Rücktritt im Bremerhavener Magistrat: Die letzte Frau vergrault
Umweltdezernentin Susanne Gatti gibt ihr Amt auf, weil der Magistrat ihre Klimaschutzvorlage ohne Absprache änderte. CDU und SPD sind nicht traurig.
Sechs Wochen gemeinsame Arbeit der Dezernentin und des Klimastadtbüros stecken in der Vorlage, die Bremerhavens Weg zur Klimaneutralität bis 2038 vorzeichnen soll. Die Bremer Klima-Enquetekommission hatte zuvor zwei Jahre lang erarbeitet, wo die Stolperfallen auf diesem Weg liegen. Sie hatte CO2-Budgets und Kosten berechnet, Fragen nach Zeitfenstern und Personal gestellt – das alles allerdings in erster Linie für das Land Bremen, eingeschränkt auch für die Stadt Bremen. Für die Stadt Bremerhaven sind viele Fragen noch offen.
Das Papier von Gatti ist deshalb vor allem als eine Art Fahrplan zu verstehen: Was folgt aus den Beschlüssen der Enquetekommission? Wo muss die Stadt als erstes ansetzen? Wie passt das zu anderen Prozessen, die die Stadt aktuell plant? Und welches Dezernat müsste welche Zuständigkeiten übernehmen?
In der Magistratssitzung Anfang Oktober wurde sie dann plötzlich mit Ergänzungen ihrer Vorlage konfrontiert: Fünf Maßnahmen hatten die Dezernenten von SPD, CDU und FDP einfach hinten drangehängt: Als „Klimaschutzpaket“ wurden dort zwei Programme für günstigere Bustickets und ein Solarförderungsprogramm verkauft, aber auch ein Plan zur Renaturierung der Neuen Aue und ein Programm zum Schutz von Insekten durch blumigere Privatgärten.
Unseriöse Verwässerung
Nicht einmal reine Klimaschutz-, sondern teilweise Umweltschutzmaßnahmen also, kritisiert Gatti. „Die haben dort in der Vorlage nichts zu suchen“, sie seien schlicht nicht zielführend. Noch dazu seien die geplanten Projekte mit einem Volumen von etwa 10 Millionen Euro im knappen Bremerhavener Haushalt gar nicht gegenfinanziert – die Umweltdezernentin kritisiert auch das als unseriös. „Ich bin angetreten, um wirksamen Klimaschutz voranzutreiben, und nicht, um ein schönes Mäntelchen über irgendwelche Wahlkampfideen der Koalition zu decken“, sagt die Umweltdezernentin.
So kam es, dass Gatti in der Magistratssitzung von Anfang Oktober ihrer eigenen Vorlage nicht zustimmte – durchgekommen ist sie trotzdem, nun allerdings nicht in ihrem Namen. In einer Mail an ihre Magistratskollegen forderte sie ein Entgegenkommen – und eine Entschuldigung. „Aber es kam nichts zurück, gar nichts“, erzählt sie. „Damit hätte ich nicht gerechnet.“ Jetzt hat sie für sich die Konsequenz gezogen.
Alle Fraktionen stellen den Magistrat
Um zu verstehen, wie das Ganze überhaupt passieren konnte, muss man ein paar Hintergründe zu Bremerhavener Politikstrukturen kennen: Die Stadt Bremerhaven, als kleine Schwesterstadt im Zwei-Städte-Staat Bremen, hat eine eigene Stadtverfassung. Und die sieht vor, dass der Magistrat, die Stadtregierung also, nicht allein von der Regierungskoalition, sondern von allen Fraktionen besetzt wird.
So kommt es, dass der aktuellen CDU-SPD-FDP-Koalition mit Susanne Gatti eine Umweltdezernentin im Magistrat gegenüber sitzt, die selbst zwar parteilos ist, aber von der Fraktion der gemeinsamen Fraktion von Grünen und Piratenpartei vorgeschlagen wurde. Fachlich gehörte sie als ehrenamtliches Mitglied des Magistrats zu den bestbewanderten: Die Wissenschaftlerin des Alfred-Wegener-Instituts ist Expertin im Bereich Umwelt- und Klimaschutz.
Das System soll helfen, einen Konsens in der Verwaltung des Stadtgeschicks zu sichern. Doch faktisch funktioniert das laut Gatti oft nur mäßig: „Die Regierungsfraktionen bestimmen, welche Themen überhaupt auf die Magistratstagesordnung kommen“, sagt sie. „Wenn die Koalition eine Vorlage nicht durchlässt, wird sie eben nicht behandelt.“
„Normal“ findet das der CDU-Fraktionsvorsitzende Thorsten Raschen. „Es ist natürlich nicht so, dass eine Vorlage aus dem grünen Magistrat einfach so übernommen wird. Die Grünen sind kein Teil der Koalition.“ Er vermutet „gekränkte Eitelkeit“ bei Gatti. Die vergangenen Stadtregierungen in Bremerhaven haben allesamt versucht, die Stadtverfassung zu verändern – hin zu weniger Beteiligung für die Opposition. Ab 2027 soll nun eine Reform kommen.
Von ursprünglich fünf Frauen bleibt keine übrig
So richtig traurig scheinen die anderen Fraktionen denn auch nicht zu sein. Während Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) verlauten lässt, dass er den Rücktritt Gattis bedauere, „weil sie eine konstruktive Bereicherung im Magistrat war“, schreibt seine Fraktion auf Twitter: „Gut, dass sie zurücktritt.“ Schließlich habe sie in ihrer Vorlage konkrete eigene Ideen vermissen lassen. „Das ist mehr als peinlich“, findet die SPD. Auch die CDU-Fraktion teilt der Presse mit: „Ihr Weggang ist kein Verlust.“
Mit Gatti geht die letzte Frau, die im Magistrat gesessen hat. Zu Beginn der Legislaturperiode waren es noch fünf von elf Mitgliedern, jetzt stellen erst einmal neun Männer und null Frauen die Bremerhavener Stadtregierung.
Die weiblichen Mitglieder sind aus ganz unterschiedlichen Gründen ausgeschieden – auffällig ist aber, dass ihre Fraktionen für sie keinen weiblichen Ersatz finden konnten oder wollten. Die Fraktion der Grünen-PP erkennt deshalb im Verhalten des Magistrats gegen Gatti auch Sexismus. „Wahrscheinlich“, so schreiben sie in einer Pressemitteilung, „freuen sich die Herren sogar darüber, dass sie eine aufmerksame und kritische Kollegin loswerden und nun in einer reinen Männerrunde Wahlkampfideen ihrer Parteien verkaufen können.“
Wer rückt nach in den Magistrat?
Die Fraktion der Grünen-PP hat jetzt das Vorschlagsrecht für ein weiteres Mitglied des Magistrats. Dass sie wieder das Umweltdezernat besetzen dürfen, ist aber nicht klar – die Stadtverordnetenversammlung kann ihnen jeden Posten zubilligen.
Dass die von ihr erarbeitete Vorlage dem Magistrat jetzt ohne ihre Zustimmung als Arbeitsgrundlage dienen kann, schreckt Gatti übrigens nicht. „Da würde ich sogar sagen: Ach, geschenkt“, sagt sie. „Dann hätte das ja alles noch sein Gutes.“ Sie fürchtet allerdings, dass das Papier in den nächsten Jahren eher weiter verwässert wird.
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