Rundfunk Berlin-Brandenburg: Fritz soll wie Funk werden
Der RBB ordnet zwei seiner Radiowellen neu – und folgt dabei einem Trend: weniger journalistische Inhalte für junge Leute im Radio.
Stille im Büro des RBB-Programmdirektors. Mit einem sechsminütigen Video hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg gerade vor versammelter Presse präsentiert, wie zwei Radioprogramme „kräftig umgekrempelt“ werden sollen. „Bei Radio Fritz stehen zukünftig YouTube und Instagram im Fokus und erst dann das Radio“, erklärt Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus. Euphorische Standing Ovations – im Video.
Patricia Schlesinger ist seit Mitte 2016 Intendantin des RBB. Ihre Mission: Veränderung. Entstauben. „Den RBB rocken.“ Zuerst war das Fernsehen dran, Schlesinger tauschte nahezu alle Primetime-20.15-Uhr-Formate aus, jetzt das Radio.
Radio Berlin wird zu rbb 88.8. Neuer Slogan: „80er, 90er, 100 % Berlin“. Tosender Applaus – im Video. Neue Moderator*innen, neue Musikfarbe, neues Logo, das einen stilisierten Equalizer zeigt (und an einen ausgestreckten Mittelfinger erinnert). „Kein leeres Versprechen, sondern ein Lebensgefühl“, heißt es in der Mitteilung.
Radio Fritz darf seinen Namen zwar behalten, die Ausrichtung des Senders soll sich allerdings grundlegender ändern, als das die RBB-Führung während der Pressekonferenz zugeben mag. Seit 2012 sank laut Marktanalyse Audio die Zahl der Hörerinnen und Hörer pro Durchschnittsstunde (quasi die Radiowährung) von 91.000 auf 67.000. Aufmerksamkeit erregt der Sender höchstens noch gelegentlich mit inkonsequenten Programmaktionen.
„Abbechern“ war so eine Aktion. Fritz wollte seine Hörer*innen animieren, eine Million Pappbecher in vier Wochen einzusparen. Das Ziel wurde nicht erreicht, also wurde der Aktionszeitraum so weit verlängert, bis die eine Million erreicht war. Immerhin gab es dafür den Deutschen Radiopreis. Die nächste Programmaktion drei Monate später: Verlosung von Plastik-Jingleboxen. Nachhaltigkeit? Vergessen.
Mehr Musik, weniger Wortanteil
Nun haben die RBB-Verantwortlichen wohl genug von der schlechten Quote. Fritz wird mehr Mainstream. Ein bemerkenswerter Bruch, hat Fritz bisher immer auf alternatives, politisches Publikum gesetzt, im Programm wie auf Veranstaltungen. Während Programmdirektor Schulte-Kellinghaus nur von einer Verlagerung der Inhalte auf Onlinepräsenzen, einer „Stärkung der Marke Fritz“ redet, gibt Fritz-Chefin Karen Schmied offener zu, dass Inhalte aus dem Radio verschwinden werden. „Wir spielen mehr Musik und werden im linearen Radioprogramm ungefähr bei einem Wortanteil von 30 Prozent rauskommen“, schätzt Schmied. Bis jetzt sind es rund 10 Prozent mehr, mindestens drei journalistische Beiträge pro Tag.
Für journalistische Inhalte würden dafür Online eigene Formate entstehen. „Eine Art Funk, nur mit regionalen Inhalten aus Berlin und Brandenburg“ schwebt Fritz-Chefin Schmied vor. Funk ist das Programm von ARD und ZDF, das junge Menschen von der 14-jährigen Schülerin bis zum 29-jährigen Berufstätigen mit öffentlich-rechtlichen Inhalten im Netz versorgen will. Mit über 60 zielgruppenspezifisch ausdifferenzierten Online-Formaten und einem Budget von etwa 45 Millionen Euro.
„Kein Fritze musste Fritz wegen der Reform verlassen“
Karen Schmied setzt für die Multimediamarke Fritz auf die Mitarbeitenden, die bisher ausschließlich Radio gemacht haben. „Wir setzen auf eine Erweiterung unserer vorhandenen Kompetenzen. Kein Fritze musste Fritz wegen der Reform verlassen. Es ist ein Wagnis, aber wenn wir wüssten, dass es gut geht, wäre es ja langweilig“, sagt Schmied und lacht. Die Gewerkschaften warnen indes vor weiterer Arbeitsverdichtung.
Die Umkrempel-Reform bei Radio Fritz steht dabei in einer Linie mit den Entwicklungen, die auch andere junge ARD-Radiosender in jüngster Zeit durchmachen mussten. Eigene Nachrichten nur noch am Morgen bei MDR Sputnik. Musiklastige Programme, die ihre Auswahl an Spotify-Trends orientieren. Entpolitisierung zugunsten von Talk-about-Themen, die die junge Zielgruppe angeblich besonders ansprächen.
Im Berlin-Brandenburger Radiomarkt hinterlässt Radio Fritz eine Lücke. Bis jetzt war es Fritz, das sich mit ausführlichen jungen, politischen Inhalten aus Berlin und Brandenburg profilieren konnte. Ob das auf den Fremdplattformen YouTube und Instagram genauso gelingt?
Zu hören ist das neue Fritz ab dem 4. Februar. Die Online-Formate sollen erst später starten.
Transparenzhinweis: Der Autor arbeitet als freier Journalist gelegentlich auch für den RBB und hat auch schon für Radio Fritz gearbeitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance