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Rückkehr des GesternHilfe, die 90er sind zurück!

Alles schon mal dagewesen: die FDP in der Koalition, Atomkraft und beigefarbene Hosen. Sogar Schlecker soll es bald wieder geben.

Alles kommt wieder, meint die Autorin, und bedauert, dass sie ihre Anti-AKW-Aufkleber entsorgt hat Foto: Steinach/imago

I st das schon die Midlife-Crisis oder noch Corona? Seit Beginn dieses Jahres, das sich durch eine Zwei hinten angeblich vom alten unterscheiden soll, habe ich das Gefühl: Manche Dinge gehen einfach nicht weg (Inzidenzverlesungen im Morgenradio, Impfgegnerproteste), und andere kommen in kaum veränderter Gestalt wieder: Kurz nachdem wir im Familienkreis herzlich über das Kinder-Atomkraftwerk im Loriot-Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ gelacht hatten, war sie wieder aktuell, die Atomkraft.

Als von der EU-Kommission nachhaltig genannte „Brückentechnologie“. Die Anti-Atom-Sticker sind doch etwas vorschnell in der Tonne gelandet. Es hätte gereicht, „Gundremmingen“ durch „Penly“ zu ersetzen und man könnte gleich wieder losmarschieren. In einer dieser beigen Hosen vielleicht, die derzeit wieder an Teenagerkörpern ein Comeback feiern und mich unangenehm an die Stromlinienförmigkeit perlenohrringtragender Kommilitoninnen in den Neunzigern erinnern.

Die Neunziger sind vielleicht vergangen, aber vorbei sind sie nicht: Die FDP regiert wieder mit, die Inflation steigt erstmals seit 1993 wieder auf vier Prozent. Und Ulrich Schneider, auch schon seit 1999 Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, mahnt regelmäßig, man solle angesichts steigender Lebensmittel- und Energiepreise die Armen nicht vergessen. Wollte die Ampelkoalition nicht eigentlich weg von der Hartz-IV-Logik und Menschen nicht länger in zu fördernde Arbeitsbereite und zu bestrafende Minderleister einteilen?

Noch sind Details des neuen Bürgergeldes unklar. Aber die Schäbigkeit, mit der über die Auszahlung eines Coronabonus in Pflegeberufen (für manche mehr, für manche weniger – als seien manche Belastungen weniger wert als andere) diskutiert wird, lässt nichts Gutes ahnen. Apropos Neunziger: Sogar Schlecker soll jetzt wieder auferstehen.

Ein schwäbischer Selfmade-Millionär hat sich die Namensrechte an der gescheiterten Drogeriekette gesichert und kündigt vollmundig den größten „Angriff in der Geschichte des europäischen Handels“ an. Filialen in Fußgängerzonen halb Europas hochziehen – diese Zeiten sind nun doch vorbei.

Ob an die Stelle der Zehntausenden Schlecker-Mitarbeiter:innen, die vor 10 Jahren ihre Arbeitsplätze verloren, nun eine Heerschar von E-Bike-Lie­fer­ku­rie­r:in­nen treten wird, die Windeln, Shampoo und Entkalker „innerhalb von 6 Minuten zu Ihnen nach Hause“ bringen? Was diese Woche putzmunter aus den Falten der Zeitgeschichte gekrabbelt kam, waren Moralappelle aus Rom.

Die katholische Kirche zeigt sich weiterhin selbstgerecht

Ganz in der Tradition seines Vorvorgängers, des Pillengegners Johannes Paul II., äußerte sich der vermeintlich progressive Papst Franziskus diese Woche. Der Pontifex kritisierte Paare, die kinderlos blieben und stattdessen lieber mit Hunden und Katzen lebten. „Wer in der Welt lebt und heiratet, muss daran denken, Kinder zu haben“ – auch Adop­tion sei ein Weg. So viel Gift in nur einem Satz verspritzen, das schafft nur die römisch-katholische Kirche.

Ausgeschlossen vom päpstlichen Wunsch nach Fortpflanzung sind alle Unverheirateten sowie all jene, die nach katholischem Recht den Segen der Ehe nicht bekommen sollen, nämlich Homosexuelle. Dass sich Rom noch diese Selbstgerechtigkeit leistet, angesichts der in den letzten 20 Jahren nach und nach scheibchenweise ans Licht gezerrten Misshandlungs- und Missbrauchstaten in katholischem Kontext!

Hier wiederum ist es doch ganz tröstlich, dass die Vergangenheit nicht ganz vorbei ist: Ein bislang unter Verschluss gehaltenes Kirchendekret belastet den ehemaligen Münchener Erzbischof und späteren Papst Joseph Ratzinger sowie andere hohe Würdenträger schwer: Sie sollen von den Taten eines pädo­sexuellen Priesters gewusst und ihn im Priesteramt belassen haben – auch noch, nachdem er zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt worden war.

Natürlich streiten die noch lebenden Verantwortlichen alles ab. Ende Januar soll ein anwaltliches Gutachten dazu vorgelegt werden – das Waten in den Sümpfen der Vergangenheit geht munter weiter. Wo bleibt eigentlich das neue Florian-Illies-Buch „1990/2022“?

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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