Rücktritt von Jacinda Ardern: Eine starke Träne
Der Rücktritt Jacinda Arderns vom Amt der neuseeländischen Premierministerin zeugt von Mut: Nur wer Schwäche zugeben kann, ist großen Krisen gewachsen.
Die Nachricht ist eine mit Wumms: Jacinda Ardern, die neuseeländische Premierministerin, tritt vorzeitig von ihrem Amt zurück. „Ich habe einfach nicht mehr genug im Tank für weitere vier Jahre“, sagte sie bei einer Veranstaltung ihrer Labour-Partei am Donnerstag. Den Wumms hat der überraschende Rückzug von diesem Spitzenamt, weil sich zwei Fragen stellen: Ist dieser vorzeitige Rückzug eine starke Geste oder ein schwaches Eingeständnis, dem Job nicht (mehr) gewachsen zu sein? Und: Welchen Politiker:innentypus akzeptieren wir eigentlich?
Beginnen wir mit der zweiten Frage. Seit Jahrzehnten kennen wir hauptsächlich den kernigen, potenten Mann, der für sein Land „alles gibt“, der fürs Amt sein Privatleben vernachlässigt, von dem höchstens bekannt ist, dass er, so er heterosexuell ist, Frau und Kind(er) hat. Der erst von der öffentlichen Bühne abtritt, wenn er fünf Stents in der Brust und zwei Schwächeanfälle überlebt hat. Der Linken-Politiker Gregor Gysi erlitt drei Herzinfarkte, Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher auch, CSU-Grande Horst Seehofer lag wegen einer Herzmuskelentzündung neun Wochen im Krankenhaus.
Das Bild des sich aufopfernden Politnerds indes konterkarieren junge Frauen seit einigen Jahren. Da betreten Politikerinnen wie die Neuseeländerin Ardern, die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock das große politische Parkett. Was gab es für einen Rummel, als die spanische Verteidigungsministerin Carme Chacón 2008 hochschwanger eine Militärparade abschritt: Die traut sich was!
Frauen wie sie zeigen, dass Politik von Menschen gemacht wird, die ein Privatleben haben. Sie beweisen: Politik und Familie, selbst mit kleinen Kindern, gehen durchaus zusammen.
Entwaffnenden Ehrlichkeit
Aber nun sagte ausgerechnet Ardern, die von der internationalen Politik wie eine Heroin gefeiert wurde, dass sie den „privilegiertesten Job, den man haben kann“, nicht weiter ausüben könne. Dass das niemand kann, wenn der Tank nicht voll und „zusätzlich ein bisschen Reserve für die unerwarteten Herausforderungen“ da sei. Diese Reserven hat sie also nicht mehr – und zieht sich zurück.
Damit sind wir bei der ersten Frage: Das zuzugeben ist keine Schwäche, im Gegenteil, darin liegt eine große Stärke. Im Gegensatz zu vielen älteren Politikern, die verstecken, wenn ihre Kräfte sie verlassen, geht Ardern mit diesem Geständnis in die Offensive. Zwar mit Tränen in den Augen, (warum auch nicht?), aber mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit. Das ist mutig, so etwas kommt auf der politischen Bühne nicht so oft vor.
Damit treibt Ardern die Debatte um die Vereinbarkeit von Familie und politischen (und anderen) Spitzenämtern nach vorn. Dass Topjobs und Familie kombinierbar sind, haben Frauen längst bewiesen. Über den Preis, den sie dafür zahlen, schweigen sie bislang. Man kann sich ja fragen, wie oft die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ihre schulpflichtigen Töchter sieht, wenn sie sich von sieben Tagen in der Woche sechs im Ausland aufhält. Baerbocks Job sieht familiäre Abwesenheit vor, aber die Grüne äußert sich nicht, wie es ihr damit geht. Dieses Schweigen hat nun Ardern gebrochen. Sie möchte ihre Tochter bei deren Schuleintritt begleiten, erklärte Ardern.
Geschickte PR
Aber halt, bedient sie damit nicht genau das Vorurteil, dass Frauen eben doch keine Spitzenpositionen ausfüllen können? Nein. Ardern hat ihre familiäre Situation nicht offensiv thematisiert, aber auch nie versteckt. Im Gedächtnis bleibt insbesondere das Bild Arderns, als sie bei der UN-Vollversammlung mit ihrer drei Monate alten Tochter im Arm auftrat.
Man kann das als geschickte PR einstufen – oder als einen Schritt hin zu einer politischen Sphäre, in die Frauen ebenso leicht Zugang haben wie Männer und in der ein Familienleben möglich ist. Und aus der Frauen wie Männer jederzeit aussteigen können, ohne dafür als schwach gescholten zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind