Rücktritt von Boris Johnson: Chronologie eines Abgangs
Nach der Rücktrittserklärung von Boris Johnson streiten Tory- und Labour-Abgeordnete über das weitere Verfahren. Andere bringen sich in Stellung.
Den nun beginnenden „exzentrischen Führungswechsel“ habe er vermeiden wollen, sagte Johnson und schob die Schuld auf den „Herdentrieb“ seiner Partei. Johnson sagte auch, dass der Zeitplan für den Führungswechsel in seiner Partei am Montag bekannt gegeben werde, außerdem dankte er seinen Wähler:innen für ihr Vertrauen. Während Regierungsangestellte, Kabinettsmitglieder und seine Frau applaudierten, waren auch Buhrufe von den Straßen des Regierungsviertels zu hören.
Somit ist das Ende der Ära Johnson nun offiziell erklärt. Jedoch begann der Tag noch in der Annahme, dass Johnson trotz der Rücktritte von 45 Regierungsmitgliedern weiterkämpfen werde. Schon gegen sieben Uhr in der Früh wurden dann aber neue Rücktritte bekannt, darunter der des derzeit wichtigen Nordirlandministers Brandon Lewis, sowie der erst am Vortag ernannten Erziehungsministerin Michelle Donelan. Dann, kurz vor acht Uhr, erfolgte der Dolchstoß von Nadhim Zahawi, dem von Johnson ebenfalls frisch ernannten Finanzminister. Er trat zwar nicht zurück, veröffentlichte aber einen Brief, in dem er, als langjähriger Freund, Johnson den Rücktritt empfahl. Keine halbe Stunde später ließ 10 Downing Street die ersten Medien wissen, dass Johnson als Parteiführer zurücktreten werde und bis spätestens Oktober 2022 ein Auswahlverfahren für einen neuen Parteiführer und Premierminister aufsetzen werde. Boris Johnsons Privatsekretär James Duddridge gab derweil bekannt, dass Johnson so lange nicht abdanken werde, bis es Ersatz für ihn gäbe.
Doch anstatt nun die Diskussionen um Boris Johnsons Führung zu beenden, entfachte ein alter Streit mit neuem Inhalt: Denn wie schnell soll Johnson sein Amt aufgeben? Manche Abgeordnete gaben an, er solle das Amt sofort niederlegen. Andere meinten, dass Johnson durchaus für eine Übergangsphase im Interesse der Regierungsgeschäfte im Amt bleiben könne. Labour-Chef Keir Starmer versprach, dass er ein parlamentarisches Misstrauensvotum gegen Johnson organisieren werde, wenn dieser nicht bald gehen werde – oder Neuwahlen.
Wer tritt Johnsons Nachfolge an?
Wie lange es nun tatsächlich dauern wird, bis Johnson endgültig weg ist, wird am Montag vom konservativen Hinterbänkler:innenkomitee, dem 1922 Committee, entschieden. Dieses Parteigremium hätte Johnson – hätte er nicht seinen Rücktritt erklärt – mit aller Wahrscheinlichkeit durch eine Regeländerung und ein darauf folgendes Misstrauensvotum aus dem Amt geworfen.
Abgeordnete im Unterhaus wollten zunächst vor allem wissen, wie Johnson überhaupt regieren könne, nachdem am Ende fast 60 Abgeordnete in ministerialen Posten zurückgetreten seien. Kabinettsmitglied Michael Ellis sagte im Namen der Regierung, dass die wichtigsten Ämter weiterhin mit Ministern besetzt wären und alle Regierungsdienste weiterarbeiten würden. Gegen elf Uhr erklärte 10 Downing Street dann, dass man ein volles neu besetztes Kabinett für eine Übergangsregierung besitzen würde.
Mit Johnsons Rücktrittsankündigung beginnt nun auch ernsthaft die Frage seiner Nachfolge. Die Chancen von Ex-Gesundheitsminister Sajid Javid etwa sind seit seiner Rücktrittsrede am Mittwoch gestiegen. Viele Abgeordnete erwähnen weiterhin den ehemaligen Finanzminister Rishi Sunak. So manche in der Partei fordern jedoch Kandidat:innen, die nichts mit der Regierung Johnsons zu tun haben. Dazu zählt der ehemalige Gesundheitsminister Jeremy Hunt, der zum moderateren Flügel gehört. Neben ihm hat sich auch Steve Baker, ein hartnäckiger und lauter libertärer Hinterbänkler gemeldet, dessen Markenzeichen der Einsatz für einen harten Brexit war, der sich gegen die Covidlockdowns stellte und Klimawandelskeptiker ist. Suella Braverman, die in London geborene Generalstaatsanwältin, deren Eltern indischstämmige Einwanderer aus Kenia sind, gab ebenfalls an, sich für das Premierministeramt zu interessieren. Die Partei wird sich nun entscheiden müssen, welcher Flügel ihr wichtiger ist. Johnsons Vorgängerin Theresa May formulierte die Hoffnung, dass der nächste Premier die Risse im Land und in der Partei heilen werde.
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