Russisch und der Ukrainekrieg: Wenn Sprache beschämt

Ein ukrainisches Restaurant in Warschau, vier Freunde, die miteinander Russisch sprechen. Aber darf man das das eigentlich noch?

Russische Reisegruppe mit Reiseführer, der ein russisches Fähnchen in die Luft hält

Wer heute im Ausland Russisch spricht, läuft Gefahr, angefeindet zu werden Foto: Ralph Peters/imago

Kürzlich war ich in Warschau, um eine Freundin aus Belarus zu besuchen. Zusammen mit ihren Freunden gingen wir in ein ukrainisches Fischrestaurant, das gerade neu eröffnet worden war. Wir waren zu viert, wir hatten uns lange nicht gesehen. Jedenfalls sprachen wir ziemlich viel miteinander. Laut und auf Russisch. Wie immer.

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Die Speisekarte war auf Ukrainisch. Mit der Kellnerin, die unsere Bestellung aufnahm, sprachen meine Freunde Polnisch. Sie antwortete auch auf Polnisch, aber man konnte hören, dass sie Ukrainerin war. Ich schwieg. Als die Kellnerin weg war, stockte unser Gespräch. Ich schaute mich um. Überall hingen Plakate zur Unterstützung der Ukraine, überall hörte man ukrainische Gespräche. Es schien, als sei unser Tisch, von dem gerade noch Gelächter und die russische Sprache zu hören gewesen waren, zufällig hierher geraten.

Zum ersten Mal im Leben fühlte ich mich schuldig, weil ich Russisch sprach. Ich hatte den Wunsch, mich vor allen zu entschuldigen. Vor jeden einzelnen Tisch zu treten und zu sagen, dass ich ein schlechter Mensch bin. Denn ich war aus Georgien hierher gekommen, in ihren Raum, und sprach in der Sprache, die ihnen und ihren Vorfahren jahrzehntelang aufgezwungen worden war. Und heute wird in dieser Sprache dazu aufgerufen, sie zu töten.

Wenn ich mit ukrainischen Geflüchteten in Georgien Russisch sprach, fühlte ich mich anders. Vermutlich, weil ich als Journalist einfach meine Arbeit machte.

Während ich schweigend meine Muscheln aß, stelle ich mir weitere Fragen: Hätte ich dieses Schamgefühl auch, wenn Russisch meine Muttersprache wäre? Wie würde ich mich verhalten, wenn Georgien ein Nachbarland überfallen hätte?

Ich glaube, dass die meisten Russen diese negativen Gefühle nicht verstehen. Es geht ihnen nicht in den Kopf, warum ihre Rede die Georgier verärgern könnte. Dabei gibt es Ansätze von Problembewusstsein. Einige Russen etwa fragen Georgier zuerst auf Georgisch, ob sie lieber auf Russisch oder Englisch sprechen wollen. Auch ich tat was gegen meine sozialen Ängste: Auf Ukrainisch bestellte ich ein Bier. „Djakuju“, sagte ich extra laut, damit alle hörten, dass ich etwas Ukrainisch sprechen kann.

Als wir das Lokal verließen, hatte ich den Eindruck, dass meine Freunde ähnliche Gedanken hatten. Das ist ziemlich traurig. Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur Hunderttausende Menschen getötet und verletzt sowie Millionen Menschen ihr Zuhause genommen. Er hat auch die russische Sprache auf Jahrzehnte vergiftet.

Meine 86-jährige Großmutter assoziiert die deutsche Sprache bis heute mit Soldatenstiefeln. Höchstwahrscheinlich werden georgische, ukrainische und belarussische Großmütter in Zukunft ähnliche Gefühle bezüglich der russischen Sprache haben.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Finanziert von der taz Panter Stiftung.

Die Tagebuch-Texte sind als Sammelband beim Verlag edition.fotoTAPETA erschienen.

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ist 31 Jahre alt und arbeitet als freier Journalist in Tiflis. Unter anderem ist er für den georgischen Dienst von Radio Freies Europa tätig. Seine Schwerpunkte sind Menschenrechte und digitale Sicherheit. Er hat einen Masterabschluss in Journalistik und Kommunikation. Er war Teilnehmer eines Workshops der taz Panter Stiftung.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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