Rot-Rot-Grün und die Enteignungsfrage: Links, aber nicht link
In Berlin dämmert der Wahlkampf. Das stellt Grüne, Linke und SPD vor ein Dilemma: Wie voneinander abgrenzen, wo es keine Alternative gibt zu R2G?
Z wei Drittel der Legislaturperiode in Berlin sind vorbei, die ersten Weichenstellungen für die nächste Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2021 stehen an. Zwar gibt es auch inhaltlich noch viel zu tun, wie sowohl Grüne, Linke und SPD betonen. Aber angesichts der absehbaren personellen Vorentscheidungen – dass etwa Bundesfamilienministerin Franziska Giffey die SPD als Nachfolgerin von Michael Müller in den Wahlkampf führen wird – häufen sich die Ränkespielchen.
Das Dilemma dabei: Rot-Rot-Grün ist nicht nur zum Erfolg verdammt, wie unter anderem SPD-Fraktionschef Raed Saleh seit Dezember 2016 mantramäßig wiederholt. Sondern auch zum Weitermachen. Laut Umfragen liegt das Bündnis bei 56 bis 57 Prozent; andere Koalitionen sind da nur theoretisch denkbar.
Und natürlich hat R2G nicht alles erreicht, was man anfangs selbst für machbar hielt. Die öffentliche Kritik, dass zum Beispiel bei der Verkehrswende, beim Neubau von Wohnungen, bei der Einrichtung von Kita- und Schulplätzen mehr versprochen als gehalten wurde, wird selbst in den eigenen Reihen inzwischen akzeptiert und nicht mehr nur vom Tisch gewischt.
Bleibt die Frage, wie die Parteien mit dieser Bilanz umgehen: Sucht man die Schuld für einzelne Fehler bei den Koalitionspartnern, um sich selbst auf deren Kosten zu profilieren, um dann nach der Wahl sich noch schwerer wieder zusammen zu raufen für die nächsten fünf Jahre?
Dass es anders verlaufen wird, ist kaum zu erwarten. Zu tief sind die Enttäuschungen bei vielen wichtigen PolitikerInnen innerhalb der Koalition; zu unwahrscheinlich, dass allein das Rumhacken auf der weitgehend in der Versenkung verschwundenen demokratischen Opposition und der Menschen- und Demokratieverachtung der AfD die nötige Profilierung bringen wird.
Tatsächlich gibt es aber in einigen Fragen durchaus die Möglichkeit für die drei Regierungsparteien, sich inhaltlich abzugrenzen voneinander. Eines davon wurde auf der Fraktionsklausur der Linken am Wochenende deutlich: Wie haltet ihr es mit dem Enteignen großer Immobilienkonzernen?
Seit die Initiative Deutsche Wohnen enteignen einen Volksentscheid darüber anstrebt, rückt die Debatte aus der Nische einiger linksorthodoxer Gruppen langsam in die Mitte der Gesellschaft. Zwar erschrecken noch immer Liberale und Konservative, wenn sie das Wort nur hören. Aber auch das könnte sich noch ändern. Denn nach dem jüngst in Kraft getretenen Mietendeckel, der Umfragen zu folge in breiten Teilen der Berliner Wählerschaft positiv gesehen wird, wäre eine Rekommunalisierung großer privater Wohnungsbestände ein weiterer Schritt, der eine mieterfreundliche Wohnungspolitik auf Landesebene – erst recht nach Auslaufen des Deckels nach fünf Jahren – ermöglichen könnte.
Enteignung ist machbar und sinnvoll
Auf der Klausur der Linken legte der einstige Wirtschaftssenator Harald Wolf eine „grobe“ Modellrechnung vor, nach der die Vergesellschaftung der mehr als 100.000 Einheiten der Deutschen Wohnen in Berlin politisch, rechtlich und finanziell umsetzbar sei: „Es geht, man kann es machen, und es ist sinnvoll, weil wir damit einen spekulativen Kreislauf auf dem Berliner Immobilienmarkt unterbrechen“, sagte Harald Wolf.
Der Arbeitsrechtler und FU-Professor Florian Rödl erläuterte, dass dieser Fall eigentlich keine Enteignung sei, sondern eine Vergesellschaftung, möglich nach Artikel 15 des Grundgesetzes. Diese sei angemessen, wenn „die demokratische Mehrheit das so will“. Linksfraktionschef Udo Wolf forderte vor dem Hintergrund, die Debatte sachlich und nicht ideologisch zu führen.
Dennoch ist auch den Linken klar: In der Koalition haben sie bisher mit dieser Position keine Mehrheit. Mehr noch: Alle drei haben in der Frage der Vergesellschaftung unterschiedliche Ansichten.
Gerade darin liegt für die Auseinandersetzung im Wahlkampf eine Chance: SPD, Grüne und Linke können darstellen, ob und gegebenenfalls wie sie die Initiative und ihr Anliegen unterstützen. Schließlich ist unklar, ob es sich um eine realistische Option handelt, denn wie beim Mietendeckel wird es neben den politischen juristische Auseinandersetzungen geben müssen.
Wie sieht's aus mit dem Tempelhofer Feld?
Ähnliche Themen, deren Umsetzung in der Zukunft liegt und bei denen Rot-Rot-Grün nicht auf einer Linie liegt, gibt es zuhauf: etwa eine Bebauung des Tempelhofer Felds; die Frage eines Ausbaus des U-Bahn-Netzes als Teil der Verkehrswende; die Fusion Berlins mit Brandenburg.
Auf diesen Feldern können sich alle linken Politikerinnen abarbeiten. Und die Debatten dürften jenseits von Wahlkampfgetöse sogar belastbare Ergebnisse für die nächsten Jahre bringen. Entscheiden über ihren Ausgang werden am Ende die WählerInnen.
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