Rüstungsexporte nach Israel: Motoren und Schiffe aus deutscher Produktion im Gaza-Krieg
Deutschland exportiert wieder mehr Waffen nach Israel. Jetzt ist die Bundesregierung erneut mit einem Verfahren konfrontiert.
Nach den USA importiert Israel die meisten Rüstungsgüter aus Deutschland. Allein seit August dieses Jahres genehmigte Berlin Lieferungen im Wert von mehr als 94 Millionen. Das ergab eine Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine parlamentarische Anfrage der Politikerin vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), Sevim Dağdelen. Israel wird wegen seiner Kriegsführung und der 42.000 Toten im Gazastreifen und den 2.500 Getöteten im Libanon weltweit kritisiert.
„Die Rechtslage ist unverändert so, dass aus unserer Sicht ein ernst zu nehmendes Risiko besteht, dass von Deutschland gelieferte Waffen völkerrechtswidrig eingesetzt werden“, erklärte der Rechtsanwalt Andreas Schüller, der am ECCHR für Völkerstraftaten zuständig ist, gegenüber der taz. Er legte im Namen eines Mandanten im Gazastreifen einen Eilantrag beim Frankfurter Verwaltungsgericht ein, um künftige Rüstungsexporte zu verhindern, die dessen Leben gefährden könnten.
Es ist nicht das erste Mal, dass das Zentrum einen Widerspruch zu den Ausfuhren einlegt, im Juni war es jedoch vor Gericht damit gescheitert. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte seine Entscheidung damals unter anderem damit begründet, dass Deutschland seit Jahresbeginn kaum Waffen nach Israel geliefert habe und absehbar keine weiteren Genehmigungen anstünden. Mit Scholz’ Ankündigung im Parlament „immer weiter“ an Waffenlieferungen festzuhalten, konterkarierte der Kanzler jedoch diese Feststellung der Richter*innen.
Was bekannt ist
Die Bundesrepublik Deutschland war zwischen 2019 und 2023 laut Daten des Sipri-Instituts international nach den USA, Frankreich, Russland und China der fünftgrößte Exporteur von Rüstungsgütern. Ein Zwischenbericht der Bundesregierung verzeichnete im ersten Halbjahr 2023 Einzelgenehmigungen in Höhe von insgesamt rund 5,22 Milliarden Euro. Davon entfielen 1,65 Milliarden auf die Ukraine. Zum Vergleich: Nach Israel gingen im gesamten Jahr 2023 Rüstungsgüter im Wert von 326 Millionen Euro. 2022 lagen die Exporte nach Israel bei 32 Millionen Euro.
Was nicht bekannt ist
Die Bundesregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag auf ein Rüstungsexportkontrollgesetz geeinigt, mit dem sie für mehr Transparenz bei den Ausfuhrgenehmigungen sorgen wollte. Vor mehr als zwei Jahren stellte das federführende Wirtschaftsministerium dazu die Eckpunkte vor, seitdem ist das Gesetz in der Versenkung verschwunden. Dabei sahen auch die Eckpunkte bereits schon nicht mehr das von Forschung und Zivilgesellschaft geforderte Verbandsklagerecht vor, mit dem Exportgenehmigungen rechtlich bindend hätten überprüft werden können. (taz)
Merz wirft Ampel Blockade vor
Die Unionsfraktion im Bundestag hatte zuletzt versucht, die Bundesregierung bei dem Thema vor sich herzutreiben. CDU-Chef Friedrich Merz warf der Ampel vor, die Lieferungen zu blockieren. Fraktionsvize Johann Wadephul sprach davon, dass Deutschland „sich gegen die Zusage an Israel versündige“, dass die Sicherheit des Landes deutsche Staatsräson sei, sollte Berlin Lieferungen zurückhalten.
Tatsächlich hatte eine weitere parlamentarische Anfrage des BSW zuvor ergeben, dass die Rüstungsausfuhren nach Israel im Frühjahr stark zurückgegangen waren. Bis zum Stichtag am 21. August lag der Wert der Genehmigungen demnach bei knapp 15 Millionen Euro und damit ein Vielfaches unter dem, was seitdem an Lieferungen freigegeben wurde. Vor allem ab März wurden kaum neue Exporte bewilligt.
Das könnte auch daran liegen, dass sich die Bundesregierung ab dem 1. März mit einem Antrag Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag konfrontiert sah. Der Vorwurf: Deutschland würde mit Waffenlieferungen einen Völkermord und Kriegsverbrechen des israelischen Militärs in Gaza unterstützen. Im Mai lehnten die Richter*innen den Antrag mit einer überwältigenden Mehrheit ab. In ihrer Begründung folgten sie unter anderem der damaligen Argumentation Deutschlands vor Gericht: Berlin habe seine militärische Unterstützung Israels seit Beginn des Gazakriegs stark zurückgefahren.
„In gewisser Weise spricht Scholz mit seiner Ankündigung im Bundestag dieser Aussage vor Gericht Hohn“, sagt Politikwissenschaftler Max Mutschler. Er forscht am Internationalen Zentrum für Konfliktstudien in Bonn (bicc) zu Militärtechnik und Rüstungskontrollen. Laut Mutschler war Deutschland zuletzt sehr vorsichtig mit Rüstungsexporten nach Israel – und weitaus zurückhaltender als die USA. „Meine Vermutung ist, dass die Anträge nicht bearbeitet wurden, um sie in der Schwebe zu halten und die Lage vor Ort weiter analysieren zu können.“ Der Bundeskanzler habe seine Regierung mit seinen Äußerungen nun jedoch unter Zugzwang gesetzt.
FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hatte im Bundestag seine Koalitionspartner von den Grünen scharf dafür angegriffen, bei den Genehmigungen zu zurückhaltend gewesen zu sein. Dabei hatte er vor allem auf Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock gezielt. Baerbock hatte zuvor im Plenum angekündigt, von Israel Zusagen einzufordern, aus Deutschland importierte Rüstungsgüter nur zur Selbstverteidigung und gegen militärische Ziele zu verwenden.
Max Mutschler, Konfliktforscher
Die Anwälte am ECCHR sehen diese Zusicherung jedoch als nicht ausreichend. „Nach dem internationalen Waffenhandelsvertrag dürfen keine Rüstungsexporte genehmigt werden, wenn ein überwiegendes Risiko besteht, dass diese völkerrechtswidrig eingesetzt werden“, heißt es dort. So sieht es auch Politikwissenschaftler Mutschler: „Eine Risikoabschätzung, unabhängig von dem, was vor Ort passiert, wäre nichts anderes als Wunschdenken.“ Die Bundesregierung weist diese Vorwürfe von sich. „Es handelt sich um Einzelfallprüfungen unter Berücksichtigung aller Aspekte, und darunter fällt auch das humanitäre Völkerrecht“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag in Berlin.
Dabei ist unklar, was genau Deutschland an Israel liefert. Der für die Exportanträge deutscher Waffenhersteller zuständige Bundessicherheitsrat, eine Kommission aus den Minister*innen der Regierung, tagt geheim. Über das Exportvolumen von Kriegswaffen und sogenannter „sonstiger Rüstungsgüter“, zwischen denen die Bundesregierung unterscheidet, ist wenig bekannt. In die erste Kategorie fallen etwa Panzer, Kampfflugzeuge und Schnellfeuerwaffen. Als sonstige Rüstungsgüter werden etwa Funkausrüstung und Tarnanstrich bezeichnet, aber auch Aufstellungsvorrichtungen für Waffen oder Panzermotoren.
Bei den Exporten nach Israel ließ die Bundesregierung die Frage, wie viel Prozent der seit August bewilligten Genehmigungen unter die Kategorie der Kriegswaffen fällt, mehrfach unbeantwortet. Für die Beobachter ist diese Intransparenz ein großes Problem, hatte die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag doch ein Rüstungsexportkontrollgesetz versprochen, mit dem sie die „restriktive Rüstungsexportkontrolle“ in ein Gesetz gießen wollte. Um das Vorhaben unter Federführung von Wirtschaftsminister Habeck ist es still geworden, seit im Oktober 2022 ein erstes Eckpunktepapier vorgestellt wurde. Angesichts des Streits in der Bundesregierung ist es höchst unwahrscheinlich, dass es gerade bei diesem heiß umkämpften Thema noch zu einer Einigung kommen wird.
Zuletzt ermahnte mit den USA der engste militärische Partner Israels das Land, mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen, und drohte ansonsten, seine Waffenlieferungen zurückzufahren. 69 Prozent der in Israel importierten Waffen stammten zwischen den Jahren 2019 und 2023 nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes (Sipri) aus den USA. Ein von den Vereinigten Staaten verhängtes Waffenembargo hätte also massive Konsequenzen.
60 Prozent lehnen Waffenlieferungen ab
Auf dem zweiten Platz folgt laut den Sipri-Daten Deutschland, das in demselben Zeitraum für 30 Prozent der israelischen Importe aufkam. Die meisten deutschen Lieferungen gingen demnach an die israelische Marine, 80 Prozent des Volumens machten Kriegsschiffe aus, 10 Prozent Torpedos. 8,5 Prozent entfiel laut den Sipri-Daten auf Motoren für gepanzerte Fahrzeuge, darunter auch solche, die im Gazastreifen zum Einsatz gekommen sein sollen.
Das Fachmagazin Naval Technology berichtet unter Berufung auf die israelischen Streitkräfte (IDF) von einem Fall im vergangenen Oktober, in dem eine Fregatte aus deutscher Produktion ein Ziel im Gazastreifen unter Beschuss nahm. Auch die israelische Medienplattform Mako berichtete über diesen Angriff, bei dem eine Munitionsfabrik getroffen worden sein soll.
Laut einer aktuellen Umfrage der Agentur Forsa lehnen etwa 60 Prozent der Menschen in Deutschland Waffenlieferungen nach Israel ab, 39 Prozent sind dafür. Dabei gibt es wohl auch Unterschiede zwischen denjenigen, die sagen, jede Lieferung sei berechtigt, und jenen, die sich offen zeigen für die Lieferung von Waffen und Munition, die Israels Luftverteidigung gewährleisten, die aber gegen die Lieferung von Rüstungsgütern sind, die Israel etwa im Bodenkampf verwendet.
Doch es ist schwer, hier eine klare Linie zu ziehen. Für den Rüstungsexperten Mutschler ist die Marinetechnologie ein gutes Beispiel dafür, wie heikel die Unterscheidung zwischen einer offensiven und defensiven Nutzung von Waffen ist. „Die Korvetten haben als Trägersysteme für die israelische Luftabwehr eine wichtige Rolle, aber sie lassen sich auch gegen Ziele an Land einsetzen.“
Rechtsanwalt Schüller sagt, in dem Widerspruchsantrag gegen die deutschen Exportgenehmigungen gehe es dem ECCHR vor allem um solche Waffen, die das Leben der Betroffenen im Gazastreifen gefährden, nicht jedoch um Flugabwehrsysteme und deren Komponenten. Der von dem Zentrum vertretene Mandant habe im Gazastreifen durch israelische Angriffe seine Frau und seine Tochter verloren – es gelte, ihn vor weiteren Angriffen zu schützen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren