Rot-Rot-Grün streitet um Wohnungs-Posten: Verhärtigte Fronten
Krach um Vorstand der Wohnraumversorgung: Die Entscheidung von Senator Kollatz (SPD) für Volker Härtig sehen viele als Rückkehr zum alten Baufilz.
Als Vorstand der Wohnraumversorgung sitzt Härtig ab 1. Januar 2021 einer Anstalt des öffentlichen Rechts vor, die nach dem Mietenvolksbegehren 2015 von Aktivist:innen erstritten wurde. Ihre Aufgabe ist, unternehmenspolitische Leitlinien der landeseigenen Wohnungsfirmen festzulegen, zu kontrollieren und dafür auch in den Austausch mit stadtpolitischen Initiativen zu treten.
In einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung forderten sieben Initiativen wie Stadt von Unten, Bizim Kiez und Kotti & Co. den Senator auf, die Personalie rückgängig zu machen. Sie werten die Besetzung als „einen Angriff auf die soziale Mietenpolitik“, der auch im Zusammenhang mit jüngsten Äußerungen von der SPD-Spitzendkandidatin Franziska Giffey stünde, die etwa den Mietendeckel nicht verlängern will. Die SPD versuche, eine 180-Grad-Kehrtwende in der Stadtentwicklungspolitik einzuleiten, so die Befürchtung: „Volker Härtig steht nicht nur für männliches Dominanzgebaren, sondern explizit für die Abkehr von Partizipation und sozialer Wohnungspolitik.“ Die Entscheidung stelle auch die Mietenpolitik von Linken und Grünen infrage.
Das sehen diese offenbar ähnlich: Der Spitzenkandidat der Linken, Kultursenator Klaus Lederer, sagte der taz: „Ich verstehe, dass die Initiativen darin eine Abkehr der SPD von der bisherigen Wohnungs- und Mietenpolitik sehen, die neben dringend notwendigem Neubau leistbaren Wohnraums auch regulatorische Eingriffe vorsieht.“ Lederer habe seine Sicht auch Kollatz wissen lassen. Letztendlich sei es dessen Entscheidung, ob er seiner Partei einen solchen Bärendienst erweisen wolle, so Lederer – und es liege „bei den Spitzen der Berliner SPD, ob sie ihn gewähren lassen“.
Gescheitertes Gespräch des Parteispitzen
Die Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert, wollte nach einem am Donnerstag gescheiterten Gespräch über Härtig auf Ebene der rot-rot-grünen Landesvorsitzenden die Entscheidung im Senat diskutieren: „Die SPD soll uns mal erklären, was der Finanzsenator und der Regierende Bürgermeister eigentlich mit der Wohnraumversorgung vorhaben. Wenn jemand, der Mitbestimmung ablehnt, zum Vorstand erklärt wird, deutet das darauf hin, dass diese Anstalt öffentlichen Rechts nicht mehr funktionieren soll.“
Auch Werner Graf, Landeschef der Grünen, war nach der Entscheidung empört: „Eine schlechte Nachricht für Mieter:innen in Berlin. Kollatz legt die Hand an die Wohnraumversorgung und macht den Kämpfer gegen diese wichtige Anstalt zu ihrem Chef.“ Diese „Fehlbesetzung“ sei nicht akzeptabel, so Graf.
Der Linke Bausenator Sebastian Scheel hatte nach taz-Informationen versucht, die Entscheidung noch zu verhindern. Formal ist daran nach einer normalen Stellenausschreibung allerdings nicht mehr zu rütteln. Lediglich Mitbewerber:innen könnten diese rechtlich angreifen.
Finanzsenator Kollatz sieht ohnehin keinen Grund, die Personalie zu hinterfragen: Härtig sei „ein ausgewiesener Fachmann in den für diese Position wichtigen Bereichen des Wohnungsbaus und der Stadtentwicklung“, wie er sagt. Er werde sich für den Neubau starkmachen und „gut mit den Verbänden der Wohnungswirtschaft zusammenarbeiten, ohne die es ja nicht geht“. Zur Kritik sagte er: „Eine Pro-Neubau-Position mit dem Berliner Filz gleichzusetzen ist schäbig.“ Kritiker mäßen Neubau keinen ausreichenden Stellenwert bei.
Härtig selbst wollte sich nicht vor dem 4. Januar äußern. Die Landesvorsitzenden der SPD, Raed Saleh und Franziska Giffey, wollten sich nicht dazu äußern. Die Personalie sei eine Entscheidung des Senats.
Die mietenpolitischen Initiativen befürchten nach der Unverrückbarkeit der Personalie, dass die Arbeit im Fachbeirat der Wohnraumversorgung schwieriger werden dürfte. Dort sitzen auch mietenpolitische Aktivist:innen wie etwa Rouzbeh Taheri vom Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen.
Gerade deshalb werten die mietenpolitischen Initiativen die Besetzung als Frontalangriff. Der bisherige Inhaber Jan Kunert sei für seine Nähe zur mietenpolitischen Bewegung bekannt gewesen, wie es in dem Brandbrief der Mieter-Initiativen heißt: „Diese auch in der Stellenausschreibung formulierte Qualifikation bringt Härtig eindeutig nicht mit!“
Auch bleibt unklar, wie die Zusammenarbeit mit der anderen Vorständin laufen soll – der im Mai von der linken Stadtentwicklungsverwaltung berufenen Sozialwissenschaftlerin Ulrike Hamann, die selbst Mitgründerin von Kotti & Co. ist. Ihre Berufung erfolgte damals übrigens in Absprache mit der Finanzverwaltung von Kollatz.
Härtig habe sich in den vergangenen Jahren als Gegner stadtpolitischer Initiativen dargestellt – zivilgesellschaftliche Mitbestimmung bei Wohnungsbauprojekten lehne er ab. Im Stadtplanungsausschuss von Friedrichshain-Kreuzberg habe Härtig etwa seit Jahren gezeigt, dass sein Stil konfrontativ, zuspitzend und aggressiv sei. Man rätsele, wie man mit dieser Person konstruktiv zusammen arbeiten solle. Persönliche Erfahrungen hätten gezeigt, dass Härtig ein „notorisch geringschätziges Verhalten gegenüber allen Formen von Bürger:innenbeteiligung“ an den Tag lege.
Auch beim Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. Enteignen sieht man die Personalie kritisch: „Die Besetzung ist es ein regelrechter Affront gegenüber der stadtpolitischen Mietenbewegung“, sagt Moheb Shafaqyar von der Volksinitiative. Die SPD plane ein Rollback des bereits Erkämpften. Härtig sei ihnen als waschechter Immobilienlobbyist bekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin