Rückschlag für Antirassismus-Arbeit: Enquetekommission am Ende
Erst der Dauerstreit mit der Berliner CDU, jetzt der Rücktritt zweier Sachverständiger: Grüne und Linke erklären die Kommission für gescheitert.
Die Enquetekommission gegen Antisemitismus und Rassismus steht vor dem Aus. Sowohl die Links- wie die Grünen-Fraktion verkündeten am Montag, dass sie aufgrund des Verhaltens der CDU keine gemeinsame Arbeitsgrundlage mehr sehen. Eine weitere Teilnahme an den regulären Arbeitssitzungen der Kommission sei für sie „derzeit nicht vorstellbar“, stellten die grünen Kommissionsmitglieder Bettina Jarasch und Tuba Bozkurt sowie weitere Grünen-Abgeordnete in einer Erklärung klar. Auch für die Linke kann es ein „einfaches weiter so“ nicht mehr geben, teilten die Fraktionsvorsitzende Anne Helm und die Sprecherin für Migration Elif Eralp mit.
Die Kommission hat den Auftrag, Empfehlungen zu erarbeiten, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jeder Form der Diskriminierung begegnet werden kann. Das Gremium besteht aus 13 Abgeordneten der Fraktionen und 11 Sachverständigen. Doch seit Monaten gibt es Streit, weil die CDU die Existenz von strukturellem Rassismus anzweifelt, obwohl Experten dies bei Kommissionssitzungen wiederholt darlegten.
Bettina Jarasch und Tuba Bozkurt, Grüne
Zudem kam im Rahmen der CDU-Fördergeldaffäre heraus, dass der CDU-Abgeordnete Christian Goiny unter anderem drei sachverständige Mitglieder der Kommission als „zu links, zu woke, zu BDS“ verunglimpfte. Sie waren Teil einer Fachjury der Kulturverwaltung für den „Aktionsfonds gegen Antisemitismus“, die der CDU politisch nicht in den Kram passte. „Insbesondere die Unterstellung einer ‚BDS-Nähe‘ ist ehrenrührig und droht die genannten Personen nachhaltig zu beschädigen. Wir weisen diese Aussagen entschieden zurück“, erklärten die Grünen.
Das Fass zum Überlaufen brachte Timur Husein, Kommissionsmitglied und CDU-Sprecher für Antisemitismus, der in einem Social-Media-Post gegen die linke Bürgermeisterkandidatin Elif Eralp von „illegalen Sinti und Roma“ schrieb und dabei das Z-Wort benutzte. Mehrere Roma-Organisationen sowie Linke und Grüne forderten eine Entschuldigung und den Rücktritt Huseins aus der Kommission. Ein Krisengespräch des Gremiums unter dem Vorsitzenden Raed Saleh (SPD) vor einer Woche blieb jedoch ohne Ergebnis. Die CDU kam der Forderung nicht nach; eine Stellungnahme Huseins auf Facebook, in der er die Wortwahl bedauert, betrachten Linke, Grüne und Roma-Verbände als nicht ausreichend.
Zwei Sachverständige aus der Kommission, Saraya Gomis, frühere Antidiskriminierungsbeauftragte der Bildungsverwaltung, und Hajdi Barz, Mitglied im Berliner Beirat für die Angelegenheiten der Sinti*zze und Rom*nja, erklärten daher am Freitag ihren Rücktritt. Sie waren auf Vorschlag der Linksfraktion in die Kommission gewählt worden. Helm und Eralp erklärten am Montag, sie bedauerten den Rücktritt, hätten jedoch „volles Verständnis“. Die Fraktion stehe an der Seite der betroffenen Communitys.
Bisherige Arbeit sichern
Auch die Grünen finden es „absolut inakzeptabel“, dass ein Kommissionsmitglied diskriminierende Äußerungen verbreitet – eine weitere Zusammenarbeit mit ihm sei für sie nicht mehr vorstellbar. Angesichts von Huseins Verbleib in der Enquete „stellen wir den Sinn der Kommission grundsätzlich in Frage“. Die CDU ließ eine taz-Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Die Kommission ist damit fachlich wie politisch gescheitert. Ein gemeinsamer Abschlussbericht, der bis Sommer erarbeitet werden sollte, dürfte illusorisch sein. Die Linken wollen prüfen, „wie die bisherige Arbeit in der Enquetekommission gesichert und Handlungsempfehlungen entwickelt werden können, um die Arbeit gegebenenfalls unter anderen Voraussetzungen fortsetzen zu können.“ Die Grünen wollen einen eigenen Bericht erarbeiten und in ihm ihre Erkenntnisse aus den bisherigen neun Sitzungen, den vielen Eingaben, Stellungnahmen und Empfehlungen zusammentragen.
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