deutlichkeit klargestellt. Ihre jährliche Gymnastikshow „Alina Festival“ am Wochenende stand im Zeichen des Z. Nachwuchssportlerinnen in Turnanzügen mit Camouflagemuster stellten den Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland nach. Und Kabajewa meinte in einem Statement danach, dass die russische Armee derzeit in der Ukraine auch nichts anderes mache, als gegen Nazis zu kämpfen.
Dina und Alina Averina waren natürlich auch mit von der Partie bei der Gymnastikshow. Über die hat sich auch die Cheftrainerin der rhythmischen Sportgymnastinnen Russlands gefreut. Irina Viner-Usmanowa kennt man nicht nur, weil sie unzählige Sportlerinnen zu Edelmetall gecoacht hat. Als Ehefrau des auf den westlichen Sanktionslisten ganz oben stehenden Multimilliardärs Alisher Usmanow gehört sie zum Inner Circle der russischen Machtelite.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn