„Roter Himmel“ von Christian Petzold: Der Sommer seines Missvergnügens
Christian Petzolds „Roter Himmel“, ausgezeichnet auf der Berlinale, verknüpft die Klimakrise mit Künstlernarzissmus und Leichtigkeit.
Die Arbeit lässt es nicht zu“, ist sein Schlüsselsatz. Gerade, weil er eigentlich so gar nicht zu Leon (Thomas Schubert) passt. Der Satz klingt nach Beamtendeutsch, bestes Verstell-Sprech, dass Sachzwänge behauptet, wo in Wahrheit ein kleines unsicheres Ich nicht zugeben kann, dass es prokrastiniert, statt zu „arbeiten“.
In diesem Sinne passt der Satz auch wieder sehr gut zu Leon. Der junge Mann, so erfahren wir nebenbei in Christian Petzolds „Roter Himmel“, hat ein erstes Buch veröffentlicht, offenbar mit guten Besprechungen. Nun sitzt er am zweiten und kämpft. Mit seinem Stoff, seinem Selbstbewusstsein und seiner Sicht auf die Welt.
Dass Leon wie gefangen ist in seiner Blase aus Selbstliebe und Selbstzweifel, bringt der Film schon in der allerersten Szene auf den Punkt: Da dämmert Leon im Wagen auf der Fahrt durch den lichten Küstenwald zum Ferienhaus an der Ostsee. Sein Jugendfreund Felix (Langston Uibel) sitzt am Steuer und reißt ihn mit einem „Irgendwas stimmt nicht“ aus dem Halbschlaf. Der Motor habe Aussetzer. „Ich hör nichts“, sagt Leon.
Einen Schnitt später sind die beiden mit dem Auto auf der Strecke liegengeblieben. Felix kann dem Motor ein letztes explosives Aufbäumen entlocken, dann heißt es Koffer raus und zu Fuß durch den Wald. „Ich kenne eine Abkürzung“, verspricht Felix, aber Leon bleibt skeptisch. Es ist der Sommer seines Missvergnügens.
„Roter Himmel“. Regie: Christian Petzold. Mit Thomas Schubert, Paula Beer u. a. Deutschland 2023, 103 Min.
Im Film sind da noch keine fünf Minuten vergangen, und dennoch fühlt man sich mittendrin als Zuschauer*in. Juni an der Ostsee, das Rascheln der Blätter, das milde Blau des Himmels, die Stille im Wald, das angenehme Gefühl von Abgeschiedenheit: Petzolds atmosphärische Beschreibung ist ungeheuer dicht und einnehmend. Gerade deshalb fällt Leons Unwohlsein so auf, und zwar nicht als rebellisches Nichtangepasstsein, sondern als träge Unfähigkeit, sich ein bisschen treiben zu lassen, mal mit dem „Flow“ zu gehen, mit dem Sommer und seinen Launen.
Immer etwas gequälte Mimik
Thomas Schubert bringt das Unbehagen von Leon großartig zum Ausdruck. Nicht nur in der Mimik, dem immer etwas gequälten Gesichtsausdruck, der zu sagen scheint: „Ich bemühe mich doch!“, sondern in der ganzen Körpersprache, dem stets etwas krummen Herumstehen in der Landschaft, den verkrumpelten Kleidungsstücken, die an ihm herunterhängen und wohl die leichte Überfülle zu tarnen versuchen. Dabei dosiert Schubert sein Abbild von Miesepetrigkeit so präzis, dass er doch nie ganz zur Witzfigur wird.
Man lacht über ihn und seine demonstrative schlechte Laune, aber selten laut heraus. Man versteht ihn nämlich gleichzeitig fast zu gut. Um ihn herum genießen alle den Sommer, gehen Schwimmen, schließen Freundschaften, machen sich nichts aus den ganzen Unannehmlichkeiten, seien es Mücken, ungebetene Mitbewohnerinnen oder nächtliche Sexgeräusche aus dem Nebenzimmer. Wie soll man sich da nicht ausgegrenzt fühlen?
Die Stichworte von Sommer, Laune und Missvergnügen lassen an Eric Rohmer denken, der es so meisterhaft verstand, den Ausnahmezustand der Ferien als Hintergrund zu nehmen für komplexe Erzählungen über zwiespältige Gefühle und wie sie unser Leben prägen. Marie Rivière in „Das grüne Leuchten“, Amanda Langlet als 15-jährige „Pauline am Strand“ oder auch Melvil Poupaud als ratlos zwischen zwei Frauen stehender Gaspard in „Sommer“.
Das erotische Zentrum des Films
Die Figurenkonstellation, die Petzold in „Roter Himmel“ einsetzt, gleicht auch deshalb dem von Rohmer, weil sie so bezogen auf Literatur- und Bildungsreferenzen ist. Leon, der an seinem zweiten Roman arbeitet, Felix, der als Fotograf eine Mappe für die Bewerbung an der Universität der Künste erstellen will, Helmut (Matthias Brandt), der als Leons Verleger anreist, um mit ihm das Manuskript durchzugehen.
Hinzu kommen Devid (Enno Trebs), der Rettungsschwimmer vom Strand, der Leon durch die Flexibilität seiner sexuellen Neigung irritiert. Und dann natürlich noch Nadia (Paula Beer), zuerst die ungebetene Mitbewohnerin und dann ganz schnell das eigentliche erotische Zentrum des Films.
Wie der Film Nadia als Figur einführt, ist so raffiniert wie auch ein bisschen abgeschmackt: Als Felix und Leon nach der Autopanne und ihrem „Waldspaziergang“ zum Ferienhaus kommen, müssen sie entdecken, dass es nicht wie erwartet leer steht. In der Küche stapelt sich das dreckige Geschirr, eine nicht ganz fertig gegessene Lasagne steht auf dem Tisch, zwei Weingläser in Sofa-Nähe lassen auf einen vergnüglichen Abend zu zweit schließen.
Der unbekannte Hausgast
Während Felix, dessen Familie das Haus gehört, seine Mutter antelefoniert, um zu fragen, was Sache ist, wirft Leon einen Blick in dem Raum, in dem der unbekannte Hausgast allem Anschein nach übernachtet hat: ein paar hochhackige Schuhe auf dem Boden, ein Stück Lingerie auf dem ungemachten Bett verraten, dass es sich um eine Frau handelt – und man wünscht sich, Petzold hätte das vielleicht etwas weniger „klassisch“ männerfantasiemäßig inszeniert.
Der Fakt, dass Leon nämlich, noch bevor er ihren Namen erfährt – „Nadia“, erzählt Felix nach dem Telefongespräch mit der Mutter, sie sei die Nichte einer Arbeitskollegin –, bereits fasziniert ist von der Unbekannten, hat seinen Anlass weniger in so offensichtlichen Reizen als in der Architektur der ganzen sommerlichen Atmosphäre.
Leon, so stumpf ihn sein „Ich bin Künstler!“-Narzissmus in vielerlei Hinsicht macht, ist doch gleichzeitig auch ungeheuer empfindsam und aufnahmegierig. Was seinen Freund Felix bewegt oder was mit seinem Verleger los ist, bekommt er nicht mit, aber der Zauber, den Nadia auf ihre unmittelbare Umgebung ausübt, der trifft ihn fast schmerzhaft ins Mark.
Waldbrände in der Nähe
Diese Zwiespältigkeit macht den Film zu einem großartigen Porträt nicht nur eines Autors in kreativen Nöten, sondern des Zeitgeists schlechthin. Zwar führt der Film wie als Signal von Anfang an den titelgebenden „Roten Himmel“ ein, den die Waldbrände in der Nähe erzeugen. Felix und Leon erleben ihn in ihrer ersten Nacht vom Dach des Ferienhauses aus noch als zwar Ehrfurcht gebietendes, aber doch bloß ästhetisches Spektakel.
Während hin und wieder ein Löschflugzeug krachend die Urlaubsstille durchbricht, beruhigen sie sich gegenseitig, dass die Brände sie nicht beträfen, weil besondere Meereswinde ihre Ecke schütze. Man könnte dieses Gerede als völlig unsubtile Anspielung auf unser aller Haltung zur nahenden Klimakatastrophe entschlüsseln – nur dass es da nichts zu „entschlüsseln“ gibt, handelt es sich doch um ein Eins-zu-eins-Porträt.
Würde es der Film dabei belassen – fasziniert vom Spektakel der Gefahr, lassen wir sie geschehen, während wir uns in falscher Sicherheit wähnen –, käme es einem ziemlich billig vor. Aber tatsächlich erzählt „Roter Himmel“ eben nicht nur von Leons Blindheit, sondern zugleich von seiner Sensibilität. Dass er nicht mitgeht im „Flow“ dieser Sommertage, dass ihn immer etwas stört und von der falschen Seite erwischt, entpuppt sich zuletzt als seine besondere Gabe.
Der Film setzt darüber die anderen, diejenigen, die den Sommer genießen können, nicht ins Unrecht, das ist das Schöne, aber er schlägt sich am Ende doch überraschend auf Leons Seite. Das Buchprojekt muss er aufgeben, aber die, die wirklich etwas verlieren, sind andere. Man kann darin eine Aussage über Kreativität und ihre moralische „Messiness“ erkennen, oder auch eine Aufforderung dazu, mehr achtzugeben, so gut man eben kann.
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